Klimastreik greift Raum

Die Klimademo am Freitag zeigt, dass Klimaschutz auch in Halle nicht mehr nur der Spleen von ein paar wenigen Schülern ist.

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Rund 5.000 Menschen haben am Freitag in Halle für besseren und schnelleren Klimaschutz demonstriert. (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Wenn früher die Kirchenglocken Sturm läuteten, dann konnte das auch die ultimative Warnung vor einer Katastrophe sein. Eben vor einem Sturm, einem Großbrand oder einer anderen nahenden Gefahr. Das Glockengeläut war oft der beste Weg, eine gesamte Stadt zu warnen und auf die Beine zu bringen, um sich der Gefahr zu stellen. Am Freitag hat in Halle, wie an vielen anderen Orten in Deutschland auch, Glockengeläut die Klimaproteste begleitet, und auch die nehmen ja für sich in Anspruch, vor drohendem Unheil weltweiten Ausmaßes zu warnen. Kurz vor 12 Uhr mittags setzten sich die Glocken der Marktkirche in Bewegung und zeigten damit, dass die weltweite Bewegung auch in Halle längst mehr geworden ist, als eine reine Schülerveranstaltung. Fridays for Future greift inzwischen gesellschaftlich Raum.[ds_preview]

Denn während sich in der Marktkirche auf Einladung der Evangelischen Kirche rund 20 Menschen zur Klimaschutz-Andacht versammelten, strömten auf dem Hallmarkt nebenan aus dem gleichen Motiv tausende Hallenserinnen und Hallenser mit selbstgebastelten Plakaten zusammen, wie in fast allen Städten Deutschlands und vielen anderen Orten auf der Welt. Kinder und Jugendliche waren da, vom Kindergartenkind bis zur angehenden Abiturientin, Eltern, Kommunalpolitiker, Vertreter der Gesellschaft, auch die „Omas for Future“, eine Gruppe hallescher, freilich jung gebliebener Seniorinnen. Climate Justice – Klimagerechtigkeit –, die Bewahrung der Schöpfung, die Energiewende und der Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung, eine Verkehrswende, aber auch eine Wende im persönlichen Verhalten der Einzelnen waren Forderungen, die die Demoteilnehmer kurz vor einer weiteren UN-Klimakonferenz in New York und am Tag, für den die Bundesregierung ein Klimaschutzpaket angekündigt hatte, auch auf Halles Straßen tragen wollten.

Gegen Mittag sprach die Polizei gegenüber Journalisten von rund 2.000 Demonstrationsteilnehmern auf dem Hallmarkt. Als sich der Zug in Bewegung setzte, und den Innenstadtring entlang und später zum August-Bebel-Platz zog, dürften es nach StäZ-Schätzungen streckenweise über 5.000 Menschen gewesen sein. Die Veranstalter sprachen am Ende von 4.500 Teilnehmern. Hashtag #Allefürsklima. Es ist die größte Klimademonstration, die Halle bisher erlebt hat.

Nicht nur in der Marktkirche am Beginn, sondern durchweg durch die gesamte Demonstration war die Stimmung ausgesprochen friedlich. Es ist die Eigenart dieser Fridays-For-Future-Demos, dass sich Schüler wie Erwachsene zwar einig sind in ihrer Wut auf das aus ihrer Sicht viel zu schleppende Tempo hin zu politischen Maßnahmen, die den Klimawandel noch verhindern oder vielmehr begrenzen sollen. Doch der Protest selbst kommt nicht wütend daher. Stattdessen herrscht eine ganz eigene Mischung aus jugendlicher Fröhlichkeit und Ernst, die es so nur bei wenigen Demonstrationen gibt.

Auf ungezählten Schildern und Transparenten sind Forderungen und gleichsam kreative wie oft auch humorvolle Auseinandersetzungen mit der Klimapolitik zu lesen. „Dinosaurier dachten auch, sie hätten Zeit!“, „I want a hot date, not a hot planet“, „Wir werden Seen – Gletscher nimmt Klimawandel gelassen“ oder „Macht es wie wir Kinder: werdet erwachsen“, um nur einige zu nennen. Eine Gruppe Schüler zog mit der Puhdys-Hymne der Berliner Eisbären, einem Eishockeyverein, um Halles Innenstadt: „Hey, wir woll’n die Eisbär’n seh’n, ohohohoho!“

Natürlich gibt es auch Gegner, die die Klimabewegung ausgemacht haben will. Neben der Politik und sogenannten Kohlekonzernen sind das vor allem Autofahrer. „Es gibt kein Recht, mit SUV zu fahren“, skandiert der Demozug immer wieder. Am Waisenhausring ist ein Lieferwagenfahrer so genervt vom Demostau, dass er minutenlang auf die Hupe drückt – im Vergleich zum fröhlichen Demojubel, der immer wieder aufbrandet, ein klägliches Geräusch.

Auch inhaltlich setzt sich die Demo auf durchaus gehobenem Niveau mit ihrem Thema auseinander. Auf dem Hansering – der vordere Teil der Demo sitzt jetzt auf dem Asphalt – hält der Wissenschaftler Felix Ekardt eine fünfminütige Rede. Er beglückwünscht die Schüler, dass sie in relativ kurzer Zeit so ein starkes Umdenken in der Gesellschaft bewirkt hätten. „Ihr habt das Recht auf Eurer Seite“, ruft er sowohl mit Blick auf das Pariser Klimaabkommen, das wie die Schüler einschneidende Maßnahmen fordere, als auch mit Blick auf den Schulstreik selbst. Ekardt, der Nachhaltigkeitsforscher und Jurist ist, hält es für höchst fragwürdig, die Schüler wegen des Klimastreiks zu sanktionieren, wie es viele fordern.

Überhaupt herrscht in der Gesellscahft in der Auseinandersetzung mit dem Klimastreik oft noch Ablehnung vor. Sie sollten doch erst einmal selbst beispielsweise aufs Fliegen verzichten oder anfangen, Müll aufzusammeln, statt nur zu demonstrieren, heißt es dann oft. Das Thema greift am Freitag eine Schülerin auf, die nach Ekardt spricht. Sie hält wiederum den Erwachsenen vor, zwar oft zu beteuern, mehr für den Klimaschutz tun zu wollen. Am Ende flögen aber trotzdem viele mit dem Flieger in den Urlaub. „Vielleicht hat man dann ein schlechtes Gewissen, aber das nützt dann auch nichts mehr“, so die Rednerin. Eindringlich ruft sie die jungen Menschen der Demo auf, auch ihre Sicht auf das Leben zu verändern. Urlaub zum Beispiel müsse nicht automatisch mit Fliegen verbunden werden. „Unsere Eltern waren auch glücklich, ohne jede Ferien weggeflogen zu sein.“ Bewusster Verzicht, auch bei der Ernährung mit bestimmten klimaschädlichen Nahrungsmitteln, könne auch glücklich machen – weil man etwas Vernünftiges tue. Veränderung, so der Tenor, fängt im Kopf an.

Auch nach der Demo selbst, die noch bis zum August-Bebel-Platz zog und dort mit Musik und bester Laune zu Ende ging, zeigt sich, dass das Klimathema in Halle inzwischen um sich greift. Aktivisten veranstalteten einen „Parking Day“ in der Geiststraße, um auf alternative Nutzungsformen für Parkplätze aufmerksam zu machen. Was am Anfang des Protesttages die Evangelische Kirche war, die als wichtiger gesellschaftlicher Akteur die Klimademo unterstütze, war am Ende die Uni Halle. Im Audimax hielten Wissenschaftler nach Demoende Vorträge und Diksussionen ab. Der Freitag für die Zukunft in Halle hat gezeigt: Klimaschutz ist inzwischen mehr als ein kleiner Spleen von ein paar Schülern.

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