Denkmalamt: Schorre darf nicht einfach abgerissen werden

Lange wurde gerätselt, nun stellt das Denkmalamt klar: Die Schorre ist definitiv schützenswert, wenn auch nicht als reines Baudenkmal.

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Eine Hinweistafel an der Schorre in Halle weist auf die historische Bedeutung des Hauses hin. (Foto: Jan Möbius)

Halle/StäZ – Die Schorre in Halle ist ein Denkmal. Und sie ist als solches schon seit Jahren Bestandteil des Denkmalverzeichnisses. Zu diesem Schluss kommen Sachsen-Anhalts oberste Denkmalpfleger nach einer neuen Prüfung. Hintergrund ist ein durch den neuen Eigentümer des Tanztempels in der Willy-Brandt-Straße gestellter Abrissantrag, der derzeit bei den Behörden bearbeitet wird. „Die Schorre steht im einen Quadratkilometer großen Denkmalbereich südliche Stadterweiterung. Sie ist dort mit dem Baujahr 1864 eines der beiden ältesten, noch erhaltenen Gebäude“, sagte Ulrike Wendland, Landeskonservatorin und Vize-Chefin im Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie auf Nachfrage der Städtischen Zeitung. Deshalb sei die Schorre grundsätzlich als Denkmal zu behandeln, alle Veränderungen dürften nur mit Erlaubnis erfolgen.[ds_preview] „Was ein Investor in diesem Gebiet  macht, darf zudem den Denkmalbereich auf keinen Fall nachhaltig verändern“, so Wendland. Ein Abriss würde aber genau das bewirken. Die Landeskonservatorin werde eine ausführliche Stellungnahme ihren Kollegen der unteren Denkmalbehörde im Rathaus von Halle schicken. „In dieser Hinsicht sagen wir der Verwaltung volle Unterstützung zu“, so Wendland.

Vom historischen „Hofjäger“ nicht mehr viel übrig

Wendland räumte aber auch ein, dass die Schorre nicht als einzelnes Baudenkmal im Verzeichnis ihrer Behörde eingetragen ist. „Vom ursprünglichen Haus ist durch viele Überbauungen nicht mehr viel übrig, was diesen Status rechtfertigen würde“, so die Expertin. Dazu müsste von dem einstigen Gaststätten- und Veranstaltungshaus „Hofjäger“ aus dem 19. Jahrhundert zumindest noch ein Teil Substanz erkennbar sein. Das sei aber nach den starken Veränderungen zuletzt in den 1950er Jahren nicht mehr der Fall. „Eine Einordnung jetzt als Bau- oder Einzeldenkmal würde aus unserer Sicht vor Gericht nicht standhalten“, so Wendland. 

Dennoch ändere das nichts am tatsächlichen Denkmalstatus, den die Schorre allein wegen ihrer Lage in einem Denkmalbereich und wegen ihres Alters genießt. Hinzu kommt Wendland zufolge auch der Status als Kulturdenkmal. Auch wenn die historischen Bedeutung der Schorre im Denkmalverzeichnis nicht erfasst ist, müsse in die Gesamtbetrachtung vor einer eventuellen Erlaubnis zur Veränderung des Gebäudes oder gar der Freigabe zum Abriss die historische Bedeutung einfließen. 1890 trafen sich dort die führenden Sozialdemokraten um August Bebel und gaben ihrer Partei den bis heute geltenden Namen SPD. Deren Stadtverband Halle setzt sich seit dem Bekanntwerden der Abrisspläne der Eigentümerfirma aus Leipzig Ende November vergangenen Jahres für den Erhalt der Schorre ein.

Stadt igelt sich ein, Eigentümer sperrt Schorre-Zugänge ab

Zuletzt hatte die SPD im Planungsausschuss des Stadtrates Erfolg mit einem Antrag, wonach die Stadtverwaltung jetzt alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen muss, um die Schorre vor dem Abriss zu bewahren. Wie genau das geschehen soll, dazu kann man aber offenbar in Halles Rathaus im Gegensatz zur zuständigen Landesbehörde keine konkreten Antworten geben. Zumindest ließ Stadtsprecher Drago Bock entsprechende Fragen der Städtischen Zeitung unbeantwortet. So bleibt auch offen, ob die Stadt überhaupt mit den Eigentümern in Kontakt steht. Baudezernent René Rebenstorf hatte zum Erstaunen vieler Stadträte gesagt, dass dies nicht der Fall sei.

Während man sich im Rathaus offenbar einigelt, läuft die Zeit für die Schorre ab. Die Eigentümerfirma aus Leipzig hat vor wenigen Tagen versucht, Fakten zu schaffen. Mitarbeiter stellten rund um die Schorre Bauzäune auf, wechselten an allen Zugangstüren die Schlösser aus und versuchten so, den Betrieb zu unterbinden. Die Betreiber des Tanztempels gingen dagegen mit einer Verfügung des Landgerichts Halle vor. Bis Ende Mai, dann läuft der Pachtvertrag aus, muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden, die Schorre zu betreiben. Anderenfalls drohen der Leipziger Eigentümerfirma 250.000 Euro Strafe.

Schutzbegründung aus dem Denkmalverzeichnis:

Die südliche Stadterweiterung in Halle ist ein wichtiges architektur- und sozialgeschichtliches Zeugnis des Städtebaus für den Zeitraum von 1880 bis 1912. Auslöser für die rasante Entwicklung war auch hier die Industrialisierung und die damit einhergehende Bevölkerungsexplosion. So stieg die hallesche Einwohnerzahl zwischen 1870 und 1905 von 52 000 auf 170 000 Einwohner. 

Der Denkmalbereich wird nördlich von der Willy-Brandt-Straße, östlich von der Turmstraße, südlich von der Nordseite der Pfännerhöhe und der Wolfstraße (Nr.10) sowie westlich von der Beesener Straße (1–3), Annenstraße und der Ostseite der Hochstraße begrenzt.

Die Bebauung südlich der bereits 1817 nach Halle eingemeindeten Stadt Glaucha ist eine der frühen Stadterweiterungen in südlicher Richtung. 

Auf den historischen Stadtplänen zwischen 1824 und 1906 lässt sich die Entstehung und Entwicklung des Gebietes deutlich ablesen. Im Vergleich zum planmäßig angelegten, ebenfalls als Denkmalbereich ausgewiesenen Paulusviertel (ab 1880) im Norden der Stadt,  mit einem Straßensystem aus Radial‑, und Ringstraßen und Rastersystem folgte man zwar auch im Süden zunächst einem strengen geometrischen Konzept (ebenfalls ab 1880) ausschließlich mit geraden Straßen und Baublöcken, modifizierte dies dann im westlichen Teil und band hier verschiedene ältere Straßen und Wege, teils auch mit geschwungenen Verläufen, in das bis 1912 entstehende Viertel mit ein. Dies dürfte vor allem auf die Publikation Camillo Sittes „Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen“ von 1889 zurückzuführen sein, die eine rege Diskussion zur Ästhetik des unregelmäßigen Stadtraumes auslöste. 

Der Denkmalbereich südliche Stadterweiterung erstreckt sich auf einem ca. 1km ² großen, nach Süden ansteigenden Gelände. 

Die älteste Bebauung mit Ausflugslokalen und einzeln stehenden Villen ist heute nur noch durch das ehemalige Bellevue von 1864 (heute: Easy Schorre, Willy-Brandt-Straße 78, stark verändert) und eine Villa von 1868/69 (Willy-Brandt Straße 83, Baudenkmal) belegt. 

Ab ca. 1880 entwickelte sich das Gebiet von Nordosten aus (Turmstraße), direkt angrenzend an die dort entstandenen Maschinenfabriken. Fast alles baureife Land befand sich im Besitz von ca. 15 Bauunternehmern, die sich 80% des nichtstädtischen und nichtfiskalischen Bodens teilten (Quelle: Ergänzung F). Sie lieferten in der Regel auch die Entwürfe für die Häuser. Die wenigen anderen Bauherren beauftragten Architekturbüros, nachzuweisen ist besonders häufig Otto Rudolph. 

Die Dryander‑, Streiber‑, Thomasius‑, und die östlichen Teile der Bernhardy- und Rudolf-Haym-Straße zeigen bis heute eine stringente weitgehend geschlossene Blockrandbebauung. Die Straßen mit den mehrgeschossigen Mietskasernen bilden korridorartige Raumschluchten. Die straßenseitigen Fassaden der Häuser sind mal mehr und mal weniger aufwendig im historistischen Zeitstil dekoriert. Die von Nord nach Süd verlaufende Südstraße stellt eine Zäsur dar. Hier wurden vor den Häusern Vorgärten meist mit Einfriedungen angelegt. Damit manifestiert sich eine soziale Staffelung, die im Stadtviertel von Ost nach West verläuft. Auf die baumlosen Mietskasernenstraßen folgen einseitig baumbestandene Straßen mit geringerer Geschosszahl (drei- bis viergeschossig) und schließlich zum Teil alleeartige Straßen mit Wohnhäusern mit Vorgärten. Eine Ausnahme bildet dabei die Pfännerhöhe, die über den gesamten Bereich von West nach Ost verläuft, durchweg Vorgärten vor den Häusern hat und als Lindenallee angelegt wurde. 

Der westliche Bereich von der Beyschlagstraße bis einschließlich Preßlersberg wurde Anfang des 20. Jahrhunderts bebaut. Hier finden sich einige vorzügliche Wohnhäuser der Reformbaukunst und zahlreiche des Jugendstils. Diese Dichtheit an Jugendstilgebäuden ist sonst nirgends in Halle zu finden.

Damit lässt sich im Denkmalbereich die Breite der Architekturentwicklung zwischen 1868 und 1912 eindrucksvoll ablesen und belegen. Die Bauten sind zudem häufig in hoher Authentizität erhalten.

(Quelle: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie)

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