Monsieur Mathieu als Youtuber

Die Oper Halle punktet wieder mit einem neuen Jugendstück, einer Adaption des Erfolgsfilms "Die Kinder des Monsieur Mathieu"

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„Die Kinder des Monsieur Mathieu“ an der Oper Halle. (Foto: Falk Wenzel/TOO)

Halle/StäZ – Jeder Film, der in der Schule spielt, hat per se einen generationenübergreifenden Bonus. Die einen, jüngeren, können das, was sie sehen, mit ihrer unmittelbaren Lebensumwelt vergleichen und abhaken, was bei ihnen davon stimmt und was nicht. Die anderen erinnern sich. Und je weiter diese Erinnerung zurückliegt, um so schöner wird sie. Meistens jedenfalls. Bewährter Prototyp: die Feuerzangenbowle. Oder ein paar Generationen später die Fack ju Göhte Problemschule. Beide entziehen sich natürlich den strengen Juroren fürs politisch Korrekte. [ds_preview]Wobei die  momentane Attacke von Studenten anlässlich kultiger Aufführungen auf den Heinz Rühmann Klassiker, von dem einige Redewendungen in den allgemeinen Sprachgebrauch eingesickert sind, schon ein wenig putzig wirkt. So wie übrigens auch der Sprachgebrauch in der alles in allem höchst gelungen „Vorbühnenstück-Version“, die Lisett Ansorge aus dem französischen Film „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ von Christophe Barratier gemacht und inszeniert hat. Hier kann man freilich die Penetranz, mit der eine weichgespülte Stimme als Pausenklingelersatz von Lernenden spricht, um nicht über irgendwelche Gendersteine zu stolpern, gerne der Ironie zuschlagen, mit der sich der Direktor der Eliteschule (respektive der höheren Lehranstalt, wie es anno dunnemals hieß) am pädagogischen Selbstverständnis und der Marktkonformität seiner Einrichtung selbst berauscht.

Laptops und Youtube statt Nachkriegs-Internat. (Foto: Falk Wenzel/TOO)

Zum Auftakt gibt es Schlagzeilen über das komponierende Wunderkind Clément Mathieu bis hin zu seinem grandiosen Scheitern. In allen Leitmedien – auch wenn deren Logo immer durch einen Dreher oder einen fehlenden Buchstaben leicht verfremdet ist. Interessant wäre, ob die fast ausschließlich jugendlichen Premierenbesucher, das noch problemlos entschlüsseln können.

Ihre Altersgenossen vom Kinder- und Jugendchor der Oper Halle auf der Bühne rümpfen jedenfalls die Nase ob der Zumutung, sich analog aufbereitete Informationen anzueignen. Oder mit der eigenen Stimme live und nicht via mail oder etwas ähnlichem auf Fragen des Lehrers nach dem zuletzt behandelten Stoff zu antworten. Da wären die klassischen Namen der Printmedien höchstens Teil im Fach Mediengeschichte. Wenn es das denn gäbe.

Mathieu jedenfalls ist zwar als Komponist in den Augen der Kritik und seines Publikums gescheitert, bleibt aber als Lehrer der Musik verbunden und kann – wen wundert es – seine Begeisterung für das Selber-singen im Chor schnell auf die beängstigend auf digital und Karriere abgerichteten Schüler übertragen. Ihm gelingt es, sie ein Stück weit aus der digitalen Scheinwelt zurück ins eigene Leben holen. Um einen Mitschnitt für einen Youtube-Channel kommt er nicht herum, ahnt auch nicht, welche durchschlagende Wirkung über eine Million Likes auf den Ehrgeiz des Direktors haben. Nebenbei verweist er den reichen Jungkriminellen und Klassenangeber Pascal Mondän (Marvin Schäfer) in seine Schranken, baut den kleinen Waisen Pepinot (Benjamin Schrade) auf, bringt der Überfliegerin in allen Fächern Phillin (Miriam Knackstedt) Teamgeist bei und nimmt am Ende seinen wohl unvermeidlichen Rausschmiss aus dieser schrecklich modernen Schule mit Gelassenheit hin.

Ein Pfund, mit dem man wuchern kann: Kinder- und Jugendchor der Oper Halle. (Foto: Falk Wenzel/TOO)

Bei Till Schmidt kommt die Empathie Mathieus mit  den Kindern ohne plumpe Kumpelhaftigkeit überzeugend über die Rampe. Enrico Petters überzeichnet seinen Direktor Rachin gelegentlich mit einer Überdosis Opportunismus. Natürlich wird reichlich gesungen – Yonatan Cohen hat nicht nur die musikalische Leitung, er begleitet auch auf dem Klavier zusammen mit der Cellistin Ji-Young Kim. Der Kinder- und Jugendchor der Oper gehört zu den echten Pfunden, mit denen das Haus wuchern kann. Wie sich nicht zum ersten Mal gezeigt hat, können die Mädels und Jungs nicht nur mitreißend singen, sondern auch spielen und sich profilieren. Ob nun Martha Adelberg als Insta-Girl Charlin, Linda Rabisch als Beyoncé-Girl Martha oder Tae- Young Hyun nur als Notenständer, es macht Spaß ihnen allen zuzusehen und zuzuhören!

Schlussapplaus zur Premiere. (Foto: Roberto Becker)

Wenn am Ende die Papierflieger zum Abschied des Lehrers aus den Ranglogen segeln, dann ist das – zugegeben – sogar ergreifend.

Mit ihren Jugendstücken – und dem entsprechenden Publikum dazu – liegt die Oper Halle (mal von keiner Seite bestreitbar) offenbar goldrichtig. Denn nicht nur das, was auf der Bühne passiert, funktioniert, zündet und macht Sinn. Auch das passende Publikum dazu gibt es.

Am Anfang übrigens gab es eine Einlage, von der man nicht sofort wusste, ob es ein Gag der Regie war. Die über Lautsprecher kommende Aufforderung, das Haus zu räumen war schlicht und einfach ein Fehlalarm. Der Intendant, der natürlich wie bei jeder Premiere vor Ort war, konnte zufrieden sein, wie problemlos ein Feueralarm an seinem Haus über die Bühne geht. Klar, dass dort dann beim Neustart des Abends locker darauf angespielt wurde.

DIE KINDER DES MONSIEUR MATHIEU
In einer Fassung von Lisett Ansorge mit Musik von Bruno Coulais aus dem gleichnamigen Film von Christophe Barratier
Ein Vorbühnenstück für junges Publikum
Ab 10 Jahre

Nächste Vorstellungen: Dienstag, 17. Dezember 2019, (10 Uhr), 27. Dezember 2019, (19.30 Uhr), 05. Januar 2020, (15 Uhr), 19. Januar 2020, (15 Uhr), 16. April 2020, (11 Uhr)

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