Wolfgang Aldag: „Parteien nicht permanent schlechtreden“

Im Interview spricht Grünen-Stadtrat Wolfgang Aldag über seinen Weg vom parteilosen OB-Unterstützer in eine der heutzutage vielgescholtenen Parteien. Die, findet er, sind besser als ihr Ruf.

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Partei oder Wählervereinigung: Wolfgang Aldag ist ein Wandler zwischen den Welten. (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Zur Stadtratswahl am 26. Mai treten in Halle so viele Parteien und Wählervereinigungen an wie wohl noch nie. Wird für die Parteien die Luft also dünner und wandern möglicherweise immer mehr Wähler zu den Parteilosen ab? Wolfgang Aldag ist den umgekehrten Weg gegangen, von der Wählervereinigung zur Partei, vom parteilosen Wiegandunterstützer zum parteigebundenen Wiegandkritiker. 2012 noch Wahlkampfhelfer für den Wiegand-Wahlverein Hauptsache Halle, ist er danach 2014 binnen kurzer Zeit Stadtrat für Bündnis 90/Die Grünen geworden. Heute sagt er: „Das ist nicht mehr mein OB.“ Es sei etwas zerbrochen zwischen den einstigen politischen Freunden.

Wählervereinigung oder Partei: Aldag kann also aus einer rein persönlichen Warte von beidem berichten und unternimmt im Gespräch mit StäZ-Redakteur Felix Knothe den Versuch einer Ehrenrettung für die vielgescholtenen Parteien. Ein Wahlverein sei nicht unabhängiger als eine Partei. Diese würden außerdem wesentlich stärker kontrolliert und reglementiert. Filz und Interessenkonflikte gebe es zwar auch in Parteien, doch seien Wählervereinigungen seiner Ansicht nach genauso anfällig dafür, wenn nicht noch stärker. Unter dem jetzigen OB sei der sprichwörtliche hallesche Filz aus seiner Sicht jedenfalls noch schlimmer geworden. Engagieren für Halle könne man sich dagegen in Parteien und Wählervereinigungen gleichermaßen gut, so Wolfgang Aldag.[ds_preview]

Herr Aldag, wir wollen mit Ihnen über den Unterschied zwischen Parteien und Wählervereinigungen sprechen. Sie haben beide Seiten erlebt. Was ist der Unterschied?
Wolfgang Aldag: Vor vielen Jahren war ich kurz bei den Mitbürgern engagiert. 2012 habe ich zur OB-Wahl im Verein Hauptsache Halle mitgearbeitet. Jetzt bin ich bei den Grünen. Oft heißt es immer, als Wählerverein sei man unabhängig, aber da gibt es kaum Unterschiede für mich. Man ist auch im Wahlverein nicht unabhängiger als in einer Partei. Unterschiede sehe ich eher darin, dass Parteien natürlich eine größere inhaltlich-programmatische Linie haben, das Parteiprogramm, das es in allen Parteien gibt. Aber das ist weniger ein Korsett als eine gemeinsame Verbindung zwischen den Mitgliedern. Deswegen ist man ja in einer Partei: weil einem die gemeinsamen Inhalte am Herzen liegen. Wählervereinigungen haben nur in Ansätzen einen programmatischen Rahmen. Viel öfter sind sie jedoch geprägt durch das Streben der Einzelnen nach ihren persönlichen Vorteilen.

Haben Sie Beispiele?
Aldag: Bei den Mitbürgern habe ich das vor vielen Jahren zum ersten Mal erlebt. Da gab es damals Architekten oder Rechtsanwälte, und die Ausschüsse wurden dann so besetzt, dass die Einzelnen auch für ihren Beruf etwas mitnehmen konnten. Das ist bei den Mitbürgern inzwischen kaum noch so. Aber Tom Wolter zum Beispiel ist freier Schauspieler und hat in dieser Wahlperiode massiv von Stadtrats- und Verwaltungsentscheidungen zur Förderung der freien Theater profitiert. Da kann man schon der Meinung sein, dass das schwierig ist. In Parteien ist das eher weniger so. Da kommt man viel eher unter Druck, beziehungsweise ist das Skandalpotenzial höher, wenn man für den persönlichen Zweck Politik macht.

„Bei Parteien wird die Finanzierung viel strenger kontrolliert.“

Das scheint eine gewagte These zu sein: Filz, wie er oft dem parteilosen Oberbürgermeister vorgeworfen wird, ist doch auch in Parteien verbreitet. Beispiele gibt es genug.
Aldag: Interessenkonflikte gibt es tatsächlich auch in Parteien, bis hin zur Linken. Dort ist Bodo Meerheim auch Multifunktionär: Er ist Fraktionsvorsitzender, Aufsichtsratsvorsitzender der GWG, Präsident bei den Wildcats, die wiederum von der GWG gesponsert werden. Da ist auch nicht immer klar, welche Rolle gerade gespielt wird. Für mich schließt sich das eigentlich alles gegenseitig aus, auch wenn es rechtlich vielleicht okay ist. Oder nehmen wir auf der anderen Seite Hauptsache Halle: Manuela Hinniger saß fast fünf Jahre für die Linken im Stadtrat, schreibt aber auf ihr Hauptsache-Halle-Plakat: „Neu im Stadtrat“ und „Unabhängig“. Sie ist weder neu, noch ist sie unabhängig. Sie hat auf Betreiben des OB in einem städtischen Unternehmen gearbeitet. Jetzt, wo sie dort entlassen wurde, hat er sie zur Wirtschaftsberaterin gemacht.

Engagement werde in Parteien nicht eingeengt, findet Wolfgang Aldag. (Foto: xkn)

Aber wie soll man sich frei machen davon? Ist nicht ein gewisses Doppelengagement in einer Stadt wie Halle gar nicht auszuschließen?
Aldag: Dass es geht, hat zum Beispiel Denis Häder von den Mitbürgern gezeigt. Als der beruflich zu einer städtischen Gesellschaft gewechselt ist, ist er konsequent zurückgetreten aus dem Stadtrat, weil er gesagt hat, dass beides zusammen nicht geht: Interessenkonflikt. Das war anständig. Ich habe mein Landschaftsplanungsbüro aufgegeben, als ich in den Landtag gegangen bin. Andere Landtagsabgeordnete machen ihren Job hingegen einfach weiter. Für mich hat sich das ausgeschlossen, denn am Ende kann man sich nicht freimachen von diesen Konflikten, wenn man sie nicht konsequent aus der Welt schafft.

Da wären doch eigentlich Mechanismen der Selbstkontrolle nötig, bei Parteien und Wählervereinigungen. Gibt es so etwas?
Aldag: Dadurch, dass so etwas immer wieder vorkommt, gibt es die wirksame Selbstkontrolle anscheinend nicht. Letztlich muss jeder für sich selbst entscheiden, ab wann eine Konstellation problematisch wird. Aber Parteien sind dem Ziel vielleicht ein Stück weit näher. Da gibt es, wie gesagt, schneller Druck.

Gibt es noch andere Unterschiede zwischen Parteien und Wählergruppen?
Aldag: Noch eine Sache ist aus meiner Sicht ganz entscheidend: Bei Parteien ist die Finanzierung ganz klar gesetzlich geregelt und wird viel strenger kontrolliert. Klar, auch da gibt es immer wieder Skandale. Aber von Anfang an ist klar und muss offengelegt werden, wie sich Parteien finanzieren und von wem sie große Spenden erhalten. Bei den Wählervereinigungen ist das anders. Vereine wie Hauptsache Halle sind nicht verpflichtet, ihre Finanzen offenzulegen. Und wer in Halle aufmerksam ist, merkt, wie gerade im Wahlkampf die Grenzen verschwimmen.

Was meinen Sie konkret?
Aldag: Da gibt es viele Beispiele: Nehmen Sie die Veranstaltungen im von der Stadt mitfinanzierten Literaturhaus, bei denen der Oberbürgermeister als Oberbürgermeister im Podium sitzt, was vom Verein Hauptsache Halle finanziert wird, der wiederum Werbung für seine Stadtratskandidaten macht. Im Thalia-Theater gab es eine öffentliche Veranstaltung, auf der Hauptsache Halle Flyer verteilt hat. Wenn Parteien so etwas machen würden, gäbe es sofort einen Aufschrei. Da wird zu Recht streng darauf geachtet, wo und in welchem Rahmen Parteiwerbung überhaupt erlaubt oder legitim ist. Wir dürfen zum Beispiel im Stadthaus vor den Fraktionsräumen der Grünen keine Parteiwerbung machen, weil die Fraktion mit öffentlichen Geldern finanziert wird. Das ist eine sinnvolle Regel, bei deren Überschreitung Parteien sofort einen Skandal auslösen würden. Wenn Hauptsache Halle bewusst die Grenzen überschreitet, sorgt das nur für Achselzucken. Und wer dort für den Wahlkampf spendet und aus welchen Motiven, weiß auch niemand.

Sie waren ja selbst einmal Mitglied bei Hauptsache Halle. Ist damals über so etwas geredet worden? Wie haben Sie das empfunden?
Aldag: Damals war Hauptsache Halle klar gegründet worden, um Dr. Wiegand zum Oberbürgermeister zu machen. Da war von Anfang an klar: Wenn der Wahlkampf vorbei ist, gibt es den Verein auch nicht mehr. Der wird dann zugemacht.

Woher hatte der Verein sein Vermögen?
Aldag: Tja. Gute Frage.

Wohin ist das Vermögen gegangen, als er sich aufgelöst hat?
Aldag: Gute Frage.

So tief haben sie nicht dringesteckt?
Aldag: Ich war nicht im Vorstand. Ich war ganz normales Mitglied.

Der Verein ist voriges Jahr neu gegründet worden. Sehen Sie Unterschiede?
Aldag: Wie gesagt: Damals gab es ein klares Ziel. Jetzt ist es etwas anderes: Der Verein unterstützt nicht nur einen OB-Kandidaten, sondern nimmt als Wählervereinigung auch an der Stadtratswahl teil. Das hatten wir damals kategorisch ausgeschlossen.

Warum?
Aldag: Weil der OB damals als „unabhängig und parteilos“ angetreten ist. Eine eigene Wählergruppe als Machtbasis im Stadtrat hätte ja diesen Anspruch konterkariert. Das Narrativ war damals auch: Dr. Wiegand ist der Gegenpart zur damaligen Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados [SPD, Anm. d. Red.]: offen, transparent, mit dem Stadtrat gut zusammenarbeitend. Hinterher hat sich leider schnell herausgestellt, dass das so nicht funktioniert hat.

Warum nicht?
Aldag: Da haben beide Seiten ihren großen Anteil daran, Stadtrat und OB. Beide müssen ja miteinander arbeiten wollen. Bei manchen Fraktionen war von vornherein klar, dass sie das nicht wollen. Und auch der OB hat nie wirklich etwas dafür getan, den Stadtrat für sich zu gewinnen. Der Anspruch vor der Wahl war jedenfalls ein anderer.

Sie haben auf dem grünen Stadtparteitag gesagt: „Das ist nicht mehr mein OB.“
Aldag: Ja. Wir Grünen und auch ich persönlich hatten uns etwas anderes versprochen: mehr Gespräche, eine gemeinsame Suche nach den besten Lösungen für unsere Stadt. Aber sein Ziel war offensichtlich nur, ins Amt zu kommen und dann sein eigenes Ding durchzuziehen. Er ist nicht derjenige, der alle gern mitnimmt und offen und transparent agiert, sondern er schmiedet seine Ideen in einem ganz engen Kreis. Und dann werden sie nach dem Motto „Augen zu und durch“ durchgesetzt.

Warum haben Sie sich damals für Hauptsache Halle entschieden, statt den grünen OB-Kandidaten zu unterstützen?
Aldag: Damals war ich noch nicht bei den Grünen. Ich hatte die Erwartung an einen anderen Elan. Und Herr Wiegand hat eine Art, sehr enthusiastisch auf einen zuzugehen und zu begeistern. Er ist lösungsorientiert wie ich. Ich war sehr begeistert. „Einfach machen“ ist auch mein Motto, schon lange gewesen, bevor es ein Hauptsache-Halle-Hashtag wurde.

Wieso sind Sie dann zu den Grünen gegangen? Wann kommt man an den Punkt: Jetzt gehe ich doch zur Partei. Geht „Einfach machen“ in einer Parteistruktur überhaupt?
Aldag: Heute kann ich sagen: Natürlich geht das, mit kleinen Abstrichen, die es im Leben immer gibt. Ich bin vom Grundansatz schon damals ein Grüner gewesen. Hauptsache Halle hatte sich ja nach erreichter Mission aufgelöst. Ich war im OB-Wahlkampf aber nah an die Kommunalpolitik gekommen, war engagiert in der Stadt. Insofern lag es irgendwann nahe, auch im Stadtrat gestalten zu wollen. Also bin ich zu den Grünen gegangen.

„Der Filz ist schlimmer geworden.“

Wäre Hauptsache Halle damals schon angetreten zur Stadtratswahl 2014, hätten Sie dann dort mitgemacht?
Aldag: Nein. 2014 stand die Frage kurz zur Debatte, ob es eine Wiegandliste geben sollte. Ich war einer derjenigen, die dagegen waren. Es macht keinen Sinn, eine Wählerliste für einen unabhängigen, parteilosen OB zu haben. Hausmacht und Parteilosigkeit, das geht nicht zusammen.

Warum nicht? Braucht man nicht erst recht als Parteiloser auch eine Basis im Stadtrat?
Aldag: Wo ist dann aber der Unterschied zum OB einer Partei? Unabhängigkeit bedeutet aus meiner Sicht, dass man parteiübergreifend und ausgleichend agiert.

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