Avishai Cohen im Steintor: Welt-Jazz vom Feinsten

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Das Avishai Cohen Trio (v.l.): Elchin Shirinov (Klavier), Avishai Cohen (Bass), Noam David (Schlagzeug). (Foto: xkn)

Halle/StäZ – „Kommst Du mit zu Avishai Cohen?“ „Was? Na klar. Wo spielt er? Leipzig, Dresden oder Berlin?“ „Er spielt im Steintor!“ „Nein!“ „Doch!“ „Wahnsinn!“ Es ist in der Tat ein Coup, den die altehrwürdige hallesche Spielstätte da am Mittwoch hingelegt hat: einen der aktuell weltbesten Jazz-Bassisten an die Saale und ins Steintor-Varieté zu holen. Mitten im traditionellen Weihnachtsrevueprogramm, das derzeit wie in jeder Adventszeit den Spielplan am Steintor bestimmt, hat der israelische Ausnahmemusiker mit seinem Trio ein umjubeltes Konzert gegeben. Zwar waren die über 1.000 Plätze bei weitem nicht ausverkauft. Aber es spricht um so mehr für das Haus, dass es dieses Konzert trotzdem an Land gezogen hat. Denn Avishai Cohen ist nicht nur ein einzigartiges Erlebnis. Seine Art des Jazz verdient ein großes Publikum, auch in der Jazz-Provinz.[ds_preview]

Obamahafte Coolness: Avishai Cohen Trio (Foto: xkn)

Schon im Moment, als er schlendernd die Bühne betritt, strahlt Cohen eine fast obamahafte Coolness aus. Was für ein Typ! Die Kulissentannen des Winterwalds von Herrn Fuchs säumen noch, dürftig verhängt, die Steintor-Bühne, aber mit dem ersten Ton des Kontrabasses, den Cohen anschlägt, ist nicht mehr Winter, sondern es wird einem warm ums Herz. Cohen ist als Trio gekommen, gemeinsam mit dem aserbaidschanischen Pianisten Elchin Shirinov und seinem Schulfreund Noam David am Schlagzeug. „Mit Noam habe ich bereits auf der High School Jazz gemacht“, erzählt Cohen zwischen den Stücken. „Er war damals schon so gut. Ich dagegen musste lange üben, um so gut zu werden.“ Understatement ist immer noch die schönste Art des Eigenlobs.

Sie sind alle drei phantastisch. Cohen am Bass sowieso. Shirinov, nach dem ein eigenes Stück auf Cohens neuestem Album benannt ist („Elchinov“) und der den für Cohens Musik unverzichtbaren Klavierpart in einer Klarheit und Reinheit interpretiert, die atemberaubend ist. Und David, der mal mit dem Schlagzeugbesen leiseste Teppiche legt für Cohens Improvisationen, und dann wieder zu Schlagzeugsolos ansetzt, bei denen die Stöcke mit der Flügelschlagzahl eines Insekts durch die Gegend schwirren. Einen besonders paradoxen Reiz hat auch, dass diese Solos eigentlich auch Ensemble-Stücke sind. Cohen und Shirinov flechten hier mal ein kleines, präzise gesetztes Bääm und dort mal einen Dideldum-Zwischenruf in den rasanten Trommelwirbel hinein, was man sich wohl ultraschwer vorstellen muss. Sie haben Spaß dabei, das Publikum auch.

Schlagzeugsolo mit Bääm. (Foto: xkn)

Avishai-Cohen-Jazz ist diese Art von Jazz, bei der man nicht weiß, welche Taktart gerade gespielt wird. Trotzdem muss man sich nur kurz hineinhören, bis der Funke überspringt. Denn Cohens Musik ist im Flow, sie reißt mit mit Kraft und Dynamik, und hat auch leise Stücke mit Wärme und Musik gewordener Liebe. Was bei Cohen hinzukommt ist, dass man bei seinem Jazz nie weiß, ob man gerade in einer Jazz-Bar in Chicago, an einem Wüstenlagerfeuer im Negev oder auf einem orientalischen Basar ist. Wäre der Begriff Weltmusik nicht schon belegt, man müsste Cohens Jazz so bezeichnen. Behelfen wir uns stattdessen mit der Bezeichnung Welt-Jazz.

Auf seinem neuesten Album, dessen Stücke den Großteil der 90-minütigen Show – inklusive zwei Zugaben – ausmachen, kommen sogar noch karibische Anklänge hinzu. „Arvoles“ heißt das Album, sein sechzehntes in 21 Jahren. In der romanischen Sprache der sephardischen Juden steht „Arvoles“ für „Bäume“. Cohen hat auf diesem Album einen ganzen botanischen Garten versammelt. Dass er auch noch singen kann, zeigt er bei einer Solozugabe kurz vor Schluss. Das alte afro-amerikanische Spiritual „Sometimes I feel like a motherless child“ wird bei ihm zur orientalischen Weise. Das Lied solle ausdrücken, wie er sich manchmal auf seinen langen und weiten Reisen fühle, so Cohen.

„Sometimes I feel like a motherless Child“ – Solozugabe von Avishai Cohen. (Foto: xkn)

Cohen, der am Abend zuvor in Hamburg gespielt hatte und am Freitag in Düsseldorf auftritt, bevor es nach Jerewan in Armenien weitergeht, zog wie er dem Publikum sagte, auch aus dem nicht ausverkauften Halle-Auftritt seinen Reiz. Denn das Publikum sparte keineswegs mit Applaus und Zuneigung. „You sound like two thousand. It makes our hearts very warm.“ Das braucht man nicht zu übersetzen. Sicher, man kann sich heutzutage vieles auf Youtube ansehen und ‑hören, auch von Avishai Cohen. Aber am Mittwoch im Steintor war es schon nochmal etwas ganz, ganz anderes. „Sensationell“, wie eine Dame beim Hinausströmen aus dem Saal laut ins Steintor-Foyer rief.

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