Fridays for Future: Teil einer Jugendbewegung

Am Freitag ziehen rund 1000 Jungendliche beim Klimastreik durch Halle, mit vielen bunten Plakaten und klaren Ansichten. Es ist die größte politische Schülerverammlung seit langer Zeit.

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Die Fridays For Future Demonstration auf der Kreuzung Hansering, Leipziger Straße. (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Sie sind hier, sie sind laut, weil man ihnen die Zukunft klaut. Den Kampfruf, der in der Wir-Form an diesem Klimastreik-Freitag am meisten zu hören sein wird, können sogar die Jüngsten. Die Bildungsmanufaktur Riesenklein ist mit Kita- und Schulkindern, mit Erziehern, Lehrern und Eltern angerückt. Mit ihren selbstgemalten Schildern – „Wir wollen auf einer sauberen Erde leben!“ –  haben sich die Kleinen auf den obersten Stufen zum Lehrerbildungsinstitut am Riebeckplatz aufgebaut und fangen an zu rufen. Erst leise, dann immer lauter, dann kommt eine Trommel dazu, und zum Schluss ruft es der ganze Riebeckplatz. Da ist zum ersten Mal Stimmung bei Fridays for Future in Halle.[ds_preview]

Vorbildlich mit der Straßenbahn sind die meisten gekommen. Kurz vor zwölf ergießen sich kleine und größere Gruppen von Schülerinnen und Schülern aus den Bahnen, die im Minutentakt am Verkehrsknotenpunkt halten. Aus allen Schulen der Stadt sollen hier Schüler sein, zumindest aus allen weiterführenden. Zweimal gab es in diesem Jahr bereits erst kleine Fridays-for-Future-Kundgebungen mit maximal 150 Leuten auf dem Markt. Diesmal ist das anders. Schon vor zwölf ist klar: Hier wird heute der Stadtrekord gebrochen. Abgesehen von den jährlichen Abschlussfeiern auf der Peißnitz ist es die größte Schülerversammlung, die Halle seit vielen Jahren erlebt hat. Es sind auch deutlich mehr Transparente, Pappschilder und Banner zu sehen, als bisher beim Klimastreik in Halle. Sie haben sich alle vorbereitet. Wie an vielen anderen Orten der Welt soll diesmal auch in Halle ein Fanal ausgehen von diesem 15. März. Halle soll lautstark dabei sein. Halle soll kraftvoll für eine effektivere Klimapolitik demonstrieren. Halle soll Teil der globalen Jugendbewegung sein.

Stimmung gut, Ton schlecht

Eine Schülerin, die von Anfang an dabei ist, erzählt: „Wir treffen uns jede Woche zu einem Plenum in der Goldenen Rose und vor der Demo haben wir uns sogar öfters getroffen.“ Es gebe eine große Whatsappgruppe mit mehr als 300 Mitgliedern, und alle, die wollen, können sich dort beteiligen. Ebenfalls über Whatsapp hat sich die Gruppe „Parents for Future“ gefunden. Gabriel Walther, ein Vater, ist zeitig am Riebeckplatz und will erst einmal seine Mitstreiter treffen. „Wir kennen uns noch gar nicht alle persönlich“, sagt er. Am Riebeckplatz findet quasi das Gründungstreffen statt, auch wenn sich die Mitglieder schon sehr aktiv in die Organisation der Demo mit eingebracht haben. Peter von Lampe ist darüber dankbar, will aber auch gleich klarstellen, dass das ganze immer noch eine Schülerdemo ist.

Von Lampe ist eines der Gesichter von Fridays for Future Halle. Mit Megaphon rennt er immer wieder von Ecke zu Ecke, organisiert, polemisiert, skandiert. Seine Stimme überschlägt sich dabei immer ein bisschen. Überhaupt: Am Ton müssen sie noch arbeiten. Die Soundanlage und das Megaphon sind viel zu leise für 1000 Menschen. Man versteht fast nichts, wenn man nur zehn Meter weit weg steht. Wenigstens ist diesmal das brennstoffbetriebene Stromaggregat nicht mehr dabei, das bei einer der vorherigen Kundgebungen irritiert hatte. Die Schüler lernen.

Dass es ausgerechnet vor dem Lehrerinstitut losgehen soll, ist an diesem Tag nicht die einzige Pointe. Ein paar der Pädagogen schauen aus den Fenstern des Gebäudes. Ob belustigt oder anerkennend – das lässt sich schwer einschätzen. „Es ist nicht Deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär nur Deine Schuld, wenn sie so bleibt“, wummert es übersteuert aus der Box über den Platz, die auf einem Lastenfahrrad transportiert wird. Die Ärzte zählen offenbar auch für die Freitagsgeneration nach wie vor zum Nonplusultra der Demomucke. Es passt ja aber auch.

Die junge Generation will es besser machen als ihre Eltern

Hier macht sich eine junge Generation auf, es besser zu machen als ihre Eltern und Großeltern. Irgendwie auf das Klima bezogen, aber meist ganz allgemein gesprochen. Die Forderungen sind entsprechend oft praktisch allumfassend: „We have the solution: Stop the pollution“. Oft sind es auch simple Feststellungen: „Das Klima ist heißer als mein Girlfriend.“ Der vollbusige Girlfriend würde sonst in bestimmten Kreisen Sofort Sexismus-Alarm auslösen. Aber politisch korrekt sind hier viele nicht. Das Plakat eines Teenagers zum Eisbären Amy, die lieber von ihrem Artgenossen als vom Klima „gef***t“ werden will, ist trotzdem nicht jugendfrei – aber ein Hingucker wie so viele. Abgesehen davon ist Klimaschutz ein Thema, das offenbar auch die Kleineren kapieren: Ein Junge mit Fahrradhelm trägt sein Schild mit der Aufschrift „Autos haben zwei Räder zu viel!“ spazieren.

Zwei Schüler, die extra aus Droyßig angereist sind, fordern, „dass endlich der Umweltschutz umgesetzt“ werden soll. Sie sind zusammen mit anderen Klassenkameraden und ‑kameradinnen nach Halle gekommen, um ein „Zeichen zu setzen“. Ihre Schule, so erzählen die beiden, unterstütze sie dabei. Gleich neben den beiden Jungs aus Droyßig läuft Jana Friedrichs, eine junge Studentin, die gerade nach Halle gezogen ist. Sie findet, der Klimawandel gehe alle etwas an, „nicht nur Schüler und Kinder“. Elsa Hansel vom TMG hat ein konkretes Thema: „Wir kämpfen heute für den frühen Kohleausstieg, ohne den der Klimawandel sich beschleunigen wird.“

Vom Riebeckplaz zieht die Demo relativ zügig die Franckestraße entlang zum Leipziger Turm und von dort via Hansering zum Markt. Auf der ersten Etappe ist die Demo dabei schneller als die Autos, die dreispurig im Freitagmittagsstau vor dem K&K stehen. Ein Autofahrer, mittleres Alter, der rechts zum Leipziger Turm abbiegen will, aber nun wegen der Demo nicht kann, steigt sogar aus und betrachtet sich das Schauspiel. Aus Sicht der Schüler – die ihn freilich nicht sehen – ist er Teil des Problems. Verständnisvoll ist er wiederum ganz und gar nicht. Kopfschüttelnd steigt er wieder ein.

Auch seinetwegen ist die Verkehrswende eines der Demoanliegen an diesem Tag. Am Leipziger Turm gibt es dazu eine Rede vom jungen Mann mit dem Lastenfahrrad. Eine Ballettgruppe aus Eisleben ist gekommen und tanzt anmutig zum E‑Nomine-Song „Deine Welt“. Die Menge klatscht im Takt. Wuchtig der Kurzauftritt von Hendrik Lange. Er ruft so laut ins Mikro, dass die Soundanlage fast auszufallen droht. Der Noch-Stadtratsvorsitzende und rot-rot-grüne OB-Kandidat zollt den Jugendlichen seinen „absoluten Respekt“ für die große Demo. „Ihr habt jedes Recht, hier zu stehen und wütend zu sein.“ Sie sollten sich von „den Konservativen“ nicht einschüchtern lassen.

Da ist es, das Thema Schulpflicht. Für viele Schüler und Schülerinnen ist klar, dass sie in der Schulzeit demonstrieren müssen. Nicht weil sie Schule schwänzen wollen oder nachmittags keine Lust hätten sich zu engagieren, wie Elsa Hansel vom Thomas-Müntzer-Gymnasium betont. Sondern weil sie sonst keine Stimme hätten. Ewa Pietsch vom Genscher-Gymnasium ist der gleichen Meinung: „Keiner gibt uns eine Stimme. Wir müssen uns die erst nehmen, damit wir gehört werden.“

Ine Jastra, eine Erwachsene, die für die Zukunft ihrer Kinder demonstriert, findet es wichtig, dass die Schüler in der Schulzeit demonstrieren. „Denn Arbeitnehmer streiken ja auch in ihrer Arbeitszeit, sonst würde es ja auch die Wirkung mindern“. Sahra, eine Doktorandin der Uni Halle, sagt: „Unsere Zukunft hängt vom Klimawandel ab. Die Schüler*innen müssen in der Schulzeit demonstrieren, sonst schmerzt es nicht.“ Eine Schülerin, ebenfalls vom TMG, meint, dass erst durch „den Boykott der eigenen Funktion“ Aufmerksamkeit erreicht werden könne. Außerdem verpasse sie „gar nicht viel Unterricht“, denn es sei „ja nur die letzte Stunde am Freitag“. Das erzählen viele Schülerinnen. Auch Lehrstoff werde gar nicht so viel verpasst. Und das, was sie verpassen, holen sie auch nach, so heißt es zu mindestens von Seiten der Schüler.

Emrick, eine junge Frau von der Berufsschule Dreyhaupt, hält die Rettung des Klimas für „wichtiger als eine Unterrichtsstunde“. Auf ihrer Schule unterstützen einige Lehrkräfte Fridays for Future, andere hingegen halten die Demonstrationen für falsch. Auf der Schule ihrer Freunde Jane und Ash, die auf dem Elisabeth-Gymnasium sind, ist die Oberstufe freigestellt, zu der Demonstration zu kommen. Rekia Trost vom Genscher-Gymnasium habe auch eine Freigabe vom Lehrer bekommen. Sie wolle „lieber den Unterricht verpassen und ihn später nachholen“ als nicht zur Demonstration zu kommen. So scheint es viele Schulen in Halle zu geben, die die Teilnahme ihrer Schülerschaft an den Aktionen nicht unbedingt immer aktiv unterstützen, sie aber zu mindestens dulden. Die Erwachsenen Jana und Friedrich sagen klipp und klar: „Klar ist das Schwänzen ein Reibungsthema. Aber das braucht es eben für die Aufmerksamkeit. Wir sind heute auch hier, weil mehr Erwachsene und nicht nur Kinder demonstrieren sollten.“

„Saufen für den Klimaschutz“

Einigkeit allerorten im Demozug. Die Stimmung am Leipziger Turm ist ebenfalls hervorragend. Das Wetter hält gerade so, und die Demo hat sich über die ganze Kreuzung ausgebreitet. Hier ist der Höhepunkt des Geschehens. „Die Stimmung ist super und zeigt wie die Schülerschaft in Halle abgeht“, meint ein Schüler. Nur der sogenannte Die-in, eine Art symbolischer Sterbe-Flashmob, mit dem an die zahlreichen sinnlosen Opfer des Straßenverkehrs erinnert werden soll, will nicht so richtig funktionieren. Es ist einfach zu voll auf der Kreuzung, als dass sich alle hinlegen könnten.

Später am Markt lichtet sich die Menge schon etwas. 1000 Menschen sind auf dem großen Platz auch nicht wirklich viel. Es gibt keine Bühne, sondern Peter von Lampe steht mit seiner Leitungspartnerin auf einer Bank und dirigiert die Menge. Ein einsamer junger Mann mit Bierflasche hält sein Schild „Saufen für den Klimaschutz“ hoch. Ob der Redner, der gleichzeitig das Wort für eine umfassende Reform der Ernährungsweise ergriffen hat, diese Forderung gutheißt, bleibt offen. Aber immerhin kann er mitteilen: „Meine Oma ist jetzt 78 und steigt jetzt um auf eine pflanzenbasierte Ernährung.“ Jubel.

Nicht nur die Jugend muss sich nach Meinung der allermeisten rühren, damit die Erde eine Zukunft hat. Simon, ein Azubi für IT-Elektrotechnik formuliert es drastischer: „Die Erde ist am Verrecken. Es muss jetzt was getan werden, die Menschen müssen sich endlich bewegen.“

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