Alice rennt…

Die Oper Halle macht mit dem Märchenballett „Alice im Wunderland“ ein Angebot für die ganze Familie für die Vorweihnachtszeit.

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Alice im Wunderland, das neue Ballettstück an der Oper Halle. (Foto: Anna Kolata/Too)

Halle/StäZ – Das gab es in Halle schon ewig nicht. Eine Premiere mit Glamourfaktor. Schon vor dem Beginn ein Empfang für gesondert von einem Sponsor eingeladene Gäste! Ins Foyer kam nur, wer einen blaue Aufkleber auf der Eintrittskarte hatte. Nach der Premiere das Gleiche nochmal für alle. Eigentlich schade, dass es hierzulande an betuchten Openfreunden fehlt, die so etwas auch sonst auf die Beine stellen könnten. Eigentlich gehört das nämlich auch irgendwie dazu. Es gibt noch Häuser in anderen Gegenden der Republik, die das hinbekommen. Aber was soll’s – es geht ja um Kunst. Und die ist auch ohne gestiftete Häppchen für sich genommen ein Genuss. Wegen der Wiederbegegnung mit Bekanntem, der Entdeckung von Neuem, wegen der Musik und überhaupt.[ds_preview]

Alice im Wunderland: Laura Busquets Garro und Dalier Burchanow. (Foto: Anna Kolata/Too)

Bei einem Ballett wie „Alice im Wunderland“, mit dem Michal Sedláček jetzt in der Vorweihnachtszeit herauskommt und unter anderem gleich zwei Sonntagnachmittagsangebote bei den Folgevorstellungen bietet, sowieso. Da geht es vor allem um ein Vergnügen für die ganze Familie. Inszenierungsabenteuer gibt es (an der Oper in Halle in den letzten Jahren reichlich und zum Glück!) das ganze Jahr über. Optische Opulenz, eine wundersame Handlung mit Happyend, kurzum ein Märchenballett mit Musik aus dem Graben und nicht aus der Konserve: Das ist dem Jahresende vorbehalten. Da kommt dann sogar die neue GMD in den Graben des Opernhauses an das Pult der Staatskapelle und gleich für die zweite von einem Dutzend Nummern sogar auf die Bühne, um am Klavier (gemeinsam mit dem Solocellisten Hans-Jörg Pohl) Arvo Pärts elegisches „Spiegel im Spiegel für Violoncello und Klavier“ beizusteuern, bei dem für die Heldin des Abends, jene träumende Alice, die Welt still steht. Sonst dominiert bei der Musikauswahl, von Prokofjews „Mitternacht aus dem Ballett Cinderella“ abgesehen, eine Auswahl gut vertanzbarer Kompositionen von Antonín Dvořák.

Was Lewis Carroll da 1865 zwischen zwei Kinderbuchdeckeln geschrieben hat, ist so abgedreht (und populär), dass es auch als Ballett fast von selbst funktioniert. Im beginnenden Jahrhundert der Parallelwelten der Fakten vielleicht sogar besser denn je.

Alice und die Generalmusikdirektorin Arianne Matiakh am Klavier. (Foto: Anna Kolata/Too)

Hier ist es der Nonsens, der Spaß macht. Die Logik des Alltags hat hier nichts zu melden, die des Traumes triumphiert. Und da ist so gut wie alles möglich. Da wird die eigene Körpergröße plötzlich im wahrsten Wortsinn ver-rückt. Türen werden so groß, dass man hoch springen muss, um an die Klinke zu kommen. Oder so klein, dass man darin stecken bleibt, wenn man durchkrabbeln will. In dieser Traumwelt rennt ein weißes Kaninchen mit einem Wecker in der Hand (Martin Zanotti) dauernd durchs Bild, da gibt es eine rauchende Raupe unter einem Fliegenpilz und bei einer wundersamen Teegesellschaft gibt ein verrückter Hutmacher (Dalier Burchanow) den Ton an. Natürlich hat auch die Grinsekatze ihren Auftritt. Grita Götze hat das Riesenvieh entworfen, für dessen Innenleben es vier Tänzer braucht. Sie ist zwar eigentlich nur da, rollt possierlich mit den Augen und tänzelt ein wenig – aber im Zuschauergedächtnis dürfte sie vermutlich bleiben. So wie der herrliche Schlossgarten, in dem man sich plötzlich wiederfindet. Die hübsch klassische Prospektebühne von Mathias Hönig macht auch das möglich.

Alice mit Grinsekatze.(Foto: Anna Kolata/Too)

Aktion kommt dann doch vor dem Thron der exzentrischen bösen Herzkönigin auf, die kein Problem damit hat, ihrem Hofstaat ihren Herzbuben (als halbnackt verschüchterter Lover: Johan Plaitano) vorzuführen. Laura Busquets Garro tanzt zwar mit Anmut die Titelpartie, rennt aber oft nur durchs Bild. Kaori Marito nutzt den Vorteil, den die Bösewichter allemal haben, voll aus und liefert als Herzkönigin (und schon in der Eingangsszene als leicht torkelnde Dame in Rot) das stärkste Porträt des zweistündigen, mit einer Pause geteilten Abends. Natürlich gibt es auch die kleinen Flamingos, als Golfschläger benutzt die Monarchin allerdings eine Nachbildung. Und natürlich bricht das Kartenhaus am Ende zusammen. Aus Alpträumen erwacht man ja zum Glück meist, wenn es gefährlich wird.

Schlussapplaus mit Inszenierungsteam (v.l.): Matthias Hönig (Bühnenbild), Anke Tornow (Video), Cordula Erlenkötter (Kostüme), Michal Sedláček (Choreografie und Inszenierung). (Foto: Roberto Becker)

Alice hatte auf ihre Geburtstagsparty, bei der sich die Erwachsenen eher umeinander als um sie kümmern, ein Buch geschenkt bekommen in das sie abgetaucht war. So wie ihre Altersgenossen heute in die virtuellen Welten entschwinden und nicht mehr ansprechbar sind. Was Alice erlebt ist dieses Abtauchen in eine Parallelwelt. Nur wird da nicht geballert. Sondern der kindlichen Phantasie freien Lauf gelassen. Die findet sich weniger in den meist vorhersehbaren choreographischen Einfällen, als in den opulenten Bildern.

Zu dem Abend gehörte wie immer ein besonders euphorischer Schlussjubel für die Akteure. Zu empfehlen ist er allemal.

Alice im Wunderland
Ballett, Musikalische Leitung: Ariane Matiakh/José Miguel Esandi,
Choreografie und Inszenierung: Michal Sedláček

Nächste Vorstellungen: 24. November 2019, 15 Uhr, 08. Dezember 2019, 15 Uhr, 11. Januar 2020, 19.30 Uhr, Freitag, 24. Januar 2020, 18 Uhr, Oper – Großer Saal

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siggivonderheide@me.com
4 Jahre her

Das Ballett hat mal wieder bewiesen das Modernität nicht bedeutet ein Stück zu dekonstruieren. Florian Lutz könnte davon lernen.