Bauen wie am ersten Tag

Der Tempelherr von Ferdinand Schmalz gehört zum Eröffnungspaket des neuen theaters - ein Nachtrag

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Bauen wie am ersten Tag (v.l.): Andreas Range (Schwiegervater Kurt), Harald Horvath (Markus, ein Freund), Marie Ulbricht (Petra, Heinars Frau), Till Schmidt und Sybille Kreß (befreundetes Paar Thomas und Christina) in Ferdinand Schmalz‘ „Der Tempelherr“ am nt. (Foto: Anna Kolata/Bühnen Halle)

Halle/StäZ – „Nathan der Weise“ und „Der Tempelherr“ liefen bei der Spielzeiteröffnung im neuen theater parallel. Man muss also noch mal ran. Und sollte das auch. [ds_preview]

Dem Klassiker zur aufgeklärten Toleranz ist die Wirklichkeit in Halle in den letzten Tagen auf eine Weise näher gekommen, die zumindest für Momente sprachlos machte. Sprachlosigkeit ist aber nicht die Sache von Matthias Brenner und seinen Intendantenkollegen. Am Freitag trat der Schauspiel-Chef nach der Vorstellung von Ferdinand Schmalz’ „Tempelherr“ in der Kammer vor das Publikum. Mit einer emotionalen Ansprache passend zur Lage in Halle. Vorher war bekannt geworden, dass sich alle drei Intendanten (also neben Brenner auch Opernchef Florian Lutz und Puppentheaterchef Christoph Werner) mit Vehemenz gegen die Entsendung von Donatus Schmidt in den Aufsichtsrat gewandt haben. Den AfD-Kandidaten zählen sie wohlbegründet zu den geistigen Brandstiftern im Lande. Falls man den nicht zurückziehe, werde man dem Aufsichtsrat die Anerkennung verweigern. Eine zivilgesellschaftlich couragierten Positionierung, der sich der Geschäftsführer ausdrücklich nicht anschloß. Weil ihm – so gibt die MZ den umstrittenen, und noch nicht verlängerten Geschäftsführer Stefan Rosinski wieder – die erbetene Gelegenheit zur gemeinsamen Überarbeitung nicht stattgegeben wurde. Und weil er gemäß Gesellschaftsvertrag zur Zusammenarbeit verpflichtet sei.

Das muss man nicht kommentieren, sondern kann es einfach nur wirken lassen. Brenner beschränkte sich vor dem Publikum auf den Appell zum Zusammenstehen und erhielt dafür einhelligen Beifall der Zuschauer. Schön, dass der Herausforderer des OB, Hendrik Lange (Linke), die Haltung der Intendanten unterstützt. Nur fragt man sich schon, wieso zwei der drei Parteien, die er vertritt (also seine Linke und die SPD), der politisch progressiven und ästhetisch herausfordernden (und zunehmend erfolgreichen) Intendanz in der Oper ein Ende bereitet haben.

Andreas Range als Heinars Schwiegervater (Foto: Anna Kolata/Bühnen Halle)

Der Tempelherr ist eine Figur in Lessings Nathan. Das neue Stück von Ferdinand Schmalz (34) ist keine Lessing-Überschreibung, spielt aber nicht nur im Titel mit der Gerade-noch-Sichtweite zum großen deutschen Aufklärer. Die Kunstsprache des Ingeborg-Bachmann-Preisträgers wirkt wie eine rhythmisierende Alterspatina.

Dass die Akteure selbst und überhaupt alles in den folgenden 80 Minuten nur erfunden sind, sagt einer gleich am Anfang. Ausführlich bis zum philosophischen Schwindelgefühl. So, wie vom Helden Heinar nur geredet wird, so bleiben auch die Seiten der Wirklichkeit, die durch Worte zum Klingen gebracht werden, nur Ähnlichkeiten mit der Welt oder den Welten, die in der Erfahrung der Zuschauer existieren. Das klingt kompliziert – ist aber durch jede Menge Wortwitz (zwischen Lifestyle und Weltpolitik) abgefedert. Beim Vorwort in eigener Sache noch hinter den Glasscheiben, die Ausstatterin Jessica Rockstroh direkt an die Rampe postiert hat. Da wirkt die Bühne wie ein Terrarium. Bühnenarbeiter entfernen diese Scheiben und damit hat die Erfindung auf der Bühne den direkten Zugang zum Zuschauer. Kann an dem anknüpfen, was der mitbringt. Seine Uraufführung erlebte das Stück im März an den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin. Die Inszenierung von Ingo Kerkhoff profitiert damit durchaus noch vom Reiz des Neuen.

v.l.: Sybille Kreß, Till Schmidt, Marie Ulbricht, Harald Horvath, Andreas Range (Foto: Anna Kolata/Bühnen Halle)

Lehrer Heinar und seine Frau Petra (Maria Ulbricht) wollen bauen. Bewusst auf dem Land. Wegen der Kinder und überhaupt. Ein Grundstück haben sie gekauft. Bei Ingo Kerkhof ist das noch von trockenem mannshohem Schilf-Gras bedeckt, in dem man sie anfangs gar nicht sieht. Eine Ahnung, wie das fachgerecht geht, hat Heinar  eher nicht. Aber Ehrgeiz. So nach dem Motto: was du ererbt von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen, will er alles selbst machen. Und damit die Richtung klar ist, heisst es „aus den ruinen, den ruinen dieses kontinents heraus müsse man sich selber neu erfinden“. Aussteigen aus dem Zusammenhang der Arbeitsteilung. Und gleich noch aus dem, was man einen Wertekonsens nennen könnte. Zur wachsenden Verblüffung von Familie (Andreas Range ist Petras finanziell helfender und besserwissender Vater Kurt) und Freunden entsteht da nämlich ein Tempel. Harald Horvath als Heinars Freund (und Architekt) Markus, sowie Petras Freunde Christina (Sybille Kreß) und deren Mann Thomas (Till Schmidt)  komplettieren die Ausflugsgesellschaft zur Baustelle.

Der Tempel sieht – so wird uns berichtet – „richtig“ also griechisch klassisch aus. Und ist so gemeint. Architektur der reinen Form für Schönheit. Heinar will das große „Alles auf Anfang“ in seinem Lebenskreis der Umgebung abtrotzen. Ein Greta-wütendes Aufstampfen mit den Füßen. Graben mit den Händen. Bauen wie am ersten Tag. Natürlich tauchen die unvermeidlichen Einheimischen auf. Am gedachten Zaun. Und erteilen ihre „Uns geht es ja nichts an, aber…“ Ratschläge. Im Niemandsland zwischen latenter Neugier und subtiler Drohung.

v.l. Sybille Kreß, Till Schmidt, Marie Ulbricht, Andreas Range, Harald Horvath (Foto: Anna Kolata/Bühnen Halle)

Heinar ernennt sich selbst zum Advokaten der reinen Vernunft – und denkt, dass er damit durchkommt. Was natürlich im Laufe der Jahre, die im Stück ins Land gehen, nicht passiert. Weil das, was von seinem Standpunkt aus glasklar erscheint, ihn in den Augen der Umwelt als Spinner dastehen lässt. In der wirklichen Welt stürzt sein Kind vom Gerüst. Bei diesem Zwitterwesen aus Mensch und Bremse geht das nicht unter dem großen Ikarus-Gewand. Aber reparabel. Und so verlassen Frau und Kind den Bauherrn. Am Ende gibt es ein von allen bestauntes, aber nicht verstandenes Labyrinth-Bauwerk und Heinar ist (darin?) verschwunden.

Regisseur Ingo Kerkhof hat Erfahrung mit Musiktheater – er setzt auch hier auf die eigene Musikalität der Sprache. Und das Ensemble zieht mit. Wer weiter vorne sitzt, sieht sie nicht immer klar, zumindest solange bis nicht alles niedergetrampelt ist. (Welch eine Fleißaufgabe, das jedesmal neu aufzubauen!) Aber man hört die fünf immer klar und präzise. Weil sie auf Sprache setzen und in deren Rhythmus schwingen. Was das Maß an Bosheit betrifft, bleibt der Autor diesmal eher freundlich dosiert. Für Einsteiger. Lust auf mehr macht das allemal.

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