Stuck, Verfall und Besetzung – Die wechselvolle Geschichte der Mansfelder Straße 59

Die Mansfelder Straße ist eines dieser unsanierten Häuser, die immer weniger im Stadtbild Halles zu sehen sind. Anders als viele denken mögen, ist das Haus bewohnt und hinter der Fassade schlummern Geschichten über die DDR, die Klaustorvorstadt und noch manch anderes.

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Christiane und Tobias Barth vor dem Portal der Mansfelder Straße 59. (Foto: lsn)

Halle/StäZ – Verlässt man die Altstadt Richtung Neustadt, passiert man auf der rechten Seite in der Mansfelder Straße zunächst einen Parkplatz und kurz darauf drei nicht sanierte Häuser. Das Haus, in dem Christiane Barth ein halbes Leben lang wohnt, liegt direkt neben „Gelis Eroticmarkt“. Es ist die Nummer 59. Sie bildet die Mitte in dem Ensemble. Beim Betrachten könnte man meinen, die drei Häuser stehen nur noch, weil sie sich gegenseitig halten. Das von der Stadt aus gesehen erste Haus, ist mit einem grünen Baunetz geschützt. Es ist offensichtlich unbewohnt. Doch auch Christiane Barths Wohnhaus wirkt nicht viel bewohnter. Die Jalousien im Erdgeschoss sind runtergezogen, die Wände voller Graffiti. Eine Glyzine, die im Winter alle Blätter abgeworfen hat, berankt die komplette rechte Hausseite. Das große Tor in der Mitte ist scheinbar immer geschlossen. Nur wer sich die Zeit nimmt und genau hinschaut, entdeckt, dass die oberen Fenster, die hinter den Ranken versteckt liegen, geschmückt sind. Blumen stehen auf der Fensterbank. An diesem Haus hängen die Herzen vieler, die seit Ende der 1970er Jahren darin gewohnt haben.[ds_preview]

Treffen der Generationen

Verwunschen und unscheinbar: die Mansfelder Straße 59. (Foto: lsn)

Es ist einer der ersten sonnigen Tage im März als sich die ehemaligen Bewohner wiederversammeln. An die vierzig sind es geworden. Nicht nur aus Halle kommen sie, sondern aus all den Ecken, in die es sie über die Jahre verschlagen hat. Christiane Barth hat sie eingeladen. Die jüngsten sind Mitte zwanzig, die ältesten gehen auf die siebzig zu. Bei mitgebrachtem Buffet wollen sie noch einmal die alten Zeiten aufleben lassen. Es sind die Zeiten, als im Halle der ausgehenden DDR Häuser besetzt wurden, um sie vor dem Verfall zu retten. „Instandbesetzen“ hieß das damals. Christiane Barth war nicht die erste, die in die Mansfelder Straße 59 einzog, aber sie ist diejenige, die seit dieser Zeit am längsten dort gewohnt hat. Für sie ist klar: „Häuser sind für Menschen da, nicht Menschen für Häuser“. Die Stimmung an diesem Sonnabend ist teilweise wehmütig. Zwischen Wehmut mischt sich auch Freude an den schönen Erinnerungen. Die Zeiten müssen schön gewesen sein, auch wenn sie einige Krisen zusammen durchstehen mussten. Nicht nur das Leben in dem Haus ist für manche lange her, auch das Wiedersehen. Viele der ehemaligen Bewohner haben sich über Jahre nicht gesehen. So erfreuen sie sich nicht nur an den alten Erinnerungen, sondern auch darüber den einen oder die andere endlich mal wieder vors Gesicht zu bekommen.

Die Erinnerungen an das Haus sind voller Geschichten. Die Bewohner haben sie selbst erlebt oder dem Haus in mühevoller Restaurationsarbeit entlockt. Sie berichten von den unterschiedlichen Epochen des Hauses. Von Zeiten, die abgeschlossen wirken. An dem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, das manche „als die Hasi der 1980er“ in Erinnerung haben, lässt sich nicht nur die Geschichte der Klaustorvorstadt erahnen. Noch mehr Aufschluss bietet das Haus über alternatives Leben in der DDR, über den Umgang mit Altbau, damals wie heute. Denn das Haus war bereits stark verfallen, als es in den Fokus der späteren Besetzer und Bewohner geriet. Es stand praktisch kurz vor dem Abriss, als 1979 ein junges Paar das Obergeschoss besetzte: Birgit und Thomas Adolphi. Seitdem haben dort drei Generationen gelebt. Gemeinsam haben sie damals das Haus erhalten und vor dem Abriss bewahrt. Über die Systeme hinweg.

Schwarz Wohnen in der DDR

Passenden Wohnraum zu finden, das war auch im realexistierenden Sozialismus nicht einfach, meinen die beiden heute. Bevor Birgit und Thomas Adolphi in die Mansfelder Straße 59 zogen, lebten die beiden in einer Teilwohnung, das heißt in eineinhalb Zimmern und einer dazugehörigen Küche. Zu wenig, fanden sie, denn Birgit Adolphi war schwanger. Auch über die damals üblichen komplizierten Ringtausche fanden sie keine Wohnung, und so zogen sie im September 1979 kurzerhand in die Mansfelder Straße 59 ein.

Schwarz wohnen hieß das damals und war von den Behörden nicht gern gesehen. Schon am nächsten Tag, es war ein Montag, erinnert sich Thomas Adolphi, erschien der örtliche ABV, der Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei, der nur sagte: „Alles wieder wegschaffen!“ Die beiden schufen jedoch nichts weg. Mit Ausdauer, Glück und Kontakten schafften sie es schließlich zu bleiben und Anfang 1981 einen Ausbauvertrag zu erhalten. Mit dem in der Tasche durften sie wohnen, unter der Maßgabe, dass sie das Haus selbständig ausbauen. Dem vorausgegangen waren Räumungstermine, eingelegte Widersprüche, Eingaben und Ordnungsstrafen, die jeweils beide zahlen mussten, weil „ihre Familienverhältnisse nicht geordnet waren“. Sprich: Sie waren unverheiratet.

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