Eichenprozession

Am Tag der Deutschen Einheit zogen rund 750 Hallenserinnen und Hallenser in die Dölauer Heide, um 3.000 Eichen zu pflanzen. Mit dabei auch drei OB-Kandidaten.

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Rund 750 Hallenserinnen und Hallenser sind am 3. Oktober dem Aufruf der Stadt zu einer Baumpflanzaktion in der Dölauer Heide gefolgt. (Foto: xkn)

Halle/StäZ –Feiertage waren in Deutschland schon immer auch Anlass für Menschen, gemeinsam zu spazieren oder zu marschieren. Der Tag der Arbeit am 1. Mai zum Beispiel war da lange Jahre notorisch. Aber auch zu kirchlichen Festen war die Prozession über Jahrhunderte ein gemeinschaftsbildendes, wiederkehrendes Ereignis. Die DDR wiederum kannte den Subotnik, einen Arbeitseinsatz im Freien, der zwar nicht an einem Feiertag stattfand, aber an einem freien Sonnabend (russisch: Subota). Am 3. Oktober, dem ganz weltlichen Tag der Deutschen Einheit, hat in Halle in diesem Jahr eine ganz eigene Prozession mit Arbeitseinsatz stattgefunden. Rund 750 Menschen zogen durch die Dölauer Heide, um auf einer Lichtung 3.000 Eichen zu pflanzen. Und das in einem politischen Kontext.

Da ist zum einen die allgegenwärtige Klimadebatte. Halle hatte 2019 den zweiten viel zu heißen und viel zu trockenen Sommer in Folge. Er hat auch den Bäumen in Halles Stadtwald enorm zugesetzt. 3.000 neue Eichen sollen da ein Anfang sein. Zum anderen ist da natürlich das wegweisende Ereignis in Halle für die nächsten sieben Jahre. Die OB-Wahl. Die Stadt hat den Pflanztermin zehn Tage vor den Urnengang am 13. Oktober gelegt. Der Feiertag kommt für den Amtsinhaber wie gerufen. Und auch seine Herausforderer reihten sich ein in die Eichenprozession von Halle.

Einheit im Wald

Die letzteren, kommunalpolitischen Dimensionen allerdings, das kann man schon nach kurzer Beobachtung sagen, sind den meisten der Teilnehmer an diesem Donnerstag herzlich schnuppe. Sie finden die Idee der Baumpflanzaktion einfach Klasse und sind – auch weil das Wetter gut ist – morgens losgefahren, um dabei zu sein. Mag sein, dass manche tatsächlich wegen des Klimas hier sind. Viele jedoch kommen mit dem Auto. Der Parkplatz am Waldkater ist brechend voll, Wildparker stehen bis in den Wald hinein. Vor dem Ausflugsrestaurant sammelt es sich. Als immer mehr hinzuströmen, wird Revierförster Torsten Nieth schon leicht nervös. „Mit so vielen haben wir nicht gerechnet“, wird er später sagen. Reichen die 40 Spaten, die für die Pflanzerinnen und Pflanzer bereitstehen? Sie werden reichen, denn viele haben ihre eigenen dabei. Und zur Not wechselt man sich ab.

Kurz bevor die Prozession beginnt, hält der Oberbürgermeister noch eine kleine Ansprache. Er dankt allen Beteiligten und sagt, die Aktion sei gemeinsam von Stadt und Stadtrat geplant worden. In diesen Tagen vor der Wahl will der OB einmal nicht als Spalter dastehen. „Was kann gesellschaftspolitisch und ökologisch besser passen, als eine Pflanzaktion“, sagt Bernd Wiegand (Hauptsache Halle) außerdem zu den Leuten. Die Teilnehmer würden mit ihrer Anwesenheit heute zeigen, wie wichtig ihnen Wald, Natur und Ressourcenschutz seien. Die Pflanzaktion wolle zur langfristigen Entwicklung der Dölauer Heide beitragen. Noch ein paar Worte vom Revierförster Torsten Nieth zum Ablauf – „Denken Sie dran: Wir sind im Wald!“ –, und dann geht es los.

Die Prozession hat es eilig. In straffem Tempo marschiert der Zug in die Heide hinein. Es geht vorbei an tonnenweise eingeschlagenem Holz, das am Wegesrand auf Stapeln liegt. Das alte, ehemalige Holz der Heide. An der großen Wegekreuzung ein scharfer Schwenk nach links und dann noch ein paar hundert Meter. Was treibt diese Menschen an? Klimaschutz, Waldumbau oder einfach die Wiederbepflanzung einer Lichtung: Die persönlichen Ziele jedes einzelnen bei der Aktion sind vielschichtig. Da sind Familienväter und ‑mütter, die mit ihren Kinden einen schönen Ausflug in den Wald machen, Jäger in ihrer Kluft, Umweltschützer, Rentner in Wanderschuhen und Wetterjacken, eine Gruppe vom Technischen Hilfswerk, die die Aktion offenbar als Gemeinschaftsunternehmung versteht. Deutsche Einheit im Wald.

Hinterher wird es von manchem in den sozialen Medien durchaus hämisch heißen, Halle habe – anders als die Fridays-for-Future-Kids, hehe – an diesem 3. Oktober wirklich etwas getan gegen den Klimawandel. Interessanterweise posten so etwas oft diejenigen, die sonst bezweifeln, dass man in Deutschland allein überhaupt etwas Sinnvolles gegen den Klimawandel tun könne. Für das Weltklima dürften die 3.000 Bäume tatsächlich mickrig sein, sogar für die Heide sind sie wohl nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Eigentlich sind sie nicht mehr als eine Kompensationsmaßnahme, damit nicht alles noch schlimmer wird. Und es weiß ja auch niemand, ob sie anwachsen, die jungen Eichen. „So eine Aktion müssten sie viel öfter machen“, sagt eine Hallenserin zu ihrem Begleiter.

Es gibt ja diese chinesische Weisheit: Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor zwanzig Jahren. Die zweitbeste ist jetzt. Wie sehr das stimmt, kann man in der Heide gut sehen. An der Lichtung angekommen, gehen bei einigen erst einmal die Augen auf. So mancher ist erschrocken, als er die umzäunte Fläche sieht. Es stehen nur noch ein paar kleine Bäume darauf, ein paar junge, vielleicht zehn bis 15 Jahre alte Eichen, die selbst noch keine Früchte tragen, einige Birken, das war’s. Der Boden ist vorgepflügt. In die Furchen sollen die neuen Bäume gepflanzt werden. Förster Torsten Nieth steht jetzt auf dem Multicar, das die jungen Eichen hierher gebracht hat und spricht wie ein Volksredner zur Menge. Er hält eine Eiche hoch und beschreibt, so dass jeder es versteht, wie sie gepflanzt werden muss. Ruhig tief hinein in die Erde. Der Zaun, so Nieth, sei dafür da, die Rehe abzuhalten. „Denn so eine junge Eiche ist für ein Reh wie Kaviar.“ Nieth versteht es, bildreich zu sprechen.

Wie Kaviar ist der Termin auch für die drei Wahlkämpfer, die bei der Prozession dabei sind. Für Amtsinhaber Bernd Wiegand sowieso. Immerhin ist es die von ihm verwaltete Stadt, die den Termin mit dem Förster zusammen organisiert hat. Dass die Bürger seinem Ruf so zahlreich folgen, findet er sichtlich vergnüglich. Immer wieder zückt er sein Smartphone vom Gürtel und macht Bilder. An diesem Tag fragt auch niemand, wieso so eine Aktion erst zehn Tage vor der Wahl stattfindet, nach sieben Jahren Amtszeit, wo doch nichts „gesellschaftspolitisch und ökologisch“ besser sei als eine Pflanzaktion. Nur Herausforderer Hendrik Lange (Linke), ebenso demonstrativ gut gelaunt, sagt einmal kurz, so dass es freilich nur ein paar Umstehende hören: „Eine Baumpflanzaktion macht noch keinen Sommer.“ Dritter im Kandidatenfeld ist Andreas Silbersack (FDP). Er ist, anders als seine Konkurrenten, komplett allein vor Ort, wie auf einer privaten Mission. Auch er hat sehr gute Laune.

OB gräbt mit Klappspaten

Gesehen werden und selbst mitmachen bei einer guten Sache: Natürlich ist so ein Termin für einen Wahlkämpfer unwiderstehlich. Das ist ja das Gute an der Demokratie: Sie zwingt die Politiker immer mal wieder zum Volk und zwar nicht nur für Inszenierungen. Und meist kommen die Politiker dann auch gerne. Amtsinhaber Bernd Wiegand ist mit einer der ersten, die die umzäunte Fläche betreten. Gemeinsam mit seiner Büroleiterin Sabine Ernst strebt er eine Furche direkt in der Mitte der Lichtung an. Der OB prüft kurz den Winkel zur Sonne. Den ersten Spatenstich überlässt er jedoch der Frau. Lady is first, auch wenn es darum geht, sich die Hände schmutzig zu machen. Die Arbeit ist mühsam, denn Sabine Ernst hat nur einen kleinen Klappspaten dabei. Solange sie damit in der Prozession marschiert ist, sah das hip und irgendwie originell aus. Ein Hingucker. Leute stupsten sich an: Schau mal. Ist das nicht? Mit Klappspaten!

Mit der Campingausrüstung ist dem durchwurzelten Waldboden allerdings nur schwer beizukommen. Sabine Ernst müht sich, während Wiegand sie antreibt und Kameras klicken. Bei Bäumchen Nummer zwei ist dann der OB selbst dran, und er entlockt den Menschen, die nun um ihn herum in die übrigen Pflanzfurchen strömen, durchaus irritierte Seitenblicke und bei manchem ein deutliches Schmunzeln. Es sieht weder elegant noch professionell aus, wie er da vornübergebeugt mit dem Klappspaten in der Erde stochert. Irgendwie ist der ganze Klappspaten beinahe nur symbolisch. Hauptsache Spaten. Dass zehn Tage vor der Wahl natürlich darauf geachtet wird, wer hier wie gräbt, daran haben Wiegand und Ernst offenbar nicht gedacht. So wird der Klappspaten eben auch zum Symbol für eine Amtszeit: Gute Idee, falsches Besteck.

Ganz anders Andreas Silbersack. Kaum in der Furche angekommen, keine 15 Meter von Wiegand entfernt, gräbt er los, als gäbe es kein Morgen. Sein Spaten ist ausgewachsen, und Silbersack haut ihn nur so in den Boden. Für das erste Pflanzloch braucht er keine zwanzig Sekunden. Das Graben habe er bei der Armee gelernt, sagt er auf Nachfrage des Reporters, ohne die Tätigkeit zu unterbrechen. Der erste Baum ist nach anderthalb Minuten im Boden. Nach fünf Minuten muss Silbersack los, und sich Nachschub an Setzlingen holen. Erst jetzt hat er Zeit, auch mal mit anderen Leuten zu sprechen. Ein Handschlag hier für einen CDU-Stadtrat, ein Foto da für die sozialen Medien. Kurzes Fachsimpeln mit ein paar Bürgern über die Trockenheit. Ja, zwanzig Zentimeter unterhalb der Krume ist der Boden trocken. Das sehen alle, die hier an diesem Tag einen Baum pflanzen. Der Regen der letzten Tage hat dem Wald zwar gut getan, aber nötig wäre offensichtlich viel, viel mehr. Silbersack, der auch Winzerfunktionär ist, mahnt jedoch, dass es für den Wein wiederum gar nicht gut wäre, wenn es jetzt kurz vor und während der Lese noch viel regnete. „Es hätte im Sommer regnen müssen.“

Stieleichen statt Traubeneichen

Die Trockenheit treibt auch Hendrik Lange um. Als Biologe mit Fachgebiet Botanik fragt er ein ums andere Mal, warum man hier Stieleichen und nicht Traubeneichen pflanze. Traubeneichen seien wesentlich hitze- und trockenheitsresistenter. Auch Hendrik Lange hat den richtigen Spaten, setzt ihn aber völlig anders ein. Mit Vorsicht gräbt er das Pflanzloch, setzt dann ebenso vorsichtig die Bäumchen hinein und tritt dann mit äußerster Behutsamkeit den Boden fest, so als müsste er jedem einzelnen noch ein paar gute Wünsche fürs Anwachsen und überhaupt für das soziale Miteinander im Wald mitgeben. Normalerweise nutze er keinen Spaten, denn sein Garten sei eine Dachterrasse, sagt Lange. Das Fachgespräch zwischen ihm und Förster Torsten Nieth ergibt dann, dass Stieleichen nur für diese Lichtung in der Heide die bessere Wahl sind, so Nieth. Denn üblicherweise gebe es hier oft Staunässe, nur eben in den letzten beiden Jahren nicht. Und mit Staunässe können Stieleichen besser umgehen.

Drei Kandidaten, drei unterschiedliche Herangehensweisen. (Fotos/Montage: xkn)

Ja, diese beiden Jahre. Antworten zum Klimawandel und wie die Heide dafür am besten gewappnet würde, gibt es an diesem Tag nicht. Das ganze Land sucht ja bisher nach Strategien. In der Heide sind die Schäden sehr konkret. Für Heide-Förster Tosten Thiel begann die Misere in Halles Stadtwald ziemlich genau am 7. Juli 2015. Jenes Unwetter, das über den Nordwesten der Stadt in Tornadostärke hinwegzog, schlug erste schwere Schneisen in die Heide. Jahrzehntealte Bäume, umgeworfen in einer Nacht. Danach sei Sturm auf Sturm gekommen und habe den Schaden vergrößert. „Und die zwei trockenen Jahre haben uns insgesamt wahnsinnig arg gebeutelt.“ Es sehe nicht gut aus für die Bäume in der Heide, aber noch sei das Problem beherrschbar. „Aber es wird sicherlich in Zukunft schlimmer werden, wenn wir nicht drei oder vier Jahre bekommen, in denen es normal regnet.“ Doch unabhängig von allem denkbaren Unbill der kommenden Jahre, sagt Nieth auch: „Wir müssen jetzt hier auf dieser Lichtung was tun. Wir müssen pflanzen.“ Ob die Bäume auch anwachsen, darüber machen sich viele an diesem Tag Sorgen. Garantieren kann das auch der Förster nicht. Aber soll man deshalb aufs Pflanzen verzichten? Vielleicht wird er mit der Feuerwehr noch eine Gießaktion machen. Auch das wäre eine Neuerung. Wann hat man schon mal erlebt, dass im Wald die Bäume gegossen werden?

Irgendwann taucht übrigens auch die AfD auf beim Eichenpflanzen im Wald. Das ist wahrscheinlich nationale Ehrensache, obwohl die Partei ja den Klimawandel beharrlich leugnet. Stadtratsfraktionschef Alexander Raue hat sich trotzdem ein paar Eichen geschnappt und biegt, weil die Mitte schon besetzt ist, nach rechts außen ab. Irgendwie will aber auch dort niemand etwas mit ihm zu tun haben.

Viele Hände, schnelles Ende. Eine knappe Stunde, nachdem es am Waldkater losgegangen ist, sind die Eichen alle. Sie stehen jetzt in Reih‘ und Glied im Heideboden. Dank rund 750 Hallenserinnen und Hallensern am Tag der Deutschen Einheit 2019.

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