„Halle sollte sich stärker in Berlin bekannt machen.“

Im Interview erklärt Yana Mark von der FDP, warum aus ihrer Sicht Ordnung und Sicherheit wichtige Themen sind und wie eine stärkere Anbindung an die Hauptstadt dem Wirtschaftsstandort Halle guttun würde.

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FDP-Stadtratskandidatin Yana Mark. (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Yana Mark ist 29 und will für die FDP in den Stadtrat. Sie ist Spitzenkandidatin ihrer Partei im Wahlbereich 2 und steht für die von den Freidemokraten selbst ausgerufene „Neue Generation Halle“. Im StäZ-Interview mit Redakteur Felix Knothe vertritt sie dann auch einerseits klassische FDP-Positionen, etwa zur Wirtschaftspolitik. Ihre Partei lege aber stärker als früher auch den Fokus auf soziale und Umweltthemen, so die Rechtsanwältin. So wollen die Liberalen bei dieser Stadtratswahl wieder in Fraktionsstärke in den Rat einziehen, nach der Niederlage 2014 in der einstigen liberalen Hochburg. Yana Mark meldet ebenfalls schon einmal leicht Ambitionen auf das Führungsamt der neuen Fraktion an. Den Vorsitz könne sie sich durchaus vorstellen, sagt sie im Interview.[ds_preview]

Frau Mark, die Liberalen haben zur Stadtratswahl den Slogan: „Eine neue Generation Halle“. Sie sind eine Vertreterin dieser neuen Generation. Was hat Sie zur FDP gebracht?
Yana Mark: Ich bin, seit ich ein politischer Mensch bin, eine Verfechterin des Prinzips der Eigenverantwortung. Der Staat sollte die Rahmenbedingungen schaffen, aber die Person selbst sollte ihr Leben frei gestalten können. Es hat zum Beispiel niemanden etwas anzugehen, wer mit wem zusammenlebt oder in einer Beziehung steht. Das Gesellschaftsliberale in der FDP hat mich von Anfang an beeindruckt. Später kam dann noch der wirtschaftsliberale Gedanke dazu: Man kann nur das ausgeben, was man auch hat. So bin ich seit zehn Jahren in der FDP.

Die FDP hat immer von starken Persönlichkeiten gelebt. Wer war Ihr Vorbild?
Mark: Tatsächlich Guido Westerwelle. Ich weiß, er war nicht unumstritten…

…weil er auch eher für die rein wirtschaftsliberale Strömung stand…
Mark: … aber die Durchsetzungskraft und sein Überzeugungsvermögen, das er aus seiner Persönlichkeit heraus hatte, hat mich beeindruckt. Er war immer sachlich. Und er war ein überzeugter Europäer, als die Notwendigkeit, um Europa zu kämpfen noch nicht so groß war wie heute.

Eine neue Generation für Halle heißt auch ein neuer Anlauf für die FDP nach dem Nackenschlag bei der letzten Stadtratswahl. Welche Ziele haben Sie persönlich?
Mark: Bisher habe ich zehn Jahre lang gesagt, dass ich für die FDP nicht für ein öffentliches Amt antrete. Denn für mich war in der Zeit ausschlaggebend, fertig zu studieren und einen Beruf zu ergreifen. Jetzt bin ich Anwältin und kann die Problemlagen aus meiner Sicht und aus der Sicht der Menschen, die zu mir kommen, im Stadtrat einbringen. Das möchte ich tun.

„Es hilft niemandem, dem jemand täglich vor den Balkon pinkelt, wenn gesagt wird, dass es nicht schlimmer geworden ist.“

Haben Sie ein Beispiel?
Mark: Unsere Kanzlei liegt am Marktplatz. Da hören wir von einigen, dass sie sich dort nicht mehr ohne weiteres hin trauen. Ich habe ganz lange Zeit in Neustadt gewohnt, meine Eltern wohnen dort immer noch. Nach Einbruch der Dunkelheit möchte ich auch da abends nicht mehr langlaufen. Oder die Schule in der Kastanienallee: Das war auch meine Schule. Mir wurde dort Deutsch beigebracht, denn ich komme gebürtig aus der Ukraine. Ich kenne es so, dass ich dort Einzelsprachunterricht hatte. Wenn man hört, welche Zustände dort heute herrschen, ist das nicht förderlich für die Integration. Also habe ich gedacht: Na gut, ich will etwas ändern.

Lassen Sie uns über Ordnung und Sicherheit sprechen: Wie könnte man das Befinden verbessern, wenn sich objektiv die normale Kriminalität nicht signifikant erhöht hat.
Mark: Das ist die eine Seite, die andere ist die Wahrnehmung der Bürger. Die muss man zur Kenntnis nehmen.

Das heißt, man muss an der Wahrnehmung arbeiten? An der Wahrnehmbarkeit von Sicherheit?
Mark: Die Diskrepanz entsteht doch so: Die Bürger sagen, sie trauen sich nicht, über den Markt zu laufen, oder sie beschweren sich über Trinker auf der Silberhöhe. Dann sagen Herr Wiegand und Herr Teschner [Fachbereichsleiter Sicherheit, Anm. d. Red.]: „Aber es ist nicht schlimmer geworden.“ Aus diesem Missverhältnis entsteht Politikverdrossenheit. Stattdessen muss man beide Seiten zusammenführen. Jetzt steht die Polizei öfter auf dem Markt, und das Gefühl hat sich gleich deutlich verbessert. So könnte es doch auch an anderen Stellen gehen. Die Polizei muss ihre Präsenz mittelfristig erhöhen. Dann kommt das Gefühl des Bürgers auch näher an die Fakten heran. Aber Polizei ist Ländersache. Entscheidend ist, den Menschen zu zeigen, dass etwas gemacht wird, und mit den Menschen darüber zu sprechen – und auf sie einzugehen. Es hilft niemandem, dem jemand täglich vor den Balkon pinkelt, wenn gesagt wird, dass es nicht schlimmer geworden ist.

Wo will die FDP bei der Bildung einhaken? Die Digitalisierung soll ja jetzt auf den Weg kommen.
Mark: Das ist richtig. Die Frage ist nur, ob es richtig gemacht wird. Wir waren an Schulen, die bereits vor einiger Zeit mit Tablets ausgestattet worden waren. Am Hans-Dietrich-Genscher-Gymnasium haben sie teilweise auf dem Dachboden gelegen, weil es keine Internetanbindung gab. Das soll sich inzwischen zwar gebessert haben. Aber die vor allem älteren Lehrkräfte können mit digitalen Geräten im Unterricht auch nicht immer umgehen. Man muss die Schulen in Halle besser vernetzen, auch was die Lehrerweiterbildung angeht. Das Thema muss für alle benutzbar und erlebbar werden.

Sie sprachen von Ihrer Integrationserfahrung an einer halleschen Schule. Was ist diesbezüglich heute wichtig?
Mark: Sprache ist das allerwichtigste. Bevor andere Integrationsmaßnahmen greifen können, muss die sprachliche Voraussetzung geschaffen werden. Ich kam 1998 nach Deutschland und konnte drei Sätze. 1999 konnte ich schon gut deutsch, weil ich in eine Klasse kam, in der alle deutsch gesprochen haben. Dazu hatte ich Einzelförderunterricht. Und über die Sprache kam dann die Einbindung in die Gesellschaft. Wenn man sich heute die Schulen anschaut, kann man aus den Klassenstärken heraus heute nicht mehr so einfach deutsch lernen als fremdsprachliches Kind. Jetzt ist also die Aufgabe der Stadt, die Mittel zu investieren, die dazu nötig sind, dass die Kinder ordentlich deutsch lernen. Das halte ich für essenziell. Bevor man Teil der Gemeinschaft wird, muss man sich verständigen können.

Wir haben uns am oberen Boulevard getroffen und am Riebeckplatz. Warum war ihnen der Treffpunkt wichtig?
Mark: Der Raum hier hat Potenzial, wiederbelebt zu werden. Auch deshalb sind wir mit unserer Geschäftsstelle hierher gezogen. Ob diese Wiederbelebung über gewöhnlichen klassischen Einzelhandel geschehen wird, weiß ich nicht. Hier entstehen zum Beispiel derzeit auch Co-Working-Spaces. Jedenfalls ist hier Raum zum Experimentieren.

„Halle sollte sich stärker in Berlin bekannt machen.“

Ist denn der klassische Einzelhandel am oberen Boulevard wirklich eine Vision? Viele sagen, dass Halle eigentlich nicht genug Kaufkraft hat für eine so lange Einkaufsstraße.
Mark: Vielleicht wird es nicht mehr die klassische Einkaufszone sein, die wir kennen, in der es im Laden jede Klamotte in jeder Größe gibt. Aber der Versandhandel, der momentan dem Stadtkern ja die Kaufkraft abzieht, wird sich irgendwann überholen. Bei Zalando wird derzeit 90 Prozent dessen, was bestellt wird, wieder zurückgeschickt. Das bedeutet riesige Transportwege. Vielleicht führt das beim Versandhandel irgendwann auch einmal zum Kollaps, weil es alles viel zu viel wird. Um das abzufangen, muss man sich in der Stadt dann neue Konzepte überlegen.

Yana Mark ist Spitzenkandidatin der FDP im Wahlbereich 2. (Foto: xkn)

Welche?
Mark: Wir haben heute noch eine Vielzahl klassischer Läden, die vielleicht noch gerade mal eine Webseite haben. Da muss man sich als Ladenbesitzer auch Neues überlegen: Macht man ein Studio draus, hat man vielleicht ein größeres Geschäft mit vielen Marken, in das man zum Anprobieren geht, und das einem die Ware dann später liefert? Als Einkaufsladen hat man heute die Option, ein Sortiment zu haben, das es im Internet nicht gibt. Das ist sehr selten. Oder man überzeugt durch gute Beratungsleistung. Das ist wünschenswert.

Sie glauben also, der Laden in der Innenstadt hat Zukunft?
Mark: Ja, ich glaube schon. Einen Laden wie die Parfümerie Tauschel wird es auch in vielen Jahren noch geben. Die haben das Angebot, die haben das Umfeld und die haben die Beratung. Der ist nicht 1:1 online ersetzbar. Aber auch Bekleidungsgeschäfte mit Konzept können Zukunft haben. Warum denn nicht? Entscheidend ist aber wohl die Kaufkraft in einer Stadt. Die muss steigen.

Wie bekommt man mehr Kaufkraft in eine Stadt?
Mark: Jobs bringen Geld mit sich, und Unternehmen bringen Jobs mit sich. Das ist keine neue Erkenntnis. Wir brauchen viele und höherwertige Jobs, also brauchen wir Unternehmen. Dazu muss man Rahmenbedingungen setzen und zum Beispiel die Gewerbesteuer senken. Das ist schon immer eine Forderung der FDP. Sparen allein, führt zu nichts. Man muss Prioritäten setzen. Halle hat außerdem einen Standortvorteil, auch durch die schnelle Bahnverbindung, der noch zu selten genutzt wird. Inzwischen kommen Leute aus Berlin hierher zum Arbeiten. Durch die ICE-Verbindung fährt man von Berlin bis nach Halle genauso lange wie manchmal durch Berlin hindurch.

Halle als Vorort von Berlin?
Mark: Warum denn nicht? Viele Unternehmen mit Hauptsitz in Berlin würden vielleicht hier eine Filiale gründen. Oder denken Sie an Startups, die günstigen Büroraum und gute, überschaubare Infrastruktur suchen. Da hat Halle etwas zu bieten. Halle sollte sich stärker in Berlin bekannt machen. So ein Prozess muss über solche ungewöhnlichen Wege in Gang kommen, bevor vielleicht auch richtig große Unternehmen, die jetzt noch nach Leipzig gehen, beginnen, Halle cool zu finden.

Braucht Halle ein neues großes Gewerbegebiet?
Mark: Für mich ist das ein schwieriger Blick in die Zukunft. Wenn wir nicht nur die verlängerte Werkbank sein wollen, dann ist ein neues Gewerbegebiet nicht so entscheidend. Bevor man ein neues Gewerbegebiet plant, sollte man sich überlegen, was man genau damit möchte und welche Unternehmen man überhaupt nach Halle holen will. Noch mehr Logistiker können es eigentlich nicht sein. Und die Fläche Halles ist endlich.

Braucht Halle also mehr Fläche?
Mark: Halle muss sich eher mit dem Umland vernetzen, statt einzugemeinden. Eingemeindungen werden sich wohl nicht lohnen. Ich würde das zwar nicht ausschließen, aber auch hier gilt: Man sollte sich vorher überlegen, was genau man damit erreichen möchte. Entscheidender ist da schon eher, dass endlich die A143 kommt. Halle braucht dieses Stück Infrastruktur.

„Ich würde lieber in Neustadt als im Paulusviertel wohnen.“

Ich habe ein paar Alternativfragen für Sie: Braucht Halle mehr Autos oder mehr Radverkehr?
Mark: Mehr Radverkehr, aber ohne die Autos zu verbieten. Wir sind für mehr Radwege, und die FDP ist auch nicht gegen den ÖPNV. Beides sind gute Alternativen, aber sie sind kein kompletter Ersatz zum Auto. Es gibt Menschen, die können nicht auf das Rad umsteigen.

Mehr tun für günstigere Miete oder mehr tun für günstigeres Eigentum?
Mark: Kann man beides nehmen? Beides bedingt auch einander. Die städtischen Wohnungsgesellschaften sollten sich aber vor allem darauf konzentrieren, sozialen Wohnungsbau anzubieten. Für günstigeres Bauen sollte man mehr Baugebiete ausweisen.

Halle hat nach wie vor große soziale Probleme wie Kinderarmut. Ihr OB-Kandidat Andreas Silbersack hat gesagt, das werde auch einer seiner Schwerpunkte sein. Wie werden Sie im Stadtrat das Thema angehen?
Mark: Viele Projekte und Förderinstrumente haben nur wenig oder gar keinen nachhaltigen Nutzen. Auch hier braucht die Stadt einen übergreifenden Plan, damit die Familien nicht einfach von Helfer zu Helfer geworfen werden. Man muss die Angebote besser vernetzen, damit sie wirken können. A muss wissen, was B macht. Dann kann man mit dem Geld, das man hier investiert, auch mehr erreichen. Man wird aber nicht jeden so einfach in Arbeit bringen können. Aber für die, bei denen das möglich ist, sind sinnvolle Fortbildungen auch ein Hebel, bei dem die Stadt über das Jobcenter ansetzen kann. Jedes Kind, dessen Eltern einen Job bekommen, hat auch bessere Zukunftschancen.

Weiteres viel diskutiertes Thema ist die soziale Durchmischung. Wie wollen Sie die erreichen?
Mark: Die fehlende Durchmischung in den Stadtteilen ist ein Problem. In einigen Stadtteilen haben wir einen sehr hohen Ausländeranteil. Wenn man aber immer Integration verlangt, muss man auch sagen, wohin sich die Menschen integrieren sollen. Wenn es in manchen Stadtteilen nicht mehr viele Menschen gibt, die deutsch sprechen, dann klappt Integration nicht. Ich und meine Eltern haben in Neustadt deutsch gelernt, weil alle Nachbarn deutsch gesprochen haben. Das ist heute nicht mehr so. Fast das einzige Mittel, das wir als Stadt haben, sind die Wohnungsgesellschaften. Die sollten auch im Zentrum Wohnungen für kleine Einkommen bereitstellen. Andererseits muss man auch mal die Umkehrbewegung in den Blick nehmen. Es gibt auch in Neustadt hochwertige Wohnungen. Leider wollen die Leute da aber zum Teil nicht hin. Da brauchen wir ein gesellschaftliches Umdenken. Man muss auch in die andere Richtung mischen können. Neustadt bietet da vieles an Infrastruktur, die andere Stadtteile nicht haben. Ich persönlich würde lieber in Neustadt als im Paulusviertel wohnen.

Wo wohnen Sie jetzt?
Mark: Ich wohne im Lutherviertel. Das ist so ein bisschen zwischen dem einen und dem anderen.

„Vernünftige Dinge werden wir nicht ablehnen, nur weil sie von den Falschen kommen.“

Wenn man ihnen so zuhört, dann findet man vieles, was auch bei anderen Parteien anschlussfähig wäre. Das ist nicht mehr die alte FDP. Ist das auch eine Lehre, die Sie aus der Wahlniederlage vor fünf Jahren gezogen haben? Haben Sie sich bewusst neu aufgestellt?
Mark: Ja. Unsere neuen Kandidatinnen und Kandidaten haben einen neuen Blick auf die Politik, weil sie sie noch nicht aus aktiven Ämtern kennen. Das bringt neue Perspektiven. Man kann die tollsten Forderungen haben, wenn man es nicht schafft, die Leute davon zu überzeugen. Die FDP muss für ihre Positionen auch Mehrheiten finden. Und man kann sich auch einmal von etwas überzeugen lassen.

Musste die FDP deswegen sozialer werden?
Mark: Wir sind immer schon sozial gewesen, auf unsere Weise. Es ist nur jetzt etwas mehr in den Fokus gerückt. Die Themen hatten wir aber schon immer. Auch die Lösungen haben sich nicht wesentlich verändert. Wahrscheinlich ist das Soziale bei uns nun stärker wahrnehmbar geworden. Das mag sein. Wir haben im Übrigen natürlich auch die Umweltpolitik im Programm. Auch die steht jetzt stärker im Fokus.

Sie sind also breit bündnisfähig, wenn Sie in den Stadtrat einziehen sollten?
Mark: In Sachfragen ja. Und darauf kommt es in der Kommunalpolitik ja an. Natürlich haben wir unsere klaren Forderungen und Positionen, aber vernünftige Dinge werden wir nicht ablehnen, nur weil sie vielleicht von den Falschen kommt.

Gibt es schon Absprachen, wer von Ihnen eine FDP-Fraktion leiten könnte, sollte sie zustande kommen?
Mark: Nein. Wir können ja noch gar nicht einschätzen, wie das Wahlergebnis aussehen wird und wer von uns überhaupt einzieht.

Könnten Sie es sich vorstellen?
Mark: Ja, klar. Es wäre komisch, das auszuschließen. Ich habe schon lange Parteierfahrung und bin durch die Arbeit am Wahlprogramm auch bei den Sachthemen sattelfest.

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