Eine Stimme aus einer anderen Welt

Das Händelfestspielorchester hat mit seinem Konzert im Volkspark gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

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Samuel Mariño Foto: Bühnen Halle)

Halle/StäZ – Er kam, sang und siegte! Als der damals noch allen unbekannte männliche Sopran Samuel Mariño aus Venezuela vor zwei Jahren während der Händelfestspiele die Bretter unseres Opernhauses betrat und den Alessandro in der Hauptproduktion „Berenice“ sang und spielte, klappte selbst eingefleischten Händelfreaks der Unterkiefer runter. Hinreißend seine kraftvolle, auch für einen Counter ungewohnt hohe, immer fest sitzende Stimme. Faszinierend, mit welcher scheinbaren Leichtigkeit er zwischen sanften, gefühlvoll getragenen Passagen explosionsartig in die dramatischen Höhen wechseln konnte. Ein Naturereignis, dessen Qualitäten auch noch durch sein natürlich unverfälschtes Spiel beglaubigt wurde. Für viele Zuschauer blieb das ein unvergessliches Ereignis. Es war eins aus der Rubrik: Wir können sagen, wir sind dabei gewesen! Leider blieb diese Produktion traditionsgemäß nur zwei Spielzeiten im Programm.

Jetzt hatte das Händelfestspielorchester im Rahmen seiner Abonnement-Reihe „Händels Welt“ zum Reformationstag in den Volkspark geladen. Auf dem Programm stand ein Gipfeltreffen der Musikheroen Händel und Gluck. Und ein Wiedersehen mit Samuel Mariño. Der Saal mit seiner erstaunlich guten Akustik in der oberen Etage war denn auch voll besetzt. Und der Dirigent des Abends Michael Hofstetter gut gelaunt. [ds_preview]

Die Sinfonia zum 3. Akt aus Händels „Atalanta“ brachte gleich zu Beginn genau die erwünschte Wohlfühltemperatur und Ruhe in den Saal. Plötzlich war ein leises Vogelgezwitscher zu vernehmen. Nein, diesmal war es keiner der unendlichen Versionen eines Handy-Klingeltones. Ivo Nitschke lockte so den quirlig, bunt schimmernden Paradisvogel unter Beifallsstürmen ans Notenpult.

Der legte gleich los mit drei Arien des Meleagro (ebenfalls aus „Atalanta“) „Care selve, ombre beate, Vengo in traccia del mio cor!“ (Teure Wälder, süße Schatten, Ich bin gekommen, um mein Herz zu suchen!). Zunächst noch getragen, setzte er hier seinen sicher trillernden Sopran ein. Um gleich danach mit »Non sarà poco« das lodernde Feuer der Leidenschaft  anzufachen. Mit „M’allontano, sdegnose pupille“ hebt Mariño schließlich virtuos melodisch schwelgend ab.

Samuel Mariño bei den Händelfestspielen in der Oper „Berenice“ Foto: Anna Kolata/Bühnen Halle/Archiv)

Die verdiente Verschnaufpause für den Sänger gestattete den Musikern des Händelfestspielorchesters mit der Ouvertüre an den großen Erfolg ihrer „Berenice“-Produktion zu erinnern. Sie war die letzte  im Aufführungsverzeichnis  der Händelfestspele in Halle noch fehlende Händeloper.

Den fulminanten Abschluss des Händel-Teils an diesem Abend bildete dann die Bravour-Arie des Sigismondo aus „Arminio“. Ob er nun den Zeitpunkt seines Auftritts verpasst hatte oder ob er nur dem Anlass entsprechend richtig gewappnet sein wollte – wer weiß? Des Sakkos entledigt, nur noch im weißen Hemd und königlich blauen Beinkleidern, war das jedenfalls für die nun folgende Herausforderung genau die richtige Anzugsordnung. Wer bisher noch nicht wusste, dass Barockmusik durchaus auch etwas mit Leistungssport zu tun hat, hier konnte er es erleben. Ein Zweikampf (wenn auch nicht auf Leben und Tod) oder besser gesagt einen veritablen Wettstreit zwischen der menschlichen Stimme, also einem Sopran, und einer Oboe lieferten sich jetzt nämlich – zur Freude aller – Samuel Mariño und Thomas Ernert. Kunstvoll ausgeschmückt und fantasiereich nutze Mariño auf eine charmante Art diese damals übliche und auch vom Publikum erwartete Gestaltungsfreiheit eines Sängers, um jene Flamme (Quella fiamma) lodern zu lassen, von der da die Rede ist und die durch Ernert immer wieder aufs Neue virtuos angefacht wurde. Auf diesen Punktsieg für beide folgte die wohlverdiente Pause für alle.

Danach ging’s mit Christoph Willibald Gluck weiter. Zwischen dem dreißig Jahre jüngeren Gluck und dem 61jährigen Händel kam es tatsächlich am 25. März 1746 zu einem Gipfeltreffen im Londoner Haymarket Theatre. Der Erlös des Konzertes, in dem beide eigene Werke zur Aufführung brachten, kam übrigens einem Hilfsfonds für bedürftige Musiker zugute. Doch das bleibt lediglich eine Zusatzinformation aus dem Programmheft.

Für den zweiten Teil hat sich die Dramaturgie zum Einstieg für die Arie der Berenice aus Glucks „Antigono“ entschieden. Mariño, jetzt im seriösen schwarzen Smoking, gibt die – händelgeschult – mit hochdramatischem Aplomb zum Besten. Was man auch für die sich anschliessende effektvolle Sinfonia (ebenfalls aus „Antigono“) sagen kann.

Der mit der Barockmusik bestens vertraute Dirigent Michael Hofstetter und die Musiker des Händelfestspielorchesters warfen sich dabei mit solch einer Verve in die Saiten, dass selbst das durch die jahrzehntelange Händelpflege dieser Stadt geschulte Ohr seine wahre Freude dran hatte.

Das Händelfestspielorchester. (Foto: Falk Wenzel/Bühnen Halle/Archiv)

Getragener, aber auch sehr gefühlvoll ging es mit der Arie der Massinissa „Tornate sereni“ aus „La Sofonisba“ weiter. Gefolgt von der nicht minder eindrucksstarken Arie des Oronte aus „Il Tigrane“. Der intonierte Marsch (wieder aus „Antigono“) verschaffte zumindest dem Sänger ein kurzes Atemholen, bevor der zur großen Arie der Atalanta aus „La Corona“ ( Quel chiaro rio) ausholte, um sich danach den verdient stürmischen Schlussapplaus abzuholen. Der Jubel galt  selbstverständlich auch dem lustvoll aufspielenden Händelfestspielorchester und dem Dirigenten Michael Hofstetter.

Und weil jetzt alle so schön zufrieden waren und nicht sofort zur Garderobe stürmen wollten, gab es noch drei Zugaben. Wenn auch nicht ganz ohne ein Quäntchen Eigennutz. Die vielen aufgestellten und im Saal herunterhängenden Mikrofone haben bereits darauf verwiesen, dass die Mittschnitte das Material für eine geplante CD mit Arien von Händel und Gluck sein werden. Hoffen wir mal, dass die dann auch pünktlich zum Weihnachtsgeschäft (2019) vorliegen wird. Und all den anderen, die Samuel Mariño gerne auch live erleben wollen, sei gesagt, dass er schon bei den nächsten Händelfestspielen 2020 mit von der Partie sein wird.

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