Gastkommentar: Erhobenen Hauptes

Florian Lutz geht nach Kassel. Der documenta-Stadt kann man zu dieser Personalien nur gratulieren. Und Florian Lutz auch.

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Florian Lutz, Intendant der Oper Halle (Foto: xkn/Archiv)

Dass die Weisheit unter Politikern recht unterschiedlich verteilt ist, das zeigt die jüngste Entscheidung, die die hessische Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn von den Grünen gerade bekannt gegeben hat: Florian Lutz wird der neue Intendant des Staatstheaters in Kassel! Und zwar nicht trotz, sondern wegen seiner Arbeit in Halle.

In der Saalestadt bekam man ja eine Verlängerung seiner ersten Amtszeit einfach nicht hin. Hier hatte sich der 40-jährige Kölner zunächst mit zwei ziemlich herausfordernden Inszenierungen als Regisseur bekannt und dann ab 2016/17 als regieführender Intendant Furore gemacht.

Ein seltsames Gebräu aus politischer Kleingeisterei und ein struktureller Defekt in der Satzung der Theater Oper und Orchester GmbH (TOO) haben ihm und seinem Team letztlich die Chance auf eine zweite Amtszeit als Intendant nicht zugestanden. Die Dauerfehde, der sich die Intendanten von Schauspiel und Oper mit dem Geschäftsführer der TOO stellen mussten, hat dazu geführt, dass sich eine mutig innovative Opernästhetik in der Öffentlichkeit zuweilen völlig schief als ein Dauerknatsch um die Oper darstellte. In ein paar Tagen wird ein Sonderheft des Fachmagazins  „Die Deutsche Bühne“ die Oper der Zukunft am Beispiel von Halle unter Florian Lutz noch einmal ausführlich beleuchten.

Künstlerintendanten wie Florian Lutz (oder an der Komischen Oper Berlin Barrie Kosky) sind heute eine Ausnahme in dem immer mehr unter ökonomischen und sonstigen Legitimationszwängen stehenden Opernbetrieb. Wenn es aber starke und kreative Persönlichkeiten sind, dann haben sie die Chance für ein paar Spielzeiten, die Ästhetik eines Hauses zu prägen. Und damit der alten Tante Oper die Frischzellenkur zu verpassen, die sie von Zeit zu Zeit braucht. Noch dazu, wenn sie von immer schrilleren Konkurrenten um die Aufmerksamkeit der Zuschauer umzingelt ist und attackiert wird.

Genau das hat Lutz in Halle gemacht. Die hochgelobten Raumbühnen, die sich in zwei Spielzeiten für ganz unterschiedliche Formate bewährt haben, sind dabei nur die offensichtlichste Novität.

Seine eigenen Inszenierungen (Fliegender Holländer, Sacrifice, Fidelio und Messe da Requiem) waren ein Erfolg, dem der vereinzelte Widerspruch nicht schadete. Im dauernden Dialog mit dem Publikum vermochte er sich als Kommunikationstalent zu beweisen. Dass Florian Lutz für die Sache brennt, war ihm immer anzumerken. Auch, dass er Freude an der Kontroverse hat, wenn sie denn nicht unsinnig viel Kraft bindet, wie vor allem die Abwehr der Attacken von Stefan Rosinski.

Als Künstler und als Leiter eines so komplizierten Gebildes wie eines Opernhauses, mit allen persönlichen Empfindlichkeiten, ohne die es da gar nicht geht, hat ihm das gleichwohl nicht geschadet. Er kann Halle, in dem er neben eingefleischten Gegnern vor allem auch viele Freunde für sich und sein Kunstverständnis gewonnen hat, erhobenen Hauptes den Rücken kehren. Wenn das überhaupt ein Kriterium sein sollte, dann ist eher die Stadt (bzw. einige ihrer Entscheidungsträger) und nicht Florian Lutz „gescheitert“. Das Staatstheater in Kassel und sein Publikum können sich freuen, von den Erfahrungen und Lerneffekten zu profitieren, die wohl in jeder ersten Intendanz anfallen. Halle schenkt das einfach so weg. Der documenta-Stadt kann man zu dieser Personalien nur gratulieren. Und Florian Lutz auch. In Hessen haben sie sich bewusst für Aufbruch entschieden. Und Lutz wird ein Haus übernehmen, dass eine Tradition mit Offenheit und Experimentierfreude hat.

Ein Trost bleibt für Halle: Anderthalb Spielzeiten hat er noch. Und vielleicht schafft es ja der neue Aufsichtsrat auch bei der Geschäftsführung einen kompletten personellen Neuanfang zu ermöglichen.

Joachim Lange ist Theaterkritiker und veröffentlicht auch Kritiken in der Städtischen Zeitung. 

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siggivonderheide@me.com
4 Jahre her

ein Fanartikel, mit Kompetenz geschrieben. Das ein Intendant für die Mitarbeiter*innen desHauses eine Verantwortung trägt und sich nicht nur der
„großen“ Kunst verpflichtet fühlen darf wird ausgeblendet ebenso wie der Fakt das die Vernetzung des Herrn Lutz dazu geführt hat das Halle im Focus der Theaterwelt steht. Die Einseitigkeit seiner Inszenierungen verträgt keine zweite Amtszeit. Es wäre pure Langeweile fürs Publikum und ausschließlich für eine elitäre „Kulturoberschicht“. Sein Auftrag lautete anders.