Die Wut des Kameramanns

0
Andreas Splett hat am 9. Oktober das Video der Schießerei auf der Luwu gemacht, das um die Welt ging. Nach dem Anschlag will er nun aufrütteln, damit endlich etwas gegen rechten Hass und rechte Hetze passiert. Foto: xkn)

Halle/StäZ – Er war der Mann, dessen Video vom 9. Oktober, von der Schießerei auf der Ludwig-Wucherer-Straße, um die Welt ging. Andreas Splett, freier Kameramann und Anwohner, hielt spontan das Handy aus dem Fenster und filmte so den Schusswechsel des Stephan B. mit der Polizei. Einige Tage danach ist Splett immer noch zutiefst getroffen von dem Geschehenen. Und wütend. Wütend darauf, dass es in Deutschland wieder so weit kommen konnte, dass ein Rechtsextremer eine Synagoge angreift und mordend durch Halle zieht. Und wütend auf die Reaktionen nach dem Anschlag, vor allem die Reaktionen der AfD. Splett will nach dem, was er aus nächster Nähe miterlebt hat, nicht mehr schweigen.[ds_preview]

Er ist ein Kameramann mit jahrzehntelanger Berufserfahrung. Normalerweise sprechen Kameraleute nicht. Sie beobachten, dokumentieren, liefern die Bilder, die im besten Falle selbst sprechen. Doch mit dieser Zurückhaltung ist es bei Splett vorbei. Eine gute Woche nach dem Anschlag steht er auf der Straße vor dem angegriffenen Döner-Imbiss und sucht das Gespräch mit jedem, der vorbeikommt. Er hat schon mit HFC-Fans gesprochen, die um den ermordeten Kevin S. trauerten. Und er spricht in jede Kamera und jedes Notizbuch von Journalisten. Denn Splett hat eine Botschaft.

Andreas Splett am Kiez-Döner auf der LuWu. Foto: xkn)

„Man darf jetzt nicht mehr ruhig sein“, sagt er. Trotzdem es ihm nicht gut gehe – reden will er, aufrütteln. Deshalb spricht er nur kurz über sich. Wie es ihm gehe? „Uns geht es beschissen“, sagt er. Mit „uns“ meint er sich und seine Frau und viele andere, die den Anschlag unmitelbar erlebt haben. Eigentlich bräuchte es psychologische Betreuung für diese Opfer. Denn Opfer, das seien auch sie, meint Splett. Aber es gebe viel zu wenig Psychologen für solche Fälle.

Doch er will weniger über sich als über die aus seiner Sicht entlarvenden Reaktionen von rechts auf den Anschlag sprechen. „Der rechte Mob schäumt ja jetzt“, so Splett. „Da werden Theorien aufgestellt, die unglaublich sind.“ Der Täter sei nicht rechts, sondern „nur“ antisemitisch, heißt es da. Er sei ein verrückter Einzeltäter gewesen. Oder: Juden seien ja gar nicht getötet worden, sondern die Opfer seien Deutsche. „Auf diese diffizile Art antisemitische Propaganda zu machen, nach dem 2. Weltkrieg und der Wiedervereinigung Deutschlands, ist unglaublich“, so Splett. „Die Rechten wollen das, was am 9. Oktober passiert ist, platt reden. Damit schlagen sie aber den Opfern mit ihren dreckigen braunen Händen ins Gesicht. Die Rechten sollen aufhören mit ihrer Propaganda.“

Andreas Splett ist Anwohner des Anschlagsorts in der LuWu und gibt Interviews. (Foto: xkn)

In der AfD sieht er eine „Gauleiter-Mentalität“ am Werk. „Es ist unverantwortlich, was aus dieser Partei kommt: Für Deutschland, für Israel, für Europa, für die ganze Welt. Dass Herr Höcke sich fragt, wer so etwas nur tun könne, ist der blanke Hohn. Was bildet der sich überhaupt ein.“ Splett kommt in Rage, wenn er all die AfD-Äußerungen der Tage nach dem Anschlag Revue passieren lässt. Er hat die meisten gelesen. Er verbringt seit dem Anschlag viel Zeit im Internet. „Man müsste das Grundgesetz ändern und alle demokratischen Hebel in Bewegung setzen, damit diese schlimme Entwicklung beendet wird“, ist seine Meinung, mit der er auf die AfD und generell auf Hass und Hetze im Netz und den sozialen Medien zielt. „Das alles hat mit Meinungsfreiheit nichts zu tun. Wenn jemand wie Höcke den Mord an Juden relativiert oder dümmliche Reden hält, die an Goebbels oder Hitler erinnern, dann muss das geahndet werden.“

Auch Splett selbst, der 2007 gemeinsam mit seiner Frau Marlies den Dokumentarfilm „Juden in Halle“ produziert hat, also sehr eng zu tun hatte mit der Jüdischen Gemeinde und ihrer Geschichte, ist im Netz zur Propaganda-Zielscheibe geworden. Die Kommentare rechter User gingen bis dahin, ihm zu unterstellen, den Anschlag selbst mit fabriziert zu haben, denn er sei ja Kameramann, der auch für das ZDF arbeite. Die Bilder seien inszeniert worden, so die ungeheuerliche Andeutung. Eine Verschwörungstheorie, die vom eigentlichen Geschehen und seinen Ursachen ablenken will. Es sind Menschen, die scheinbar keinerlei Fakten mehr anerkennen. „Da sind wir in Deutschland hingekommen, dass Mainstream schon als Schimpfwort gilt. Wir Kameraleute und Journalisten gelten als Wahrheitsverdreher, und das ganz pauschal.“

Splett will das nicht länger hinnehmen, wie er auch die rechte Hetze und die Propaganda der AfD nicht länger unwidersprochen ertragen will. Er habe Anzeige gegen die Verleumder im Netz erstattet, sagt er. Ob sich dadurch etwas ändere, müsse man sehen. Zumindest die Äußerungen und Ankündigungen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nach dem Anschlag hätten ihn froh gemacht. „Ich nehme ihm ab, dass er wirklich etwas unternehmen will“, so Splett.

Und noch einen Satz will, er, der in seinem Berufsleben sogar bis nach Nordkorea herumgekommen ist, loswerden: „Als Kameramann ist es das Schlimmste, das ich je aufnehmen musste.“

[bws_pdfprint display=„pdf,print“]
0 0 votes
Article Rating
Subscribe
Benachrichtigen Sie mich zu:
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments