(K)ein Käfig voller Narren 

Spielzeitauftakt auf der Kulturinsel mit Lessings "Nathan der Weise"

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Mit „Nathan der Weise“ hat am Wochenende am nt die Spielzeit begonnen. Im Bild: Matthias Walter, Nils Andre Brünnig, Alexander Pensel, Nicoline Schubert, Petra Ehlert, Marlene Tanczik (v.l.) (Foto: Anna Kolata/Bühnen Halle

Halle/StäZ – Theaterintendanten vom Kaliber eines Matthias Brenner lieben das große Spektakel, geben gerne den sagenhaften Striese. Bei der Eröffnung der Spielzeit entfesseln sie es dann tatsächlich. Tanz und Spiel in allen Sälen. Und auf der Kulturinsel natürlich auch im Hof. Wenn man schon so einen fabelhaften Ort zur Verfügung hat!

Da macht der Chef auch gerne mal mit ein paar Clowns (seinen bewährten Ensemble-Schlachtrössern Hilmar Eichhorn und Jörg Simonides) an seiner Seite selbst den Ausrufer! Und lässt seine Neuen vom Schauspielstudio nach der Vorstellung als Band losrocken.

Spielzeitauftakt vor dem Opernhaus (Foto: Falk Wenzel/Bühnen Halle)

Bei solchen Gelegenheiten, wenn der Betrieb wieder anläuft, sind für den Moment auch mal die erbitterten Streitigkeiten, die die TOO in Atem und in den Schlagzeilen gehalten haben, vergessen. Da dominiert die Hoffnung, dass wenigstens mit dem Theaterchef (anders als in der Oper) doch noch eine Vertragsverlängerung zustande kommt, da ist die Neugier auf das Verhalten eines neu (?) bestückten Aufsichtsrates für kurze Zeit erst mal at acta gelegt. Da tun wir mal alle so, als wär nichts. [ds_preview]

Die Oper stellt open air das Programm der neuen Spielzeit und auch neu dazugekommene Künstler vor. Und auf der Kulturinsel ist der Bär los wie man so sagt. Das Publikum darf nicht nur, es muss wählen. Schon beim Warmlaufen mit vier kleinen Spektakel-Miniaturen.

Dialogklamauk „Die Boxer“. (Foto: Falk Wenzel/Bühnen Halle)

Da hat Katharina Brankatsch unter dem Titel „Die Boxer“ einen absurden Dialogklamauk (von Konrad Bayer) in zwölf Runden zwischen Harald Höbinger und Peter W. Bachmann in einem Boxring platziert. Die Überprüfung vor Ort ergab: es ist drin, was drauf steht. Vom Hof schallt manchmal unterdessen Musik vom „Sängerwettstreit der Kulturen“ hinauf. Hier muss man dreimal kommen, um alle angetretenen Musiker zu erleben. Wer sich für das Schaufenster entschieden hatte, bekam einen „Großstadt-Imbiss“ vom der Stadt Halle verbundenen Starautor Clemens Meyer von Naemi Feitisch, Tristan Becker und Jan Wenglarz serviert.

Spielzeitauftakt im Hof des neuen theaters (Foto: Falk Wenzel/Bühnen Halle)

Auf der Probebühne schließlich versuchte sich Martin Reik an einer musikalischen Höchstleistung unter dem Titel „Stiftung Religionstest“; mit Nora Schulte, Enrico Petters, Jennifer Krannich, Lena Gehrke und Lucas Leybold an seiner Seite. Man muss also mindestens viermal wiederkommen, um den Überblick zu behalten.

Zweimal aber mindestens. Auch eine Art von Zuschauerwerbung. Wer sich beim Hauptgang dieses üppigen Theatermenüs für den „Nathan“ entschieden hatte, der konnte sich danach von den Besuchern, die aus dem „Tempelherrn“ kamen, berichten lassen, ob es sich lohnt, auch in das modernere der beiden Stücke zu gehen. Umgekehrt konnten sich die Gäste des „Tempelherrn“ berichten lassen, was vom guten alten Lessing wohl übrig geblieben ist, nachdem sich Ronny Jakubaschk (Regie) und Alexandre Corazzola dessen „Nathan“ vorgenommen haben.

Zum Motto „East meets East“ passt der natürlich haargenau. Zwar müsste schon wieder ein Euro in das imaginäre Sparschwein für überflüssige Anglizismen, aber den „Nathan“ bekommen wir schon in Deutsch geboten. Wenn da manchmal Worte untergehen, dann liegt das einfach an der akustischen Kehrseite der an sich gescheiten Bühne, die in U‑Form mit Zuschauertraversen umgeben ist. Man kann halt nur in eine Richtung sprechen, und wer dann mal im Rücken sitzt, der muss einfach mal die Ohren spitzen. Aber Nathan bleibt Nathan, auch wenn Hausregisseur Jakubaschk, der am nt schon mit  „Tschick“ (2012), dem „Weißen Rössl“ (2014),  „Wir sind keine Barbaren!“ (2015), „Djihad Paradise“ und einer „Blechtrommel“-Version (2017) ziemlich gepunktet hat, hier mehr auf die Form des Theaters als auf ein Theater für den Text aus ist.

Petra Ehlert, Matthias Walter (v.l.) (Foto: Anna Kolata/Bühnen Halle

Wenn schon in Kultursendungen des Radios von weiblichen Regisseurinnen gesprochen wird oder im Weimarer Kunstfestprogramm Falk Richter als einer der wichtigsten Autor*innen und Regisseur*innen angepriesen wird, dann müssen Nathan, der Sultan Saladin und der Tempelherr natürlich von Frauen und Nathans Ziehtochter Recha, die Amme Daja und Saladins Schwester Sittah von Männern gespielt werden. Fragt sich nur: Wollen wir wirklich so weit sein, Geschlechterzugehörigkeit nicht als biologische Konstante, sondern als durch stilisierte Wiederholung sozialer Gesten zustande gekommen, aufzufassen? Wie es uns das Programmheft offeriert. Am analytischen Teil ist was dran, aber der Rückschluss auf eine Besetzung der Rollen gegen das Geschlecht muss nicht einleuchten. Aber lassen wir diese Form von zeitgeistigem, ja letztlich doch nur Oberflächen-Gendern beiseite und nehmen die Entscheidung von Regisseur*in und Dramaturg*in als gegeben hin.

Marlene Tanczik, Alexander Pensel (v.l.) (Foto: Anna Kolata/Bühnen Halle

Schauspielerisch gemacht haben sie ihre Sache gut. Den klassischen Text mit einer Geschichte um die Ring-Parabel herum. In der Form dominiert den Abend ein entfesseltes Bretterbuden-Theater mit comichaften Elementen, das mit einer Melange aus Mutwillen und Originalität einen (vermeintlich wohl angestaubten) Text zu verfremden und dadurch aufzupolieren versucht. Sie kommen in einem Narrenkahn mit Narrenmützen aus einer fernen Zeit in unsere Theaterwelt gefahren. Machen aus dem Kahn auf ein, zwei, drei ein Bretterpodest, also eine Bühne für ein Stück Welttheater. Und ziehen dort alle Register. Wechseln die Rollen in einem Atemzug – Matthias Walter pendelt mühelos zwischen Daja und dem Klosterbruder. Nicoline Schubert zwischen Sultan Saladin (mit prächtigem Schmuckturban) und dem fiesen Patriarchen, den man nun wirklich lieber gehen als kommen sieht. Nils Andre Brüning von der Sultansschwester Sittah zum Krämer zwischen den Welten Al-Hafi. Das sind für sich genommen lauter komödiantische Kabinettstücke. Ohne diese Verwandlungszugaben ist Petra Ehlert ein gegen allen Altmänner- und Weisheitshabitus gebürsteter, fest in seiner Vernunft ruhender Nathan. Gut geeignet als Berufungsinstanz für die Lösung der Weltprobleme. Ein vitale Personifizierung einer wunderbare Illusion. Bei Alexander Pensels Recha und Marlene Tancziks Tempelherr siegt am Ende gegen alle Verfremdung die Theaterillusion. Aber die stellen sich ja eh als Geschwister heraus. Lessing ging beim Ende seiner Geschichte dann doch auf Nummer sicher.

Nathan der Weise am neuen theater: Ensemble (Foto: Anna Kolata/Bühnen Halle)

All das, was da mit temporeichem Eifer auf und um das Spielpodest herum entfesselt wird, ist aber (dann doch und zum Glück) nur die Fassung für den Edelstein. Die Ringparabel, diese berühmte Geschichte mit der sich der Jude Nathan auf die Frage des Sultans nach der einzig wahren Religion aus der Affäre zieht – und die es zu einer Art Toleranzedikt der Literatur gebracht hat – liefert Petra Ehlert mit mimischem Ernst – da ist kein Kratzer drauf.

Ruhig und gut gesprochen folgen die Zuschauer jetzt gebannt dem, was viele von ihnen mindestens noch kennen und dessen Intention sie wohl folgen würden. Merke: solche Texte funktionieren pur am besten.

Am Ende wird das Spielpodest wieder zum Narrenschiff und legt ab. Am Ufer der Gegenwart bleibt eine Ladung Nachdenkfutter zurück.

Nathan der Weise
Regie: Ronny Jakubaschk; Bühne und Kostüme Alexandre Corazzola
Nächste Vorstellungen:
Samstag, 28., (19.30 Uhr) 29. September (19.30 Uhr) 22. Oktober, (18 Uhr), 23. Oktober, (19.30 Uhr), 30. November 2019, (19.30 Uhr) 
https://buehnen-halle.de

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