StäZ-OB-Wahlanalyse II: Langes hausgemachte Niederlage

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Der unterlegene Kandidat Hendrik Lange gibt am Wahlabend im Stadthaus Interviews. (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Die Stichwahl um das Oberbürgermeisteramt in Halle war ein Debakel für den Herausforderer Hendrik Lange (Linke). Am Wahlabend gaben sich Lange und seine Unterstützer trotzdem überzeugt, einen sehr guten Wahlkampf hingelegt zu haben. Mehr sei einfach nicht drin gewesen, so der Tenor. Der Amtsbonus, die mediale Unterstützung besonders der MZ für den Amtsinhaber, der Bundestrend – das waren die oft zu hörenden Begründungen für die Niederlage. Dabei war diese zu einem Großteil auch hausgemacht. Gegen einen Amtsinhaber, der in sieben Jahren sehr viel Angriffsfläche geboten und vor der Wahl praktisch keinen öffentlichen Wahlkampf gemacht hat, mit fast 23 Prozent Abstand zu verlieren, zeugt auch von eigenen Versäumnissen. Hendrik Lange und seine drei Parteien müssen sich kritisch mit der Niederlage auseinandersetzen, denn sie offenbart die strukturelle Schwäche der Parteien.[ds_preview]

Vor allem die Linke kommt in der Wahlanalyse nicht gut weg. Sie hat ihre einstigen Hochburgen Halle-Neustadt, Silberhöhe und Heide-Nord krachend verloren. Dass Hendrik Lange überhaupt so gut abgeschnitten hat, ist eher dem starken Abschneiden in den Grünen-Hochburgen in der Innenstadt und im Paulusviertel zu verdanken. Besonders für den Kandidaten selbst ist das schmerzhaft. Hendrik Lange betrachtet Neustadt als seine politische Heimat und setzt sich seit langem für den Stadtteil ein. Dennoch geht der Trend für die Linke schon seit Jahren in Neustadt bergab. Das hat zwar vor allem mit dem Erstarken der AfD zu tun. Bereits die Landtagswahl 2016, aber auch alle anderen Wahlen danach müssten eigentlich ein Weckruf für die Linke gewesen sein. Waren es aber offenbar nicht. Neustadt und die anderen Großwohnsiedlungen bildeten auch zur OB-Wahl keinen erkennbaren Schwerpunkt in der Wahlkampfstrategie von Rot-Rot-Grün. Dabei gilt in Halle eine Wahlweisheit: Wer im größten Stadtteil Neustadt nicht gut abschneidet, für den ist es sehr schwer, die Wahl insgesamt zu gewinnen. Für Hendrik Lange, so schien es, war ein starkes Abschneiden in Neustadt lange Zeit gesetzt. Ein fataler Irrtum.

Lange verkörperte nicht, wirklich OB werden zu wollen

Die Gründe für die Schwäche der Linken sind vielschichtig, haben aber neben der AfD auch etwas mit eigenen Fehlern zu tun. Die Partei hat offenkundig den Grip für einen großen Teil ihrer früheren Wählerschaft verloren, die kleinen Leute. Für die Themen, die beispielsweise Neustadt in den letzten Jahren umgetrieben haben – der Deich, die Zukunft des Stadtteilzentrums (Scheibe A), die sozialen Probleme und die Integrationsfrage – gab es von links kaum wahrnehmbare und vor allem konkrete Positionen. Auch als Protestpartei gegen soziale Verwerfungen fällt die Linke immer mehr aus. Als es beispielsweise großflächige Mieterhöhungen in Neustadt geben sollte, waren die Freien Wähler und später auch Hauptsache Halle in der öffentlichen Wahrnehmung und auch in der Organisation einer Gegenbewegung wesentlich präsenter, als Linke oder SPD.

Das hat auch etwas damit zu tun, dass beide Parteien immer noch gemeinsam mit anderen sehr stark das kommunalpolitische Establishment verkörpern. Sicher: Es gibt ein wohnungspolitisches Konzept, an dem beide Parteien maßgeblich mitgestrickt haben. Aber mit Konzepten allein, selbst wenn sie langfristig umgesetzt werden und Wirkung erzielen, lässt sich konkret schwer überzeugen, wenn ein Privatvermieter kurzfristig für hunderte Neustädter einfach die Mieten hochtreibt.

Weiterer großer Baustein im Mosaik des Scheiterns war das Wahlzetteldesaster von Rot-Rot-Grün. Hendrik Lange stand nur als Linken-Kandidat auf den Wahlzetteln. Die Label SPD und Grüne fehlten. Das Kopfschütteln darüber war stadtweit. Vor allem Wählerinnen und Wähler der Grünen und der SPD waren nachhaltig irritiert, in zwei Wahlgängen ihre favorisierten Parteien nicht verzeichnet zu finden. Und das nur, weil die drei Parteien anderthalb Jahre lang nicht in der Lage waren, einen Formfehler zu korrigieren. Die große Chance für Hendrik Lange, mittels der parteiübergreifenden Unterstützung aufzutreten als Kandidat mit Reichweite in die bürgerliche Mitte, war so ad absurdum geführt.

Daran konnte auch der Dauerwahlkampf nichts ändern. Am 31. Januar 2018 hatte Lange seine Kandidatur erklärt. Er hatte also mehr als anderthalb Jahre lang Zeit, sich in der Stadt bekannter zu machen, Positionen und Strategien zu entwickeln und in eine neue Rolle zu finden. Denn Oberbürgermeister ist eine sehr andere Art Politiker als ein Landtagsabgeordneter und Stadtratsvorsitzender. Doch Lange wollte lange nicht von seinen bekleideten Posten lassen. Er blieb noch über ein Jahr lang Stadtratsvorsitzender, der die Stadtpolitik nur bedingt selbst kommentieren kann, und er schnurrte noch monatelang brav zu jeder Landtags‑, Ausschuss- und Fraktionssitzung nach Magdeburg, statt in Halle die Wahlkampflokomotive weiter aufzurüsten. Gegen den omnipräsenten und stets mit viel persönlichem Einsatz zu Werke gehenden Amtsinhaber, der sich im Ratshof als Verwaltungsfachmann mit dem Arbeitspensum eines Workoholics, quasi als politischer Marathonmann, von ganz früh bis ganz spät und praktisch ohne Urlaub ganz und gar in den Dienst der Stadt stellt, fiel Lange – der als Landespolitiker und Stadtrat ebenfalls ein straffes Arbeitspensum hat – dennoch ab. Lange verkörperte nicht, wirklich OB werden zu wollen. Unentschlossene Wähler haben dafür feine Antennen.

Kaum klare Botschaften und keine Strategie für den zweiten Wahlgang

Sogar im eigenen Lager war immer wieder Unmut darüber zu vernehmen, dass der Wahlkampf nur schleppend in Gang kam. Doch Lange war offenbar oft auch beratungsresistent. Um aber bekannter zu werden, muss man eben viele Menschen erreichen. Nur ein Beispiel, warum das nicht klappte: Kurz vor der Stichwahl trat Lange mit Gregor Gysi in Neustadt vor wenigen hundert Menschen, meist eigenen Anhängern, auf. Als der HFC ein paar Tage später im ersten Heimspiel nach dem Terroranschlag vor über 8.000 Zuschauern Solidarität und Zusammenhalt zelebrierte, war Lange nicht im Stadion. Für einen Politiker, der Massen erreichen will, wäre es eigentlich ein Pflichttermin gewesen, sich dort zu zeigen.

Auch fehlten im Wahlkampf die klaren Botschaften und eine erkennbare Strategie. So wichtig gesellschaftliche Vielfalt, Ökologie und der Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus sind: In Halle sind sie, das zeigt die Wahl eindeutig, (noch) keine Gewinnerthemen. Das bedeutet nicht, dass sie nicht mehrheitsfähig wären. Aber als Wähler will man auch wissen, was sich bei einer Wahl konkret vor der eigenen Haustür verbessert oder verändert. Da war Rot-Rot-Grün in vielen Bereichen zu akademisch. Und so klar das Profil in den eben genannten Feldern war, so unklar blieb es in anderen Bereichen wie zum Beispiel bei Ordnung und Sicherheit. Es gab auch kein Leuchtturmprojekt, mit dem der Name Hendrik Lange verknüpft wurde, wie den Plan von Andreas Silbersack, die Buga nach Halle zu holen. Politische Leuchttürme sind aber wichitg. Sie sind in vorstellbare Formen gegossene Visionen. Hinzu kommt ein weiteres strategisches Versagen Langes: Er hatte nach dem überstanden ersten Wahlgang offenbar keine Strategie, wie er Wähler aus anderen politischen Lagern für die Stichwahl überzeugen wollte. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Mobilisierung seiner eigenen Klientel. Das Ergebnis ist bekannt.

Zur strukturellen Schwäche der Parteien in Halle gehört aber auch, dass sie es in den sieben Jahren der Amtszeit Bernd Wiegands nicht geschafft haben, ihm wirksam Paroli zu bieten. Der politische Schwarze Peter landete immer wieder bei ihnen. Am Ende grenzte es fast an Masochismus, wie sich die Stadträte dem immer wieder aussetzten. Dabei gab es Skandale und Affären genug. Wiegands mutmaßliche Verstrickungen mit seinem Privatberater Jens Rauschenbach beispielsweise wollten alle Fraktionen im Stadtrat gemeinsam aufklären. Aber es blieb bei starken Worten. Der angekündigte Sonderausschuss kam nicht zustande. Mögliche Rathausinsider, die hätten aufklären können, zogen daraufhin die Köpfe wieder ein. Das an die Kommunalaufsicht abgegebene Disziplinarverfahren gegen Wiegand endete so, dass am Ende selbst der Stadtrat, geschweige denn die Öffentlichkeit, nicht erfuhr, welcher Verfehlungen genau Wiegand für schuldig befunden worden war. Wer aber als politische Kraft  seine Waffen immer nur zeigt, sie aber niemals einsetzt, beißt sich zwangsläufig die Zähne aus. Wirksame Kontrolle, für die der Stadtrat eigentlich zuständig ist, sieht anders aus.

Die Parteien in Halle – nicht nur Rot-Rot-Grün – werden sich in vielen Belangen neu erfinden müssen, um wieder näher an die Wähler zu kommen und im Stadtrat schlagkräftig zu werden. Ebenso der Politiker Hendrik Lange. Nach so einer Niederlage einfach weiterzumachen, als wäre nichts geschehen, könnte sich bei der nächsten Wahl wieder als großer Irrtum erweisen.

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siggivonderheide@me.com
4 Jahre her

Ganz nebenbei, die StäZ hat es auch nicht geschafft eine starke Position gegen den „Herren-OB“ aufzubauen. Bei soviel Kritik, sei sie noch so berechtigt, etwas Blick auf die eigenen Schwächen wäre angebracht.