Ingenieurmangel im Raum Halle: Der neue IHK-Chef und die Büchse der Pandora

Halles neuer IHK-Präsident hat mit seiner Forderung nach einer universitären Ingenieurausbildung im Süden Sachsen-Anhalts für politischen Wirbel gesorgt. Die Landesregierung könne sich das inzwischen sogar vorstellen. Aber nicht in Kooperation mit der Universität Halle.

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Elektroingenieure während ihrer Ausbildung -- ein Bild, das es so an der Universität in Halle nicht mehr gebit und vermutlich auch nie wieder geben wird. (Symbolbild: Kzenon/AdobeStock)
Angehende Elektroingenieure während ihrer Ausbildung – ein Bild, das es so an der Universität in Halle nicht mehr gibt und vermutlich auch nie wieder geben wird. (Symbolbild: Kzenon/AdobeStock)

Halle/StäZ – Eigentlich war es eine Randnotiz in einer langen Rede. Für aufmerksame Zuhörer aber hatte die Bemerkung von Halles neuem IHK-Chef Steffen Keitel das Zeug, eine Diskussion vom Zaun zu brechen, von der die Landesregierung in Magdeburg und die Universität in Halle hofften, sie sei endgültig vom Tisch. Keitels Publikum zum gemeinsamen Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau sowie der Handwerkskammer Halle vor einer Woche konnte dabei nicht kleiner sein: Vor 700 Gästen forderte der erst im Dezember gewählte IHK-Präsident in der Händel-Halle eine politische Initiative gegen den Mangel an Ingenieuren in seinem Verantwortungsbereich. Helfen könne dabei „ein universitäres ingenieurtechnisches Zentrum hier im Süden des Landes“.

Eine Woche und etliche Nachfragen später die Rolle rückwärts: Keitel wolle sich, so sein Pressesprecher Markus Rettich gegenüber der Städtischen Zeitung, lieber nicht weiter zu seinem öffentlichen Vorstoß äußern, die Ingenieurausbildung an der Universität in Halle nach deren Ende 2016 neu zu etablieren. Die Büchse der Pandora namens Ingenieurausbildung in Halle nicht wieder zu öffnen, daran liegt offenbar auch der Uni selbst und der Landesregierung. Zumindest ergaben das Anfragen der Städtischen Zeitung. Aufhorchen lässt dagegen ein anderer Vorschlag aus Magdeburg.[ds_preview]

IHK-Chef Keitel, selbst promovierter Ingenieur für Fertigungstechnik, Honorarprofessor für Strahltechnologien an der Fakultät für Maschinenbau der Technischen Universität Chemnitz  und Geschäftsführer der Schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalt Halle GmbH, hatte in seiner Neujahrsansprache von der Wirtschaft gefordert, für eine stabile Zukunft modern zu denken. Dabei griff Keitel das Motto des Bauhausjubiläums #moderndenken auf. Der IHK-Präsident gliederte seine Rede in fünf Thesen, von denen sich die letzte mit der Fachkräftesituation befasste und einen Punkt mit politischem Zündstoff bereithielt.

Handwerkskammer-Präsident Thomas Keindorf, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Hasleoff und Halles neuer IHK-Chef Steffen Keitel vereint beim Neujahrsempfang. (Foto: Jan Möbius)
Handwerkskammer-Präsident Thomas Keindorf, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Hasleoff und Halles neuer IHK-Chef Steffen Keitel vereint beim Neujahrsempfang. (Foto: Jan Möbius)

„Im südlichen Sachsen-Anhalt spüren wir den Mangel an Ingenieuren besonders schmerzlich“, sagte Keitel. Er spielte dabei besonders auf den bevorstehenden Strukturwandel durch den Kohleausstieg bis 2030 an. Den könne er sich „beim besten Willen“ nicht erfolgreich vorstellen, „ohne ingenieurwissenschaftliche Kompetenz“. Keitel hatte für das von ihm erkannte Dilemma auch eine Lösung parat: „Helfen könnte ein universitäres ingenieurtechnisches Zentrum hier im Süden des Landes.“ Noch während nach diesem Satz vor allem der Auditorium sitzende Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) geschluckt haben dürfte, legte Keitel gleich in Sachen Finanzierung eines solchen Vorhabens nach: „Im Zusammenhang mit der Arbeit der sogenannten ‚Kohlekommission‘ wird ja betont, am Geld werde keine Projektidee scheitern, die den Strukturwandel voranbringe.“ Keitel forderte seine Mitstreiter aus der Wirtschaft dazu auf, die politisch Verantwortlichen beim Wort zu nehmen.

Rektor der Universität Halle: Christian Tietje (Foto: Michael Deutsch)
Rektor der Universität Halle: Christian Tietje (Foto: Michael Deutsch)

Viel übrig ist nicht mehr von Keitels These fünf eine Woche nach dem Neujahrsempfang. Warum sich IHK-Präsident Keitel nicht weiter zu seinem Vorstoß äußern oder ihn erklären will, dass ließ er seinen Pressesprecher nicht übermitteln. Vermutlich aber hat Keitels Rede Wellen geschlagen und ihm wurde geraten, sich nicht weiter mit der universitären Ingenieurausbildung im Landessüden zu befassen – die Büchse der Pandora also lieber geschlossen zu halten. Denn das Ende des Ingenieurwissenschaftlichen Zentrums an der Universität Halle ist ein Politikum. Das hatte nach der bis heute umstrittenen Entscheidung der Landesregierung 2004, die Fakultät für Ingenieurwissenschaften in Halle zu schließen, deren Aufgaben zwölf Jahre lang zu Ende geführt. Bis heute hallt das Unverständnis in der Saalestadt nach: „Die Universität hat das Ende der ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung inhaltlich nicht unterstützt, aber vollzogen“, sagte Hochschulsprecherin Manuela Bank-Zillmann gegenüber der StäZ.

Kosten für neue Fakultät liegen bei mehreren 100 Millionen Euro

Für die Uni Halle scheint das Thema endgültig vom Tisch. Zumal man dort auch die Folgen einer Wiederbelebung der Ingenieurwissenschaften kennt. Vor allem die Finanzierung stellt dabei eine der größten Hürden dar, die wohl allein mit Mitteln aus dem Kohleausstieg nicht zu überwinden ist. Der Wiederaufbau einer Fakultät für Ingenieurwissenschaften würde laut Uni-Sprecherin Bank-Zillmann mehrere 100 Millionen Euro kosten. Rektor Christian Tietje sagte zudem: „Sollte es eine politische Entscheidung geben, die nachhaltig und dauerhaft finanziell abgesichert ist, wieder eine universitäre Ingenieursausbildung in Halle zu etablieren, dann müssten darüber verantwortungsvolle Gespräche geführt werden.“

Löwenskulptur am Universitätsplatz (Foto: Markus Scholz)
Löwenskulptur am Universitätsplatz (Foto: Markus Scholz)

Ungeachtet dessen gebe es nach dem Ende der Ingenieurwissenschaften in Halle noch immer zahlreiche Kooperationen mit den Fachhochschulen im Bereich der Ingenieurausbildung, so Bank-Zillmann. Und: „Die Universität hat weiterhin das Promotionsrecht für Ingenieure und verleiht den Dr.-Ing.“ Auch wenn eine eigene Fakultät für Ingenieurwissenschaften aus Sicht der Uni unwahrscheinlich erscheint, stehe man dem weiteren Ausbau der Zusammenarbeit mit den Fachhochschulen der Region, die Ingenieure ausbilden, offen gegenüber.

Land: Ingenieurzentrum im Landessüden nur mit Uni Magdeburg 

Wesentlich deutlicher wird man in Magdeburg – zumindest mit Blick auf die Universität Halle. In der Landeshauptstadt hält man offenbar nichts davon, noch einmal über die Ingenieurausbildung in der Saalestadt zu reden – wie auch schon 2004 nicht. „Der Schwerpunkt der universitären Ingenieurwissenschaften in Sachsen-Anhalt liegt an der Universität Magdeburg – und das soll auch so bleiben“, sagte Robin Baake, der stellvertretende Pressesprecher im Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium in Magdeburg.

Die Uni Halle scheint also endgültig aus dem Rennen zu sein. Und das auch bei einem plötzlich völlig neuen Gedankenspiel in Magdeburg. Baake nämlich deutete an, dass man im Ministerium durchaus bereit sei, über eine Stärkung des Landessüdens bei der Ingenieurausbildung zu reden. Allerdings ausschließlich in Verantwortung der Magdeburger Uni: „Möglich wäre ein Ausbau der Hochschule Merseburg oder der Hochschule Anhalt in Kooperation mit der universitären Ingenieur-Ausbildung der Universität Magdeburg zu einem ingenieurtechnischen Zentrum.“ Eine Art Außenstelle der Uni Magdeburg vor der Nase der Uni Halle also? Über Vor- und Nachteile sowie insbesondere auch die Finanzierung eines solchen Vorhabens müsse in Ruhe beraten werden, so Baake. Das gelte gerade auch mit Blick auf mögliche Doppelangebote und Folgekosten. „Die waren ja seinerzeit ein Grund, die Studienangebote an Sachsen-Anhalts Hochschulen zu konzentrieren und eine entsprechende Strukturreform durchzuführen.“ Das letzte Wort dürfte also, trotz der allseitigen Zurückhaltung bei dem Thema, noch nicht gesprochen sein.

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