Affäre Eissport: Falschaussagen vor Gericht, Stadtrat belogen?

Ein von der Stadt als geheim eingestuftes öffentliches Urteil im Eisdom-Prozess enthält unangenehme Passagen für den Oberbürgermeister und den Berater Jens Rauschenbach. Es ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

3
Oberbürgermeister Bernd Wiegand (r.) und sein Berater Jens Rauschenbach. (Foto Jan Möbius/Archiv)

Halle/StäZ – Im Eissporthallen-Prozess zwischen Messe und Stadt lehnt es Halles Stadtrat ab, in dem Verfahren in Berufung zu gehen. Nach Informationen der Städtischen Zeitung wurde das in der Ratssitzung am Mittwoch im nichtöffentlichen Teil entschieden. Die Beschlussvorlage der Stadtverwaltung wurde demnach mit 15 Stimmen bei 20 Enthaltungen abgelehnt, zehn Stadträte votierten für eine Berufung. Das Urteil wird dennoch zunächst nicht rechtskräftig. Denn Oberbürgermeister Bernd Wiegand (Hauptsache Halle) legte nach StäZ-Informationen sofort Widerspruch gegen den Stadtratsbeschluss ein und verlas eine vorbereitete Stellungnahme. Damit ist die Entscheidung zunächst unwirksam und Wiegand kann, bis der Stadtrat im Januar erneut entscheidet, die Rechtsmittel vorläufig im Namen der Stadt beim Oberlandesgericht Naumburg einlegen. In dem Prozess, der Anfang November nach fünf Jahren zu Ende gegangen war, hatte das Landgericht Halle der Halle Messe einen Schadenersatzanspruch wegen der gescheiterten Zusammenarbeit beim Neubau der Eissporthalle zuerkannt. Zwar ist über die Höhe noch nicht entschieden. Doch bergen einige Passagen in dem Urteil auch politischen Sprengstoff. So stellte der Einzelrichter in seiner Urteilsbegründung nicht nur fest, dass Oberbürgermeister Bernd Wiegand seinerzeit den Stadtrat wissentlich falsch informiert habe. Wiegand-Berater Jens Rauschenbach soll zudem vor Gericht falsch ausgesagt haben. Rauschenbach bestreitet eine Falschaussage vehement, die Stadt äußert sich nicht gegenüber der Öffentlichkeit.[ds_preview]

Die Messe hatte die Stadt auf Schadenersatz in Höhe von mehr als einer Million Euro wegen der Vorgänge rund um den Bau einer übergangsmäßigen Eissporthalle in Bruckdorf verklagt und in erster Instanz in wesentlichen Punkten vom Landgericht Halle Recht bekommen. Es geht um das Jahr direkt nach dem verheerenden Saalehochwasser im Sommer 2013. Richter Ekkehard Hamm hatte das Verfahren als Einzelrichter geführt. In seiner Urteilsbegründung schildert er detailliert die sich aus seiner Sicht ergebende Verantwortung von Halles Rathauschef Wiegand und dessen Berater Jens Rauschenbach am Ausgang des Verfahrens zu ungunsten der Stadt.

Richter: Wiegand hat Stadtrat bewusst getäuscht

Unter anderem wirft er in dem der Städtischen Zeitung vorliegenden Urteil konkret dem Oberbürgermeister vor, den Stadtrat zu den Vorgängen rund um die Eissport-Verhandlungen mit der Messe getäuscht zu haben. Und das nicht aus Unwissenheit, wie aus Hamms Urteilsbegründung hervorgeht, sondern bewusst. Unter anderem soll die Stadtverwaltung  gegenüber dem Stadtrat „wahrheitsverfälschend angegeben“ haben, „die Halle Messe GmbH habe sich geweigert, den ausgehandelten Hauptvertrag abzuschließen und die Eishalle weiter zu betreiben, wenn sie nicht weitere finanzielle Zugeständnisse erhalte“. Das habe die Stadtverwaltung in einer Vorlage für den Sportausschuss aus dem Februar 2014 behauptet, so Richter Hamm, obwohl die Messe zu dem Zeitpunkt noch unentschieden war. Der Stadtrat musste damals kurz vor Ende der ersten Übergangssaison eine Entscheidung zur Zukunft des Eissports fällen.

Aus Sicht des Richters soll sich der Rat nach dieser Aussage von dem Projekt und einem bereits ausgehandelten Hauptvertrag abgewandt und die von Wiegand und Rauschenbach favorisierte Lösung ohne die Halle Messe beschlossen haben – den Bau einer neuen Eissporthalle an der Blücherstraße in Neustadt, gefördert durch Fluthilfemittel. Diese 100-Prozent-Förderung wäre mit der Messe offenbar nicht in Frage gekommen. Zu dieser Zeit, so führt Hamm seine Sicht auf die Abläufe aus, soll aber die Messe im Vertrauen auf die früheren Absprachen mit Wiegand und Rauschenbach bereits den „Eisdom“ als Zwischenlösung gekauft gehabt haben, der ursprünglich in Bruckdorf stehen sollte. Unter anderem um diese Kosten geht es im Prozess.

Die Messe war seinerzeit als Notnagel eingesprungen, nachdem die alte Eissporthalle am Gimritzer Damm nach der Flut 2013 nicht mehr genutzt werden konnte. Die neue Eishockeysaison stand bevor, ein provisorisches Eiszelt musste her, ebenso wie eine mittelfristige Übergangs- und eine neue Dauerlösung. Wiegand soll der Messe direkt nach der Flut versichert haben, dass ihr keinerlei Nachteil entstehe, wenn sie sich auf das Wagnis einlasse, den Eissport auf ihrem Grundstück abzusichern, heißt es in dem Urteil. Weil aber laut Hamm die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Messe schon von Anbeginn an problematisch war, einigten sich beide Seiten später auf Verhandlungen zu einer Aufhebung des bereits geschlossenen Vorvertrages.

Richter spricht in Urteilsbegründung konkret von Falschaussage

Die Verhandlungen mit der Messe hat damals Wiegands enger Berater Jens Rauschenbach geführt. Ihn hatte Richter Ekkehard Hamm zweimal als Zeugen geladen. Doch einigen Aussagen Rauschenbachs schenkt der Richter wenig Glauben. Konkret nimmt Hamm sogar das Wort Falschaussage in seiner Urteilsbegründung in den Mund. Denn dort steht geschrieben: „Soweit der Zeuge bekundet hat, die Halle Messe GmbH habe sich am 29.1.2014 geweigert, den ausgehandelten Hauptvertrag zu unterschreiben, wenn nicht weitere finanzielle Zusagen durch die Beklagte erfolgen, geht das Gericht von einer Falschaussage aus.“ Hamm führt in dem der Öffentlichkeit zugänglichen Urteil weiter aus, die Aussage Rauschenbachs gebe „nicht nur in sich Anlass zum Zweifeln, sondern widerspricht auch zahlreichen, im Verfahren eingereichten Unterlagen. Bei einem Abgleich der beiden durch den Zeugen gemachten Aussagen fällt auf, dass sich diese bereits widersprechen“. Das deute für den Richter darauf hin, „dass nicht ein tatsächlich vorhandenes Wissen wiedergegeben wird“.

Wiegand schweigt zu Vorwürfen

Die Städtische Zeitung hat sowohl OB Wiegand als auch seinen Berater Jens Rauschenbach, der für Halle unter anderem auch den Kohleausstieg koordiniert und diverse Schulbauprojekte steuert, mit dem Inhalt der Urteilsbegründung konfrontiert. Sowohl dem Rathauschef als auch seinem Projektsteuerer wurden konkrete Fragen gestellt und beide zudem um Stellungnahmen gebeten. Wiegand ließ mitteilen, die Stadt äußere sich im laufenden Verfahren und zu Angelegenheiten, die der Stadtrat nichtöffentlich behandelt, nicht. Berater Rauschenbach trat hingegen die Flucht nach vorn an. „Ich gehe davon aus, dass gegen dieses nicht rechtskräftige Urteil Rechtsmittel geltend gemacht werden“, teilte er der StäZ in seiner schriftlichen Antwort mit. Der Auffassung von Richter Hamm trat Rauschenbach mit deutlichen Worten entgegen. „Um es ganz deutlich zu sagen: Ich habe vor Gericht als Zeuge nicht die Unwahrheit gesagt, und dies belegen die vorliegenden Dokumente, Fakten und weitere Zeugenaussagen. Folglich wurden auch der Stadtrat und andere Gremien niemals falsch informiert.“

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Rauschenbach

Rauschenbach räumte ein, er „habe in diesem Verfahren zweimal als Zeuge ausgesagt“.  Offenbar haben an den dabei getätigten Aussagen Rauschenbachs auch Strafermittler in Halle Interesse. Rauschenbach bezog sich nämlich in seinem aktuellen Statement auf seine frühere Antwort auf eine StäZ-Anfrage im Zusammenhang mit einer Strafanzeige gegen ihn bei der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf eine uneidliche Falschaussage: „Wie Ihnen bekannt ist, hat die Staatsanwaltschaft nach Prüfung des Sachverhaltes festgestellt, dass die Anzeige wegen vermeintlicher Falschaussage gegen mich völlig unbegründet ist.“

Tatsächlich hatte Oberstaatsanwalt Ulf Lenzner gegenüber der Städtischen Zeitung auf Nachfrage bereits Anfang Oktober erklärt, dass seiner Behörde eine Strafanzeige wegen uneidlicher Falschaussage gegen Jens Rauschenbach in dem Zivilverfahren vorliege. „Auf diese Anzeige hin ist hier ein Ermittlungsverfahren wegen uneidlicher Falschaussage gegen Jens Rauschenbach eingeleitet worden“, so Lenzner. Rauschenbach habe, wie er auf Nachfrage der StäZ mitteilte, zu dieser Zeit nichts vom Ermittlungsverfahren gegen ihn gewusst: „Wie Sie wissen, besagt die bloße Anzeige einer angeblichen Tat überhaupt nichts.“ Rauschenbach beauftragte dennoch seinen Rechtsanwalt mit einer Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft. Dort habe der Jurist einen Vermerk vom 2. Juli dieses Jahres gefunden, der „bereits den bloßen Anfangsverdacht gegen mich verneint und abgewiesen hat“, so Rauschenbach gegenüber der StäZ.

Laut Oberstaatsanwalt Lenzner läuft das Ermittlungsverfahren aber noch immer: „Es handelt sich um einen internen Aktenvermerk. Im Übrigen beziehe ich mich auf die  bereits gegebene Auskunft“, teilte er auf eine weitere Nachfrage der Städtischen Zeitung mit. Zuletzt erkundigte sich die StäZ Ende November dieses Jahres nach dem Ausgang des Verfahrens. Die Antwort des Oberstaatsanwalts: „Das von Ihnen genannte Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.“

Rauschenbach nennt Vorwürfe haltlos

Wer die Ermittlungen gegen Rauschenbach in Gang gesetzt hat, das teilte Lenzner nicht mit. Der Wiegand-Berater bleibt aber gegenüber der StäZ bei der Ansicht, das Verfahren gegen ihn sei von der Staatsanwaltschaft schon im Juli dieses Jahres quasi eingestellt worden. „Das vorliegende zivilrechtliche Urteil von einem Einzelrichter am Landgericht steht dem nicht entgegen“, deutete Rauschenbach in Richtung Richter Ekkehard Hamm, der ihm in seinem Urteil öffentlich der Falschaussage bezichtigt. Das Urteil „beruht auf einer einseitigen und fehlerhaften Beweiswürdigung und Verkennung des damaligen Geschehens, das sich wegen seiner Komplexität sicherlich auch schwer nachvollziehen und aufklären lässt“, so Rauschenbach. Das beginne für ihn bei der Tatsache, dass „ich in den Jahren 2013 und 2014 von der Stadt Halle als Sparberater beauftragt war. In diesem Zusammenhang war ich beratend mit den finanziellen Auswirkungen von Vorgängen auf den Haushalt der Stadt Halle befasst“. Die Vorwürfe gegen ihn im Urteil des Landgerichts Halle nannte Rauschenbach in seiner Antwort haltlos.

Richter Hamm hatte am 7. November in wesentlichen Teilen den Inhalten der Klage zugestimmt, allerdings auch aus seiner Sicht zu weit gehende Ansprüche der Messe verworfen. So ist unklar, ob die Stadt nun tatsächlich rund 1,3 Millionen Euro an die Messe zahlen muss, wie von dieser verlangt. Die genaue Schadensersatzhöhe wird in einem noch ausstehenden Verfahren ermittelt. Ein Teilurteil hat Richter Hamm jedoch bereits als vorläufig vollstreckbar erklärt. Dabei geht es konkret um mehr als 98.000 Euro für Aufwendungen, die die Messe vorgestreckt hat, um nach der zwischen ihr und der Stadt Halle getroffenen Absprache Inventar für das provisorische Eiszelt zu beschaffen.

Stadträte fürchten finanzielles Risiko

Das Votum des Stadtrats vom Mittwoch, das eine Berufung in dem Rechtsstreit ablehnt, kam nach StäZ-Informationen vor allem zustande, weil die (relative) Mehrheit der Räte das finanzielle Risiko eines Berufungsverfahrens mit möglicherweise neuen Prozess- und Anwaltskosten für die Stadt als hoch einschätzt. Die Vorwürfe aus der Urteilsbegründung gegen Wiegand und Rauschenbach seien in der Sitzung indes nicht detailliert zur Sprache gekommen, heißt es von Teilnehmern. Das Urteil ist dem Stadtrat in Gänze auch kaum bekannt. Nur wenige Räte nutzten das Angebot der Stadt, es in einem speziell gesicherten Datenraum in der Stadtverwaltung einzusehen. Offenbar wollte die Stadt ein breites Bekanntwerden des Urteils und seiner kritischen Passagen verhindern.

[bws_pdfprint display=„pdf,print“]
0 0 votes
Article Rating
Subscribe
Benachrichtigen Sie mich zu:
3 Comments
älteste
neuste beste Bewertung
Inline Feedbacks
View all comments
U. Geiß
4 Jahre her

Wie kann die Stadtverwaltung ein öffentlich zugängliches Urteil vor dem Stadtrat geheim halten? Das ist unlogisch.

siggivonderheide@me.com
4 Jahre her

Ach wie gut das der Herren-OB und sein „Berater“ noch in Amt und „Würden“ sind! Unbedingt die Suppe auslöffeln die sie eingerührt haben. Gut das es diese Zeitung gibt!

E.E. Gabriel
4 Jahre her

Laut Urteil war Rauschenbach vereidigt und damit ist eine Falschaussage Meineid – ein Verbrechen. Darauf steht Gefängnis nicht unter einem Jahr. Wie kann der Oberstaatsanwalt das übersehen?
Und Rauschenbach lügt weiter. Dokumente, Fakten und weitere Zeugenaussagen würden seine Aussagen beweisen. Das Urteil sagt dazu genau das Gegenteil. Der OB hat bereits am 10. Januar 2014 den Stadträten gesagt, dass es mit der Messe nicht mehr weitergeht. Das allein zeigt Rauschenbachs Lüge.