„Frauen ins Parlament“

Inés Brock von Bündnis 90/Die Grünen ist dezidiert für die Frauenquote in vielen Bereichen. Als Fraktionschefin der Grünen erwartet sie bei der Stadtratswahl ein gutes Ergebnis.

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Inés Brock ist Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stadtrat. (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Die Grünen sind in bundesweiten Umfragen im Aufwind. Können sie den Rückenwind auch für die Stadtratswahl nutzen? Inés Brock, die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat, ist überzeugt: ja. Denn schließlich habe man ja auch die früheren Negativzeiten in halleschen Wahlergebnissen gespürt. Im Gespräch mit StäZ-Redakteur Felix Knothe erklärt Brock auch, warum es unbedingt eine Frauenquote braucht, was für Hebammen und junge Familien getan werden muss, und wie der Streit bei den Bühnen Halle aus ihrer Sicht beigelegt werden kann. Darüber hinaus kommt erwartbarerweise der grüne Ansatz beim kommunalen Klimaschutz zur Sprache. [ds_preview]

Frau Brock, Sie waren fünf Jahre lang im Stadtrat die einzige Fraktionsvorsitzende. Auch in Ihrem persönlichen Wahlkampf steht das Geschlechterthema im Mittelpunkt.
Brock: Es ist ein wichtiges Sachthema, das ich immer wieder nach vorne gebracht habe und auch weiter nach vorne bringen werde. Das fängt bei geschlechtergerechter Sprache an und geht über Führungskräfteförderung bis hin zu Quoten in den Leitungsebenen. Frauen muss man immer mitdenken, und Sprache bestimmt da eben auch das Bewusstsein. Davon bin ich überzeugt. Wir brauchen aber auch Frauen in persona, weil sie eine andere Strategie haben, an Probleme heranzugehen, und das Recht, Politik mitzugestalten. Wir sollten bei der Kommunalwahl zur Hälfte Frauen ins Parlament bringen. Das wird aber schwierig, wenn die CDU-Listen fast ausschließlich männlich besetzt sind.

Was können Frauen besser?
Brock: Frau an sich zu sein, ist kein Qualitätskriterium. Aber es ist ein Unterschied, der in der Politik eine Rolle spielt. In einer Gruppe, in der zur Hälfte Frauen sind, werden Themen einfach anders verhandelt. Da geht es weniger darum, wer gewinnt, sondern eher darum, wie man eine gemeinsame Lösung hinbekommt. Das ist zumindest meine Erfahrung. Auch die Redekultur ist eine andere. Wenn Frauen Dinge leiten, geht es kooperativer zu. Das ist wissenschaftlich bestätigt. Aber das ist wiederum die Krux, weshalb eine Quote nötig ist: Nur wenige Frauen wollen sich auf den Wettbewerb so einlassen, dass sie es bis nach vorn schaffen. Denn oft heißt es dann: Wenn es jetzt schonmal – von einem Mann – gesagt wurde, dann muss ich das nicht auch noch einmal sagen, nur um des Wettbewerbs willen. Viele Frauen wollen es zudem nur wegen ihrer Kompetenz und nicht wegen einer Quote nach oben schaffen. Aber auch da sagt die Wissenschaft, dass die Netzwerke von Frauen allein nicht ausreichen, dass also solche Leitungsfunktionen nicht genug kompetenzorientiert vergeben werden. Die Quote ist also nötig, um Kompetenz überhaupt erst zum Zug kommen zu lassen.

Werden streitbare Frauen negativer wahrgenommen als streitbare Männer?
Brock: Es wird schon noch oft von Frauen erwartet, sich weniger in die aggressive Streitkultur einzumischen. Ich finde aber, man muss das Einmischen verbinden mit dahinterstehender Kompetenz und gleichzeitig die Qualität der Debatte anheben. Es ist wichtig, sich nicht gegenseitig anzugreifen, sondern mit den besten Argumenten zu überzeugen. Dann ist Streit auch nicht negativ, sondern konstruktiv.

Die Grünen sind im Aufwind. Werden Sie davon auch im Stadtratswahlkampf profitieren?
Brock: Wir sind immer von der gesamtpolitischen Lage getragen worden. Das war in den Negativzeiten so, und ich gehe davon aus, dass es auch jetzt in den positiven Zeiten so ist. Allerdings haben wir in den ostdeutschen Großstädten noch nicht ganz das Potenzial wie in Baden-Württemberg oder Berlin.

„Ich hoffe, dass wir die SPD hinter uns lassen können.“

Für die stärkste Fraktion wird es also noch nicht reichen?
Brock: Ich hoffe, dass wir die SPD hinter uns lassen können. Da haben wir im Moment einfach die besseren Angebote, und ich hoffe, dass sie von den Menschen auch wahrgenommen werden. Bei den jungen Wählern sind wir derzeit auch ziemlich en vogue. Denn wir werden seit Jahren mit dem Klimaschutz-Thema glaubwürdig identifiziert. Das war lange ein Politikfeld, das keinen interessiert hat. Jetzt beginnt es die Leute zu interessieren, vor allem die Jugend. Im 30. Jahr nach der Wende tragen wir auch weiter stolz das Bündnis 90 in unserem Namen und sind so die letzten, die noch mit der bürgerrechtlich-freiheitlichen Tradition im Osten zu identifizieren sind.

Spielen 30 Jahre Wende eine Rolle bei der Stadtratswahl? Muss man Demokratie heute wieder stärker verteidigen?
Brock: Im politischen Alltag tritt das Thema eher nicht in den Vordergrund. Die Erinnerungskultur ist aber besonders für die Generation, die die Wende erlebt und mitgestaltet hat, wichtig. Wir müssen uns vor Augen führen, was wir 1989 eigentlich gewonnen haben. Im Osten herrscht leider immer noch ein Demokratieverständnis vor, in dem Streit und Debatte negativ konnotiert sind. Man erwartet, dass sich alle einfach vertragen, und bewertet den Sinn von Demokratie, um Lösungen in der Debatte zu ringen, als eher negativ. Aber ob das Einfluss auf das Wahlergebnis hat, müssen wir abwarten. Der Klimaschutz dürfte derzeit vielen Menschen wichtiger sein.

Wir haben 30 Jahre nach der Wende auch ein großes Populismus-Thema. Wie ist ihre Antwort darauf?
Brock: Die Überkomplexität der Welt überfordert viele Menschen. Da wird nach einfachen Antworten und Kausalketten gesucht. Das ist der Boden für Populismus. Differenzierte Zusammenhänge werden da schwerer verstanden und führen zu Überforderung. Menschen haben auch von Natur aus ein Bedürfnis nach überschaubaren Bezügen, nach Vertrautheit. Wenn da etwas Fremdes kommt, dann gibt es da Abwehrreaktionen. Unsere Aufgabe als Politiker ist es, diese natürlich menschlichen Bedürfnisse wahr- und ernst zu nehmen. Und einigen, die 2016 bei der Landtagswahl AfD gewählt haben, ist inzwischen hoffentlich auch klar geworden, was bei der Partei dahintersteckt. Meine Hoffnung ist, dass die einstellig bleiben in Halle.

„Heimat ist das, wo man sich wohlfühlt.“

Heißt, die Abwehrreaktionen ernst zu nehmen, ihnen auch Raum zu geben?
Brock: Nein. Aber am Beispiel des Heimatbegriffs lässt sich das doch gut beschreiben: Heimat ist doch nicht die rein deutsche Community, sondern Heimat sind auch Singvögel, die regionale Bindung an Halle, die Saale und die Kultur hier. Heimat ist das, wo man sich wohlfühlt und das ein Zugehörigkeitsgefühl erzeugt. Man kann den Begriff nicht reduzieren darauf, alles wegzustoßen, das einem fremd vorkommt.

Zurück zum Klimaschutz: Was kann die Kommune da tun?
Brock: Wir müssen in Halle einen lokalen Beitrag zur Senkung des weltweiten CO2-Ausstoßes leisten. Das ist das eine. Da passiert noch zu wenig. Möglich wären zum Beispiel flächendeckend Solardächer zu fördern und auszuweisen oder E‑Mobilität zu fördern, auch wenn E‑Mobilität nicht die letzte Antwort ist. Wir sollten sie trotzdem kräftig unterstützen. Wichtig ist auch die autofreie Innenstadt. Das andere ist die Klimawandelfolgenbekämpfung. Wir brauchen grüne Lungen in der Stadt, Frischluftschneisen, Trinkbrunnen im Sommer, Verschattung, Fassaden- und Dachbegrünung. Jeder gefällte Baum macht das Stadtklima schlechter.

Muss die Stadt da das Tempo noch erhöhen?
Brock: Die Stadtwerke sind auf einem guten Weg, aber aus meiner Sicht nicht lokal genug. Sie beteiligen sich an Windparks, aber bei Solardächern kann es durchaus noch schneller gehen. Die Stadtverwaltung wiederum muss man eigentlich immer zum Jagen tragen. Hier werden bei Baumaßnahmen immer noch zu leichtfertig Bäume geopfert. Und das Klimaschutzkonzept der Stadt liegt immer noch nicht vor, obwohl wir es seit Jahren immer wieder gefordert haben. Die Stadt ist zu träge, und die Umsetzung findet zu langsam statt. Es müsste auch eine verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfung bei Bauvorhaben geben. Dann wären die Baumfällungen an der Heideallee zum Beispiel vielleicht nicht passiert. Es heißt dann immer, das geht alles nicht. Wir wollen aber schauen, was gehen kann beim Klimaschutz. Und oft ist es billiger, wenn man weniger tut und mehr Bäume stehen lässt. Aber leider konnten wir uns da oft nicht durchsetzen.

Solardächer und Bäume sind zwar schöne Themen, aber solange die Straßenbahn noch zum Teil mit Braunkohlestrom fährt, müssten da die Grünen nicht noch viel konkretere Dinge einfordern, um ihrem Anspruch gerecht zu werden?
Brock: Da bin ich voll bei Ihnen.

Bis wann müssen Halle und die Stadtwerke CO2-neutral arbeiten?
Brock: Da kann ich Ihnen keine Jahreszahl liefern. Wichtig ist, dass auch die Stadtwerke und Halle insgesamt noch stärker auf das ökologische Wirtschaften achten. Denn klar ist: ökologisches Wirtschaften kosten keine Arbeitsplätze, sondern bringt Arbeitsplätze. Das Strukturpaket zum Kohleausstieg könnte für die Region zum Jobmotor werden. Das fördert regionale Unternehmen. Und wenn wir eine Förderung für Lastenfahrräder für Unternehmen fordern, dann bringt das auch den Unternehmen, die umsteigen vom Auto auf das Fahrrad etwas, denn es ist billiger.

Das wiederum scheint, vorsichtig formuliert, vom Zeitgeist her noch nicht en vogue zu sein: Unternehmer vom Transporter aufs Lastenfahrrad zu bringen. Wie wollen Sie extreme Skeptiker überzeugen?
Brock: Indem wir Anreize schaffen und Erfahrungswissen generieren. Man kommt schneller von A nach B, und man hat geringere Kosten.

Was muss Halle für den Radverkehr tun?
Brock: Der Rad- und Fußverkehr muss planerisch bevorzugt werden. Halle hat die Größe, um den Autoverkehr deutlich reduzieren zu können. Da brauchen wir neue Denkweisen in der Stadtplanung. Wir brauchen mehr Carsharing und könnten so auch den Parkraum in den Wohngebieten anders nutzen. Es ist ein Prozess, die Verkehrswende attraktiv zu machen. Wir brauchen einen attraktiven ökologischen Verkehrsmix. Dazu muss auch der ÖPNV noch besser werden. Die Leute müssen Lust bekommen zu wechseln.

Thema Kultur: Sie sind im halleschen Theaterstreit eine – da ist das Wort wieder – streitbare Protagonistin gewesen.
Brock: Ich bin es immer noch, denn da ist ja noch nichts geklärt.

Lässt es sich noch klären?
Brock: Ich hoffe nach wie vor, dass wir an den Bühnen Halle ein Arbeitsklima herstellen können, in dem Kunst im Vordergrund steht. Das kann nur gelingen, wenn es klare Perspektiven, Transparenz und eine klare Verantwortungsteilung gibt. Die systematische Strategie der Spaltung, die wir erleben, – das Mobbing – muss aufhören. Der Vertrag des Geschäftsführers muss 2021 neu ausgeschrieben werden. Leider haben CDU, SPD und Linke gerade aktuell im Aufsichtsrat auch die letzte Chance vor der Sommerpause verspielt, ein Signal in Richtung Frieden zu setzen. Sie sind einfach nicht zur Sitzung erschienen. Und auch der Oberbürgermeister nutzt seine Kompetenzen als Aufsichtsratsvorsitzender, die er hätte, nicht. Herr Wiegand hätte längst aktiv werden können. Er verspricht der Öffentlichkeit stets, Matthias Brenner halten zu wollen, aber in der Realität sitzt er den Konflikt aus.

Ist es ein hallesches Merkmal, dass immer, wenn es gut läuft – Stichwort Theaterpreise – Streit eskaliert? Anderes Beispiel dafür könnte der gerade laufende EVG-Skandal sein.
Brock: Ich würde beides nicht vergleichen. Das ist mir auch zu einfach. Der EVG-Konflikt hat eine ganz andere Genese als der Theaterstreit. Nur die Strategie des OB, überall Personen zu haben, die ausschließlich in seinem Sinne handeln und sie sofort fallen zu lassen, wenn sie es nicht tun, ist vielleicht eine Parallele.

„Wir haben nicht genug Hebammen für Vor- und Nachsorge bei Geburten.“

Was sagen Sie zur Gewerbegebietsproblematik?
Brock: Wir brauchen kein weiteres großes Gewerbegebiet, schon gar nicht in Tornau. Wir haben so viele Industriebrachen und leere Gebäude. Warum macht die Stadt denn kein Gebäudekataster? Dann könnte sie mittelständischen Unternehmen sofort sagen, wo etwas leersteht. Der wirtschaftliche Aufschwung in Halle wird nur über kleine und mittelständische Unternehmen funktionieren. Und für die haben wir Platz in Halle. Das müsste in Zukunft daher auch das Aufgabenfeld der EVG werden: sich um die kleinteilige Wirtschaft mit zu kümmern.

Wir treffen uns hier am Steintor an der Kunst gewordenen Wettervorhersage. Warum?
Brock: Das ist ein süßes Kunstwerk, das auf diesem Platz optisch gut wirkt und dann auch noch die gute Botschaft hat: Wir wünschen uns Regen. Wir sind ja eine der trockensten Städte Deutschlands. Kunst im öffentlichen Raum wie diese finden wir Grünen sehr wichtig, und dafür haben wir uns im Stadtrat eingesetzt. Es ist uns immer noch zu wenig. Ziel muss sein, dass bei jedem Bauprojekt auch Mittel für Kunst eingeplant werden. Denn das erhöht die Lebensqualität und fördert auch unsere Künstler in der Stadt.

Wie ist deren Lage in der Künstlerstadt Halle?
Bock: Da kann man weiter viel verbessern. Aktuell fordern wir zum Beispiel eine Ausstellungsvergütung für bildende Künstler, wenn öffentliche Einrichtungen Ausstellungen machen. Wenn bei öffentlichen Veranstaltungen eine Band auftritt, dann bekommt die auch ein Honorar. Analog sollte es auch bei anderen Künstlern sein. Das ist ein Beispiel, wo wir vorankommen können. Ein anderes Ziel wäre, in Halle nicht nur private Galerien zu haben, sondern auch mal an eine städtische Galerie für die hallesche Gegenwartskunst zu denken. Der Riebeckplatz wäre dafür als Eingangstor der Stadt gut geeignet. Kunst und Kultur gehören zum Leben in einer Stadt dazu.

Sie machen sich seit Langem auch für die Verbesserung der Situation der Hebammen und junger Familien stark. Was fordern sie da?
Brock: Ich arbeite mit am Runden Tisch „Geburt und Familie“, den wir Grünen im Koalitionsvertrag Sachsen-Anhalt durchgesetzt haben. Es gibt inzwischen hebammengeleitete Kreißsäle in Halle, was wir initiiert haben. Was wir aber noch brauchen, sind darüber hinaus optimale Bedingungen für junge Familien rund um die Geburt, also in der Vor- und Nachsorge. Wir haben nicht genug Hebammen, die das machen. Ein im Stadtrat beschlossener Antrag von uns wird von der Stadtverwaltung einfach nicht umgesetzt. Drei Stellen, die wir bei der Stadt schaffen wollten, um die Familien besser beraten zu können, werden einfach nicht besetzt. Wir haben in Halle glücklicherweise eine positive Geburtenentwicklung. Aber die Rahmenbedingungen entwickeln sich nicht in gleichem Maße. Frauen, die ein Kind bekommen, finden oft keine Hebamme, die sie vor und nach der Geburt betreut. Da müssen wir als Kommune besser informieren und Anreize schaffen, damit das mehr Hebammen in Halle machen. Halle ist nur dann attraktiv, wenn es familienfreundlich ist. Das geht bei Hebammen los und führt bis hin zu familienfreundlichem Wohnraum. HWG und GWG müssten zum Beispiel viel mehr günstigen Wohnraum für Familien, besonders für große Familien bereitstellen.

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