Exklusiv: Hackerangriff aus dem OB-Büro?

Ein geheimes Protokoll offenbart, welche schweren Vorwürfe EVG-Geschäftsführer Jan Hüttner gegen das OB-Büro erhebt. Es geht unter anderem um einen mutmaßlich unbefugten Eingriff in das Datennetzwerk des Unternehmens.

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Äußerst gespannte Verhältnisse herrschen derzeit offenbar zwischen Oberbürgermeister Bernd Wiegand (l.), EVG-Geschäftsführer Jan Hüttner (2.v.l.) und Manuela Hinniger (r.). Hüttner hat Hinniger entlassen und Strafanzeige gegen das OB-Büro gestellt. (Foto: xkn/Archiv)

Halle/StäZ – Die Affäre um die Entlassung der Ansiedlungsmanagerin und Stadtratskandidatin Manuela Hinniger (Hauptsache Halle) bei der kommunalen Entwicklungsgesellschaft EVG und ihr anschließendes Engagement als Beauftragte des Oberbürgermeisters spitzt sich dramatisch zu. Denn nicht nur hat EVG-Geschäftsführer Jan Hüttner inzwischen wegen der Begleitumstände des Vorgangs Strafanzeige gestellt. Nach StäZ-Informationen soll er zudem im Aufsichtsrat der EVG schwere Vorwürfe gegen das OB-Büro und die Stadtwerke-Tochter IT-Consult (ITC) erhoben haben. Sie sollen sich nicht nur illegal EVG-interne Unterlagen und Computer angeeignet haben. Die IT-Firma ITC soll dem OB-Büro darüber hinaus auch unbefugt und unter Umgehung des eigentlich zuständigen Geschäftsführers Hüttner Zugang zum Datennetz der EVG verschafft haben – auf Anweisung des Oberbürgermeisters oder seiner Büroleiterin, so der Vorwurf Hüttners. Ließen Oberbürgermeister Bernd Wiegand oder OB-Büroleiterin Sabine Ernst (beide Hauptsache Halle) tatsächlich ein kommunales Unternehmen hacken, damit die Wiegand-Vertraute Hinniger unter seiner Ägide weiterarbeiten konnte, als wäre nichts geschehen?

Die Staatsanwaltschaft Halle bestätigte den Eingang der Strafanzeige Hüttners auf StäZ-Anfrage. Sprecher Ulf Lenzner sagte, der Inhalt werde derzeit auf seine ordnungs- und strafrechtliche Relevanz geprüft. EVG-Chef Hüttner sieht in dem Vorgang jedenfalls einen eklatanten Bruch des Datenschutzes und einen Eingriff in die unternehmerische Autonomie der kommunalen GmbH. Die Vorwürfe könnten kurz vor der Stadtratswahl am 26. Mai zum Politikum ersten Ranges im Verhältnis von Stadt und mehreren kommunalen Unternehmen untereinander werden. Oberbürgermeister Bernd Wiegand wollte sich auf StäZ-Anfrage nicht zu den Vorwürfen äußern und verwies über seinen Sprecher auf die Nichtöffentlichkeit der betreffenden Vorgänge. Eine Stadtwerkesprecherin erklärte, nach interner datenschutzrechtlichrer Prüfung, „insbesondere der Sicherheit der Verarbeitung der Daten“, liege bei dem Vorgang kein Verstoß der ITC „im Sinne der DSGVO“ [Datenschutzgrundverordnung, d. Red.] vor.[ds_preview]

Hüttner spricht im Aufsichtsrat Klartext

Die Entwicklungs- und Verwaltungsgesellschaft Halle-Saalekreis (EVG) ist ein zu 100 Prozent kommunales Unternehmen. Seit 2019 ist Jan Hüttner der neue Geschäftsführer der GmbH, die sich hauptsächlich mit der Vermarktung von Gewerbeflächen und der Investorensuche beschäftigt. Hauptprojekt war lange Zeit der sogenannte Star Park, das Gewerbegebiet an der A14 zwischen Halle und Queis. Die EVG mischte aber unter anderem auch in der Diskussion um den Riebeckplatz mit.

Jan Hüttner hatte sich bei der Vergabe des EVG-Chefpostens im Aufsichtsrat unter mehreren Berwerbern durchgesetzt. Eine davon war seinerzeit die Ansiedlungsmanagerin Manuela Hinniger. Sie arbeitete bereits seit knapp zwei Jahren bei der EVG und war von Oberbürgermeister Bernd Wiegand (beide Hauptsache Halle) für den Chefposten vorgeschlagen worden.

Manuela Hinniger saß seit 2014 für Die Linke im Stadtrat. Kurz vor Ende der Legislatur trat sie von ihrem Mandat zurück und wechselte zum Wiegand-Unterstützerverein Hauptsache Halle. Bei der kommenden Stadtratswahl ist sie die Spitzenkandidatin des Vereins im Wahlbereich 1.

Das Unternehmen IT-Consult (ITC) ist ein Tochterunternehmen des Stadtwerke-Konzerns. Geschäftsführer ist Jörg Siebenhüner. Die ITC betreibt ein eigenes Serverzentrum und administriert wichtige kommunale Computernetzwerke. So ist sie praktisch der zentrale IT-Dienstleister der Stadtverwaltung, des Stadtrats und mehrerer kommunaler Unternehmen, darunter die EVG. IT-Consult plant derzeit auch die umfassende Ausstattung der halleschen Schulen mit digitaler Technik. (xkn)

Die Bombe soll bereits am 9. Mai im geheim tagenden Aufsichtsrat der EVG geplatzt sein. Ein noch nicht bestätigter Protokollentwurf der Sitzung liegt der Städtischen Zeitung vor. Nach StäZ-Recherchen ist das Dokument authentisch. Hüttner hatte während der Sitzung auf Bitten Wiegands, der Aufsichtsratsvorsitzender der EVG ist, das Protokoll geführt. Darin ist festgehalten, wie Hüttner den Aufsichtsratsmitgliedern detailliert geschildert haben soll, was vor und vor allem nach der Beurlaubung Hinnigers durch ihn geschehen sein soll:

Hüttner hatte seine Mitarbeiterin Hinniger am 12. April 2019 berurlaubt, weil sie aus seiner Sicht unter anderem eigenmächtig an zwei Tagen nicht zur Arbeit erschienen war. Hinniger musste ihre Schlüssel für die EVG-Räume im Ratshof am Markt abgeben, und Hüttner ließ Hinnigers Zugang zum EVG-Datennetz sperren. Kurze Zeit später, noch am selben Tag, soll dann ein Mitarbeiter der ITC, die mit der EVG einen Dienstleistungsvertrag zur Betreuung der Technik und des EVG-Datennetzwerks hat, im EVG-Büro Hinnigers erschienen sein, um ihren Rechner in ein anderes Büro im Ratshof zu verbringen. Hüttner habe daraufhin den Mitarbeiter des Raumes verwiesen mit dem Hinweis, keinen Umzug beauftragt zu haben. Der Computer sei zudem Eigentum der EVG. Daraufhin sei der Mann kurz darauf mit einer Mitarbeiterin des OB-Büros zurückgekehrt und habe den Rechner in einen anderen Raum gebracht. Anweisung und Auftrag dazu seien direkt vom Oberbürgermeister gekommen, hätten die beiden Hüttner ausgerichtet.

Später habe Hüttner zudem festgestellt, dass Hinniger weiter über ihr eigentlich gesperrtes EVG-E-Mail-Konto Korrespondenz an Geschäftspartner der EVG verschickt habe. Hinniger war zu dem Zeitpunkt, wie gesagt, beurlaubt und  bereits als ehrenamtliche Beauftragte des OB aktiv. Wie hatte sie wieder Zugriff auf ihr E‑Mail-Konto erlangt? Bei einer Überprüfung stellte Hüttner fest, „dass auf Anweisung des OB bzw. seiner Büro-Leiterin“ der Netzwerkzugang wiederhergestellt worden sei. „Dies geschah ohne Wissen und Zustimmung der Geschäftsführung der EVG, also unbefugt und damit illegal“, heißt es in einer Präsentation Hüttners an den Aufsichtsrat, die dem Protokollentwurf beigefügt ist. Für Hüttner, so seine in dem Protokoll festgehaltenen Aussagen im EVG-Aufsichtsrat, ist durch den vom OB-Büro angewiesenen Zugriff auf das EVG-Netz nun „völlig unklar, ob bzw. welche Daten Hinniger oder Dritte seit dem Einbruch in das Netzwerk der EVG kopiert, verändert oder gelöscht haben“. Am 24. April erstattete Hüttner Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft. Zuvor hatte er am 23. April den Landesdatenschutzbeauftragten eingeschaltet.

Wurden Kompetenzen überschritten?

Sollten sich die Vorwürfe erhärten oder bestätigen, droht der ITC, die die EVG-Daten administriert, und Bernd Wiegand und seinem engsten Team ein erheblicher Skandal. Die kommunalen GmbHs arbeiten laut Gesetz eigenständig. Verantwortlich für ihr Handeln sind allein die Geschäftsführer, die sich wiederum dem Aufsichtsrat stellen müssen. Wiegand ist zwar Aufsichtsratsvorsitzender sowohl der EVG als auch der Stadtwerke und damit indirekt der ITC. Als Oberbürgermeister ist er zudem Repräsentant der Stadt als alleiniger Gesellschafterin der Unternehmen. Aber allein ist er den Geschäftsführern gegenüber wohl nicht weisungsberechtigt.

Hätte Wiegand oder sein engstes Umfeld also tatsächlich, wie von EVG-Chef Hüttner behauptet, der ITC die Anweisung gegeben, unter Umgehung des Vertrages zwischen ITC und EVG dem OB-Büro einen Zugang zu EVG-Daten zu verschaffen, und wäre die ITC dieser Anweisung ohne Weiteres gefolgt, könnten Kompetenzen erheblich überschritten und mindestens Verträge verletzt und Vertrauen zerstört worden sein. Nicht ausgeschlossen ist, dass der Vertrauensverlust in die Sicherheit der Daten auch weitere Kreise zieht. Die ITC administriert auch die IT-Arbeit der Stadtverwaltung und stellt eigene Server dafür bereit. Auch die E‑Mail-Konten der Stadt wie auch der Stadträte laufen über ITC-Server. Die Datennetze der Stadtwerke dürften ebenfalls ITC-administriert sein.

Stadträte stärken Hüttner den Rücken

Im Aufsichtsrat hielten sich die anwesenden Stadträte laut Protokollentwurf mit einer Bewertung zunächst zurück, stärkten jedoch Hüttner den Rücken. OB Wiegand soll jedoch die Schilderungen Hüttners mehrfach als „falsch“ bezeichnet und verlangt haben, dass der Aufsichtsrat auch Hinniger, OB-Büroleiterin Sabine Ernst und andere anhören müsse, um die Sache vollständig bewerten zu können. Das lehnten die Aufsichtsräte zunächst ab, denn die Personalie Hinniger sei eigentlich nicht Angelegenheit des Aufsichtsrats sondern allein des Geschäftsführers. Wiegand drohte den Aufsichtsräten daraufhin offenbar auch damit, dass sie alle vor Gericht aussagen müssten. Die Sache sei, weil der Name Hinniger im Raum stehe, zudem ein Politikum, so Wiegand laut Protokoll in der Sitzung.

Jan Hüttner ließ eine Anfrage der Städtischen Zeitung unbeantwortet. Manuela Hinniger war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Eine Anfrage der Städtischen Zeitung an sie blieb bis zum Sonnabend ebenfalls unbeantwortet. Auch die ITC und ihr Geschäftsführer Jörg Siebenhüner ließen eine Anfrage der Städtischen Zeitung unbeantwortet. Laut einer Stadtwerkesprecherin sei bei einer internen Prüfung kein Verstoß aus datenschutzrechtlicher Sicht festgestellt worden.

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U. Geiß
4 Jahre her

Sollte sich dieser ungeheuerliche Vorwurf bewahrheiten, müsste der OB meiner Meinung nach als politisch Verantwortlicher den Hut nehmen!
Gleichzeitig hätte die ITC einen erheblichen Vertrauensverlust in ihre Zuverlässigkeit verursacht. Das könnte massive wirtschaftliche Folgen für das Unternehmen haben. Und auch dafür wäre der OB mit verantwortlich.

siggivonderheide@me.com
4 Jahre her

Wenn davon nur die Hälfte wirklich zutrifft ist Donald T. Wiegand an seinem politischen Ende angekommen. Unglaublich! Das er so weit geht, das er so selbstherrlich handelt, ich kann das noch nicht wirklich glauben. Soviel kriminelle Energie…