Aussagen-Check: Wiegands Verkehrs-Kehrtwende

Im August noch war die autofreie Innenstadt für OB Wiegand eine berechtigte Forderung. Jetzt geht sie überhaupt nicht mehr.

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Im August noch war die autofreie Innenstadt für OB Wiegand eine berechtigte Forderung. Jetzt geht sie überhaupt nicht mehr. (Foto: xkn/Archiv)

Halle/StäZ – Die Forderung von Fridays for Future Halle war sehr weitgehend, ja beinahe radikal: „Die Innenstadt zeitnah von Autos befreien“, hieß sie, veröffentlicht am 21. Juni. Eine von vielen konkreten Vorschlägen der Klimaaktivisten, wie Halle ehrgeizig CO2 einsparen könnte. Dass die Forderung kontrovers diskutiert werden, ja sogar beinahe automatisch Widerstand hervorrufen würde, war politischen Beobachtern sofort klar. Die Innenstadt ist ein komplexes Thema. Umso überraschender war seinerzeit, was Oberbürgermeister Bernd Wiegand (Hauptsache Halle) am 26. Juni im Stadtrat verkündete: Die Stadt werde, so Wiegand, die Forderungen von Fridays for Future übernehmen und befinde sich bereits „in der Abarbeitung“. Auch Mitte August bei der Vorstellung seines Wahlprogramms bekräftigte Wiegand vor Medienvertretern auf Nachfrage, er vertrete „bereits seit drei Jahren“ diese Forderung, die berechtigt sei. Allerdings sei auch Rücksicht auf die Wirtschaft wichtig, so Wiegand damals. Inzwischen hat Wiegand seine Position jedoch offenbar wieder revidiert. Eine Verkehrs-Kehrtwende mit quietschenden Reifen sozusagen, wie der StäZ-Aussagencheck offenbart.[ds_preview]

Denn inzwischen lautet Wiegands Position so: „Ich habe mich klar geäußert: Ganz autofrei geht überhaupt nicht!“ Bestimmte Gebiete könnten nicht komplett autofrei gemacht werden,  zum Beispiel aus Rücksicht auf die Händler. Zwar werde die Stadt weiter versuchen, Rad- und Fußverkehr wie auch den ÖPNV „weiter zu unterstützen“. So würden Autos nach und nach immer weniger eine Rolle spielen. Es brauche aber keine neuen politischen Beschlüsse im Stadtrat. Die verkehrsarme Innenstadt, wie es bereits Beschlusslage sei, genüge. Gesagt hat Wiegand das Ende September im Facebook-Talk mit der Mitteldeutschen Zeitung (ab Minute 8:00).

Die verkehrspolitische Kehrtwende zurück ist bisher jedoch im Wahlkampf kaum aufgefallen. Auch MZ-Moderator Dirk Skrzypczak hakte auf Facebook nicht nach. Eine Kehrtwende ist es dennoch. Erst übernimmt Wiegand im Sommer „alle Forderungen“ von Fridays for Future, darunter auch die autofreie Innenstadt. Und Ende September dann geht die autofreie Innenstadt „überhaupt nicht“.

Die Forderung nach einer autofreien Innenstadt ist freilich selbst für den rot-grün-roten Kandidaten Hendrik Lange (Linke) ein politisches Minenfeld, in dem er sich nur sehr behutsam vorantastet. Auch Lange spricht nicht (mehr) von autofreier Innen- oder Altstadt, auch weil es ziemlich große rechtliche Hürden gibt. CDU/FDP-Kandidat Silbersack indes findet, die Innenstadt sei bereits autoarm genug. Eine bessere Taktung der Straßenbahn sei eine bessere Maßnahme. Lediglich Falko Kadzimirsz von den Freien Wählern tritt noch für die „KFZ-freie Altstadt“ ein.

Wiegand und die Fridays-for-Future-Bewegung, das war seit Beginn eine schwierige Beziehung. Kurzzeitig hatten die Jugendlichen um den Oberbürgermeister geworben, wollten aber von vornherein nicht als Bittsteller zu ihm kommen, sondern ihm auf Augenhöhe begegnen. Auf politische Vereinnahmungsversuche oder was sie als solche empfanden, reagierten die Aktivisten schnell allergisch. Der Sprecher des OB Drago Bock musste sich im Frühjahr am Rande eines Klimaprotests auf dem Markt harsche Worte anhören. Wiegand versuchte dann im Juni, die Stadtverwaltung beinahe als klimapolitische Musterkommune darzustellen. Die politkritische, klimabewusste Jugend – ein nicht zu vernachlässigendes Wählerpotenzial. Ob die Akkrobatik in den politischen Aussagen dort allerdings gut ankommt, ist fraglich.

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siggivonderheide@me.com
4 Jahre her

Die klimabewusste Jugend zwischen 16 und 18 Jahren sind leider nur 1600 Wähler*innen…