Beifall und Luftsprung: Staatskapelle beendet begeisternden Brahms-Zyklus

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Die Staatskapelle Halle in der Händel-Halle (Foto: Sebastian Weise/TOO/Archiv)

Halle/StäZ – Fast am Ende, kurz vor der Zugabe, spricht der Dirigent: „Danke, dass Sie so zahlreich erschienen sind. Kommen Sie wieder. Kaufen Sie Abonnements!“, ruft, wild mit den Armen rudernd, Mario Venzago am vergangenen Montag ins Publikum der Händel-Halle. Der aus der Schweiz kommende Venzago ist an diesem Tag der Gastdirigent der Staatskapelle. Es ist das letzte Konzert des Brahms-Zyklus, den sich die Staatskapelle in dieser generalmusikdirektorenlosen Spielzeit vorgenommen hat. Und die Worte von Mario Venzago sind auch so etwas wie die Zusammenfassung der letzten Monate: Es geht aufwärts mit der Staatskapelle und dem Publikumszuspruch, und so möge es bitte auch weitergehen. Was wahrscheinlich ist. Denn wer die Staatskapelle am Montag erlebt hat, ist mit großer Wahrscheinlichkeit geneigt, auch wiederzukommen. Das Orchester begeisterte mit seiner selten zurückgenommenen Interpretation des sinfonischen Großmeisters und setzte damit einen ungewöhnlichen Akzent.[ds_preview]

Zehn Prozent mehr Zuschauer, 25 Prozent höhere Einnahmen, über 100 neue Abonnements, eine fast immer fast ausverkauft Spielstätte: Der Zuspruch der Hallenser, den das Orchester derzeit erlebt, ist sicherlich so groß wegen des wie am Sonntag und Montag beim vierten Teil des Brahms-Zyklus ansprechenden Programms. Ein Teil der Begeisterung darf aber auch als Vorschuss für die im Sommer beginnende neue GMD Ariane Matiakh gewertet werden. Matiakh war auch in dieser Saison mit mehreren Auftritten präsent, darunter mit der Leitung des zweiten Brahmszyklus-Teils sowie einem umjubelten Auftritt mit Pianistin Ragna Schirmer Ende März (Ravel, Debussy, Berlioz), nebst schon jetzt legendärer Vierhand-Klavierzugabe der beiden.

Viele Applaus für die Staatskapelle und Dirigent Mario Venzago am Montag in der Händel-Halle. (Foto: xkn)

Brahms-Teil 4 jedoch stand ganz im Zeichen von Dirigent Mario Venzago und Violin-Solistin Soyoung Yoon. Auf dem Programm standen das Violinkonzert D‑Dur und die Sinfonie Nr. 3 F‑Dur. Wer Brahms nur von CDs, von Youtube oder aus wenigen Konzerten kennt, der erwartet volltönige, massive Orchesterwerke nahe am Bombastischen. Venzago, Yoon und die Staatskapelle überraschen mit einer beinahe zaghaften, dabei aber nicht minder virtuosen und bezaubernden Interpretation. Venzago verficht eine sich dem heutigen Mainstream des Musikmarktes widersetzende Brahms-Rezeption, die man umschreiben könnte mit: Weniger ist mehr. Bei Venzago kommen alle Stimmen zur Geltung, besonders die Holzbläser, die Flöten, Oboen und Klarinetten, und wie sie bei Brahms mit allem ineinandergreifen. Die Streicher dagegen spielen, so scheint es, mit gedrosselter Leistung, ein flauschiger Teppich mit vielen schönen Farben. Man mag in dieser nachdenklichen, die orchesterliche Vielfalt preisenden Interpretation auch ein Statement zur Zeit erkennen.

Soyoung Yoon. (Foto: privat)

Das passt im Violinkonzert wunderbar zum Solospiel von Soyoung Yoon. Die in der Schweiz lebende Koreanerin, Jahrgang 1984, ist eine der jungen internationalen Größen ihres Fachs. In Halle zieht sie das Publikum sofort in den Bann. Der Brahmspart ist eine der großen Geigenpartien der klassischen Musik. In Halle ist am Montag eine leise und dennoch fulminante Version zu hören. Ausdrucksstark nimmt Soyoung Yoon die Hallenser mit auf eine kleine musikalische Reise mit gekonnt gesetzten Akzenten und berauschender Virtuosität, gesteigert in der extralangen und extravaganten Kadenz am Ende des ersten Satzes.

Folgerichtig daher der die Traditionen außer Kraft setzende große Applaus direkt nach dem ersten Satz. Aber wenn sich Begeisterung Bahn brechen will, haben Dirigent und Solistin nichts dagegen. Folgerichtig auch die am Ende des Violinkonzerts stehenden Ovationen für Soyoung Yoon, die noch vor der Pause eine liebliche Einzelzugabe gibt, die die Zuhörer mit einem Lachen in die Pause schickt. Und folgerichtig im zweiten Teil des Abends, nach einer in weiten Teilen besinnlichen 3. Brahmssinfonie, der tosende Beifall für Dirigent und Orchester, der zur erneuten und gern gegebenen Zugabe auffordert: Brahms‘ Ungarischer Tanz Nr. 1, beschlossen vom sehr charismatischen Mario Venzago vor dem letzten Akkord – mit Luftsprung.

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siggivonderheide@me.com
4 Jahre her

Oh wie schön, eine Kulturkritik die einfach nur ein Konzert beschreibt. Danke.