Volkssolidarität will kritische Kita-Eltern loswerden

Vor dem Landgericht Halle wird derzeit die Frage verhandelt, ob einem hartnäckigen Elternvertreter einfach der Kitaplatz gekündigt werden kann. Die Vorwürfe haben auch eine politische Dimension.

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Vor dem Landgericht Halle wird derzeit über einen Kitastreit verhandelt. (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Kann eine private Kita den Kitaplatz der Kinder kündigen, nur weil der Vater als Elternvertreter kritisch und hartnäckig mutmaßliche Missstände in der Geschäftsführung klären will? Mit dieser Frage muss sich seit Montag das Landgericht Halle befassen. Im Eilverfahren versucht ein hallesches Elternpaar per Klage zu verhindern, dass die Kündigung der Kitaplätze für die zwei Töchter wirksam wird. Die Kinderland Halle gGmbH, eine Tochter der Volkssolidarität Saale-Kyffhäuser, hatte die Verträge gekündigt mit dem Argument, der Vater störe mit ständigen Nachfragen zur Verwendung von Zusatzbeiträgen, die die Kita erhebt, den Betriebsfrieden. Dadurch sei auch das für die Betreuung der Kinder nötige gegenseitige Vertrauen nicht mehr vorhanden. Der Kläger ist Mitglied des von den Eltern gewählten Kuratoriums der Einrichtung. Dadurch könnte der Fall grundsätzliche Bedeutung erlangen, denn das Gericht muss klären, ob kritische Elternvertreter im Zweifel den Kitaplatz ihrer Kinder riskieren. Auch politisch ist der Fall brisant: Denn er könnte ein Schlaglicht auf das Agieren des größten privaten Kita-Betreibers in Halle werfen. Vor Gericht warf der Elternvertreter Volkssolidaritäts-Geschäftsführer Dirk Jürgens am Montag jedenfalls vor, mit unwahren Behauptungen gegen die Elternvertreter und seine Familie zu arbeiten. Dieser wies die Vorwürfe zurück.[ds_preview]

Mit dem Trägerwechsel begann der Streit

Der Streit in der kleinen „Kita Lebensbaum“ in der Fischer-von-Erlach-Straße schwelt im Prinzip seit 2017. Damals hatte die Volkssolidarität die private Einzelkita übernommen, dem Vernehmen nach mit einem Kaufangebot, das mehrere Bieter, die sich ebenfalls um die insolvente Kita beworben hatten, bei Weitem ausgestochen hatte. Zuvor hatten Eltern und Erzieher die Kita unter anderem in Eigenregie retten müssen, nachdem die bisherigen Betreiber praktisch über Nacht Kinder und Erzieher im Stich gelassen hatten und spurlos verschwunden waren. Die danach erfolgte Übernahme der einzelnen Kita durch die Volkssolidarität war offenbar auch eine Art Probelauf für den Kauf des ebenfalls insolventen großen halleschen Kitaträgers SKV kurze Zeit später.

Nominell ein anderer Vorgang, war die SKV-Insolvenz damals ein Politikum: Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) hatte sich seinerzeit für einen Verkauf stark gemacht, die SKV-Leitung um den damaligen Geschäftsführer Bodo Meerheim wollte die Sanierung in Eigenregie betreiben. Meerheim war und ist Vorsitzender der Linksfraktion im Stadtrat. Die Volkssolidarität Saale-Kyffhäuser, die vorher nur eine Kita in Halle betrieben hatte und ansonsten vor allem im Raum Querfurt und in Nordthüringen aktiv ist und offenbar über erhebliche Geldmittel verfügte, war so innerhalb weniger Wochen zum größten privaten Kitabeträger in Halle geworden.

An der kleinen „Kita Lebensbaum“ hat die Übernahme durch die Volkssolidarität aber offenbar nur für neuen Ärger zwischen Eltern und dem neuen Kita-Träger gesorgt. Im Zentrum des Streits stehen die Zusatzbeiträge von 40 Euro pro Monat, die an der Kita zusätzlich gezahlt werden müssen – übrigens schon seit der Zeit vor der Übernahme durch die Volkssolidarität. Vor Gericht schilderte Elternvertreter Cornelius D., wie er und die anderen Mitglieder des Kuratoriums mehrfach versucht hatten, Transparenz über die Verwendung dieser Mittel zu erreichen, bis heute ein erfolgloses Unterfangen, wie D. berichtet.

Richter zweifelt, Träger pocht auf Vertragsfreiheit

Er ist sichtlich angefasst. Dass seinen Töchter wegen des Streits mit dem Geschäftsführer der Kitaplatz gekündigt wurde, treibt ihn zur Verzweiflung. Immer wieder schüttelt er im Gerichtssaal den Kopf, während der Anwalt der Gegenseite, Rechtsanwalt Wilm Wirtz aus Görlitz, zu langen Erklärungen ausholt. Richter Christian Häntschel will vor allem von ihm und Volkssolidarität-Geschäftsführer Dirk Jürgens wissen, wieso sie das Vertrauensverhältnis durch die Arbeit des Elternvertreters gefährdet sehen. Als Richter, so lässt Häntschel durchblicken, sehe er durchaus zwei verschiedene Ebenen: Kritik an der Geschäftsführung durch ein Elternteil, ob berechtigt oder nicht, müsse sich nicht zwangsläufig auf die Arbeit der Erzieher mit den Kindern auswirken, zu deren Nutzen die Betreuungsverträge gemacht seien.

Volkssolidarität-Anwalt Wirtz pocht jedoch auf die Vertragsfreiheit als privater Kitabetreiber. Die Kündigung der Betreuungsverträge sei fristgerecht erfolgt. Zudem sei die Art und Weise, wie Cornelius D. seine Kritik vorgebracht habe, „stark beleidigend und anmaßend“ gewesen, so Jürgens. „Da wurde mir jegliche Kompetenz als Geschäftsführer abgesprochen.“ All das, so Anwalt Wirtz, schlage natürlich auch auf die Arbeit in der Kita durch. Im Übrigen sei ein Kita-Elternvertreter nicht zu allem berechtigt. „Wir sind nicht im Arbeitskampf, und das ist auch keine Gewerkschaft“, so Wirtz. Zudem habe D. seine Vorwürfe direkt in der Kita gegenüber Mitarbeitern thematisiert. „Wenn ein Kunde zur Deutschen Bank kommt und dem Kassierer Vorwürfe wegen irgendwelcher Cum-Ex-Geschäfte macht, dann kann die Deutsche Bank auch sagen, dass man dem Mann lieber kein Konto anbieten will“, so Wirtz. Auch bei Karstadt könne man nicht einfach gegenüber dem Verkäufer über die Geschäftsführung herziehen. Vergleiche, die beim Richter offenkundig nicht verfingen.

Anders die Version der Klägerseite: Jürgens stelle in seiner eidesstattlichen Versicherung gegenüber dem Gericht Unwahrheiten über seinen Mandanten in den Raum, so Anwalt Jens Stiehler aus Halle. Zudem würden die Zusatzbeiträge nach Erkenntnissen der Elternvertretung nicht zweckentsprechend verwendet. Die Kinder würden in der Kita dennoch sehr gut betreut, trotz des Streits mit dem Geschäftsführer, so Elternvertreter D.. Er wisse nicht, wie er ihnen sagen solle, dass sie ihre Freunde in der Kita nicht mehr sehen dürften. Wie das Gericht entscheidet, ist bislang offen. Richter Häntschel will im Eilverfahren am 26. Juni eine Entscheidung treffen. Die Entscheidung in der Hauptsache dürfte sich noch einige Monate hinziehen.

Rund 15 Eltern der Kita waren am Montag im Publikum. Man wolle dem Elternvertreter den Rücken stärken, hieß es. Eine Mutter sagte zur Städtischen Zeitung: „Ich möchte außerdem schon gerne wissen, wohin mein Geld fließt, das ich jeden Monat zahle.“ Durch die Übernahme der Kita durch die Volkssolidarität sei es mit der Kita bergab gegangen, so eine andere Mutter. Die Inneneinrichtung sei erheblich ausgedünnt worden, und der Garten sei in einem verwahrlostem Zustand. „Und das, obwohl wir pro Monat 40 Euro Zusatzbeitrag zahlen. Was passiert mit dem Geld?“ Ob die Frage vor Gericht geklärt wird, ist offen. Aber dem Vernehmen nach interessiert sich inzwischen auch die Stadt als Aufsichtsbehörde für den Fall.

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