„Die Gewerbesteuern müssen runter“

Im StäZ-Interview erläutert Rechtsanwalt Johannes Menke, was sich die Freien Wähler bei der Stadtratswahl ausrechnen und was sie fordern.

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Rechtsanwalt Johannes Menke ist Stadtvorsitzender der Freien Wähler in Halle. (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Nur wenige Tage vor der Stadtratswahl am 26. Mai startet die Städtische Zeitung noch einmal einen kommunalpolitischen Rundumblick, den StäZ-Interviewmarathon. In den kommenden Tagen wird es eine Vielzahl von Interviews mit den Spitzenvertreterinnen und ‑vertretern der Parteien und Wählervereinigungen geben, die die Städtische Zeitung in den letzten Tagen geführt hat. Den Anfang macht ein Gespräch von StäZ-Redakteur Felix Knothe mit dem Vorsitzenden der Freien Wähler Johannes Menke. Die Partei, die vor allem in Bayern stark ist und dort sogar in der Landesregierung sitzt, will nun auch wieder in Halle Fuß fassen. Menke war dazu Anfang des Jahres mit mehreren Vertrauten aus der CDU ausgetreten und übergewechselt. Der 57-jährige Rechtsanwalt tritt als Spitzenkandidat der Freien Wähler im Wahlbereich 4 (Altstadt, südliche Innenstadt) an und fordert im StäZ-Interview unter anderem die Absenkung der Gewerbesteuer in Halle, um die wirtschaftliche Dynamik anzukurbeln. Zugleich fordert er die Ausfinanzierung der Kommunen und damit erheblich mehr finanzielle Zuweisungen von Land und Bund. Die Stadt Halle und das Land verstießen bei der Bildung mittlerweile gegen die Menschenrechte, so Menke weiter, weil die Teilhabe nicht mehr für alle gewährleistet sei. Ein weiteres wichtiges Thema sei der Lärmschutz, wo ebenfalls zu wenig getan werde.[ds_preview]

Herr Menke, die Freien Wähler sind eine Partei, die erst wenige in Halle kennen. Wofür steht sie?
Johannes Menke: Wir sind eine Partei der bürgerlichen Mitte. Wir verbinden konservative Werte mit modernen Ideen. Primäres Merkmal ist unsere Unabhängigkeit. Wir passen in keine politische Schublade. Wir wollen Politik für die Menschen machen, und zwar für die Menschen vor Ort. Deshalb haben die Freien Wähler traditionell einen sehr starken Fokus auf die Kommunalpolitik.

Auf welche Wähler zielen Sie?
Menke: Auf die Wähler, die mit anderen Parteien unzufrieden sind und denen an frischem Wind in der Kommunalpolitik gelegen ist. Wir stecken, wie gesagt, in keiner Schublade. Aber die meisten Wähler stecken auch in keiner. Wir vertreten soziale Themen genauso wie zum Beispiel Wirtschaftsthemen.

Wie viele Mitglieder haben sie jetzt?
Menke: Wir haben in Halle 24 Mitglieder, aber wir wachsen. Wir spüren das aufrichtige Interesse bei den Bürgern.

Das sind trotzdem noch kleine Brötchen.
Menke: Ja, klar. Aber es ist auch eine Chance.

Welche Themen stehen für Sie im Vordergrund?
Menke: Bildung, Wirtschaft, Lärmschutz.

Fangen wir mit Bildung an.
Menke: Das ist ein Riesenthema. Auf meinen Wahlplakaten steht „Kita und Hort kostenlos. Mehr Lehrer.“ In einem rohstoffarmen Land wie Deutschland ist Bildung die Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. Wenn wir Bildung vernachlässigen, kann auch der wirtschaftliche Erfolg in Halle nicht eintreten. Wir brauchen Facharbeiter und deshalb keine Schulabgänger ohne Abschluss. Stattdessen lassen wir 11,4 Prozent Schulabgänger ohne Abschluss im letzten Schuljahr in Sachsen-Anhalt zu. Auf zehn Jahre gerechnet geht so ein ganzer Schuljahrgang vor die Hunde. Angesichts dieser Zahlen kann man nur entsetzt sein. Und da haben wir noch nicht über den Lehrermangel gesprochen.

„Halle verstößt bei der Bildung gegen Menschenrechte.“

Das ist aber alles Landessache. Was kann denn die Stadt dafür tun?
Menke: Beide, Land und Stadt, arbeiten nicht an diesen Themen. Die Stadt ist dafür verantwortlich, dass es nicht genug Plätze an den weiterführenden Schulen gibt. Aus politischer Sicht muss die Stadt ihre Stimme auch beim Land erheben, um sich gegen den Lehrermangel im Interesse der Schüler einzusetzen. Ich gehe soweit und sage: Die Stadt Halle und das Land verstoßen hier gegen Menschenrechte.

Inwiefern?
Menke: Das Recht auf Bildung ist in der Allgemeinen Menschenrechtskonvention und in der Internationalen Kinderrechtskonvention niedergelegt. Daraus ergibt sich ein Anspruch der Kinder auf Teilhabe an Bildung. Wenn es nicht genügend Plätze an weiterführenden Schulen gibt, wenn es Unterrichtsausfall in diesen Größenordnungen gibt, dann ist inzwischen ein Maß erreicht, dass man meiner Meinung nach von einem Menschenrechtsverstoß sprechen kann.

Wo ist denn da die Grenze? Ab wann wird aus Unterrichtsmangel eine Menschenrechtsfrage?
Menke: Es gibt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der die Richter sagen: Wenn es unzumutbar wird, wenn man also seine Rechte als Eltern und die des Kindes nicht mehr richtig wahrnehmen kann, dann ist die Grenze überschritten. Und den Fall haben wir in Halle. Hier werden Schullotterien durchgeführt. Das Recht der Eltern, die erweiterte Schule für das Kind auszusuchen beziehungsweise mindestens die Schulart, wird in Halle nicht gewährleistet. Wer an den Gesamtschulen in diesem Jahr keinen Platz bekommen hat, der soll laut Stadt sein Kind zum Beispiel auf eine Gemeinschaftsschule schicken. Das ist nicht rechtens. Anderes Beispiel: An der Grundschule Kastanienallee gibt es 70 Prozent Migrantenkinder. Wird da noch das Recht auf Teilhabe an Bildung erfüllt, wenn man nicht genügend und nicht die richtigen Lehrer dort hat, sowohl das Recht der Migrantenkinder als auch das der deutschen Kinder? Wir müssen alle Kinder, die hier sind, gleich gut behandeln. Wir können nicht auf der einen Seite die Schulpflicht durchsetzen und auf der anderen Seite durch Personalmangel an den Schulen die Bildung vernachlässigen. Das sind wir der Zukunft unserer Kinder schuldig.

Welche Positionen haben Sie in der Zuwanderungspolitik?
Menke:
Deutschland braucht Zuwanderung. Aber sie muss geordnet sein. Bildung ist auch in diesem Bereich ein wichtiges Thema. Fehlende Bildung verhindert Integration auf vielen Ebenen. Ohne Bildung kann man sich nicht mit anderen solidarisieren. Ohne Bildung kann man seine eigenen Rechte nicht wahrnehmen. Die Freiheitsrechte des Grundgesetzes sind ohne Bildung sinnlos. Die Kommunen werden bei den zu lösenden Aufgaben, die durch Zuwanderung entstehen, jedoch oft im Regen stehen gelassen.

„Kostenlose Kitas und Horte. Mehr Lehrer“ steht auf Menkes Wahlplakaten. (Foto: xkn)

Sie meinen, es gibt zu wenig Geld?
Menke: In der Tat. Halle ist ein gutes Beispiel dafür. Die Stadt hat im Haushalt kaum Spielraum, weil die Kosten fürs Soziale den Haushalt auffressen. 2017 hatte Halle 330 Millionen Kosten für Soziales. Davon sind 146 Millionen erstattet worden von Bund und Ländern. Da muss man ran, und zwar an Bund und Länder. Die Differenz zwischen 146 und 330 Millionen kann man in Halle gar nicht erarbeiten. Die Gewerbesteuereinnahmen lagen 2017 bei 59 Millionen Euro. Und die Gewerbesteuern sind die Haupteinnahmequelle der Städte und Gemeinden. Also bleibt ein Defizit von 125 Millionen. Wovon soll das denn bezahlt werden?

Wie lässt sich die Wirtschaftskraft der Stadt verbessern?
Menke: Halles Wirtschaftsstruktur ist nicht so, wie sie sein sollte. Wir haben zu wenig ertragsstarke Unternehmen. Wir haben keine Headquarters. Halle ist daher strukturell immer noch sehr schwach. Meine Heimatstadt Brilon im Sauerland hat 25.000 Einwohner und 26 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen. Rechnen Sie das mal auf 240.000 Einwohner in Halle hoch. Die halleschen 59 Millionen sind also im Vergleich nur ein Bruchteil.

„Städte und Gemeinden müssen ausfinanziert werden.“

Woran liegt das?
Menke: Das liegt daran, dass wir in Halle vor allem ertragsschwache Unternehmen haben. Wir sind zum Beispiel die Hauptstadt der Callcenter. Gleichzeitig haben wir einen Gewerbesteuerhebesatz, der 10 Punkte über Düsseldorf liegt. Warum? Nach dem Gewerbesteuerhebesatz fragen Investoren bei Ansiedlungen mit als erstes. Halle hat einen Hebesatz von 450, im Saalekreis liegt er zwischen 300 und 400. Einzelunternehmer und Gesellschaften, die aus natürlichen Personen bestehen, können die Gewerbesteuer bis 380 Punkte mit ihrer Einkommenssteuer verrechnen, sie zahlen also in Halle eindeutig mehr Steuern als im Saalekreis. Da ist es doch kein Wunder, dass zum Beispiel viele Heizungsbauer, die man in der Stadt sieht, Saalekreis-Kennzeichen haben.

Wie wollen Sie die nach Halle locken?
Menke: Die Gewerbesteuern müssen runter, aber Halle muss auch in der Fläche wachsen.

Der hallesche Haushalt hat schon jetzt Schieflage. Es gibt Sparauflagen. Und sie wollen die Steuern senken?
Menke: Nur so lässt sich wirtschaftliche Dynamik herstellen. Kurzfristig muss aber auch viel mehr Geld von Land und Bund als zusätzliche Einnahmen in die Stadt. Stattdessen kommt die Landesregierung und ändert das Gesetz so, dass die Stadt plötzlich von 357 Millionen Euro Kassenkrediten 200 Millionen Euro abbauen soll. Ja, wie soll das denn gehen? Das geht doch nur, wenn man an den freiwilligen Leistungen spart. Das geht aber zu Lasten der Lebensqualität. Das Leben in Halle würde unattraktiver. Wir wollen doch aber, dass Halle attraktiver wird. Andere Bundesländer legen stattdessen Entschuldungsprogramme für Städte und Gemeinden auf. Das muss auch auf allen politischen Ebenen eingefordert werden.

Aber auf Pump bezahlen kann man das alles ja auch nicht dauerhaft.
Menke: Die Stadt Halle hat ein Vermögen von 2 Milliarden Euro und 357 Millionen Euro Schulden. Bei Privatleuten würden da die Bänker ein und ausgehen und fragen, ob man nicht noch ein bisschen mehr Kredit haben will.

Die Schieflage ist also nicht so groß?
Menke: Nein, finde ich nicht. Kredite aufzunehmen, ist heutzutage für den Bund zum Beispiel sehr attraktiv. Der bekommt teilweise einen Negativzins, macht also mit Kreditaufnahme noch Gewinn. Dann sollen sie doch mehr Gewinn machen und den Städten und Gemeinden mehr Geld zukommen lassen. Städte und Gemeinden müssen ausfinanziert werden. Das werden sie aber nicht. Halle und Sachsen-Anhalt sind weiter strukturell unterfinanziert. Da muss der Bund was machen.

Das ist verwunderlich, weil Ihr Ansatz eigentlich nicht der typisch konservative ist.
Menke: Eine andere Möglichkeit besteht nicht, aus diesen Schieflagen herauszukommen. Nur so bekämen Halle und Sachsen-Anhalt die Kraft und den Atem, wirtschaftlich auf eigene Beine zu kommen. Bayern war früher auch ein Agrarland mit hohem Zuschussbedarf. Heute sind sie Industrieland, auch dank großzügiger Finanzhilfen. Wir müssen mit mehr Geld für die richtigen Investitionen zukunftsfähig werden. Dabei denke ich zum Beispiel auch an die Notwendigkeit, die Digitalisierung voran zu treiben. Das kostet Geld.

Sachsen-Anhalt bekommt ja immer noch großzügige Finanzhilfen.
Menke: Aber es reicht nicht. Das sieht man doch.

Anderes Thema: Wohnen in Halle-Neustadt. Sie haben als eine der ersten Parteien die angekündigten Mieterhöhungen eines großen privaten Vermieters zum politischen Thema gemacht. Warum?
Menke: Wir haben das Thema sofort als eines identifiziert, wo man etwas für die Menschen machen kann und muss.

Was können Sie denn machen?
Menke: Die Mieterhöhungen schlugen in einem Block in der Zerbster Straße ein. Dort wohnen im Wesentlichen ältere Leute. Die kamen mit Krücken und Rollatoren zu unseren Veranstaltungen. Wenn die eine Mieterhöhung bekommen, trifft es die ganz besonders. Die hatten Angst, die Wohnung zu verlieren, wenn sie der Mieterhöhung nicht zustimmen. Diesen Menschen wollten wir erst einmal Ruhe und Sicherheit wiedergeben. Ziel war, den Menschen als erstes zu sagen, dass sie nicht gekündigt werden können, nur weil sie der Mieterhöhung nicht zustimmen. Der Vermieter kann höchstens die Mieterhöhung einklagen. Nächste Frage war, ob die Mieterhöhung überhaupt in Ordnung war. Der Vermieter hatte sich auf Wohnungen bezogen, die gar nicht vergleichbar waren. Inzwischen hat der Vermieter einige der Mieterhöhungen zurückgezogen. Wir haben also den Menschen konkret geholfen, anstatt uns lediglich mit ein paar Plakaten vor das Neustadt-Centrum zu stellen, wie es andere gemacht haben. Damit helfen Sie niemandem.

„Der Lärm in Halle potenziert sich.“

Thema Verkehr und Umwelt: In Halle fühlen sich ja immer viele vernachlässigt. Für die einen sind es die Autofahrer, für die anderen der ÖPNV, für die Dritten die Radfahrer und Fußgänger. Wer ist aus Ihrer Sicht vernachlässigt?
Menke: Es ist eigentlich immer ganz gut, wenn alle schreien. Ein guter Vergleich vor Gericht tut auch immer allen Seiten weh.

Ist also alles gut, wie es ist?
Menke: Nein. Ein großes Problem in Halle, vor allem aber im halleschen Osten, ist der Lärmschutz. Da ist in der Vergangenheit nicht darauf geachtet worden. Autobahnen im Ruhrgebiet haben Lärmschutzwände ohne Ende. Im Osten Halles führt die A14 vorbei und alle hören mit. Der Flughafen hat kein Nachtflugverbot, die Flugrouten führen auch über Halle. Der neue Güterbahnhof macht großen Lärm. Der Lärm potenziert sich in Halle inzwischen derart – da muss etwas für die Menschen gemacht werden. Auch da schreit Halle nicht schnell und laut genug. Leipzig ist da wesentlich agiler. Dort sitzt der OB selbst in der Lärmschutzkommission des Flughafens. Die hallesche Vertreterin dort scheint wirkungslos zu sein. Die weiß nicht einmal, wo die Lärmmesspunkte in Halle stehen. Lärmschutz muss in Halle Priorität haben.

Sollten Sie in den Stadtrat einziehen, wie geht es dann weiter?
Menke: Wir freuen uns wie verrückt, wenn wir es schaffen sollten, eine eigene Fraktion zu gründen, und werden die Zusammenarbeit mit den anderen Fraktionen suchen. Das ist doch klar. Im Zentrum steht für uns dabei immer das Sachthema. Aber warten wir doch erst einmal das Wahlergebnis ab.

Wie gut arbeitet die Stadtverwaltung aus Ihrer Sicht mit dem Stadtrat zusammen?
Menke: Wir werden mit jedem Oberbürgermeister konstruktiv zusammenarbeiten. Verbesserungspotenzial hat aber natürlich die Kommunikation zwischen OB und Stadtrat. Das ist jedem klar. Es kann aber sein, dass sich das im neuen Stadtrat grundlegend ändert, wenn andere Mehrheitsverhältnisse entstehen. Kommunikation ist alles, und alle müssen an einem Strang im Interesse der Bürger dieser schönen Stadt ziehen.

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