„Aryans“-Prozess: Rechte Autohetzjagd vor Gericht

Beim Prozessauftakt um einen rechtsextremen Übergriff am 1. Mai 2017 in Halle steht plötzlich eine Organsisation namens Aryans im Mittelpunkt.

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Prozessauftakt am Landgericht Halle: Zwei Mitgliedern der bayerisch-hessischen Kameradschaft Aryans wird der Prozess wegen Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung gemacht. (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Sie sollen am 1. Mai 2017 regelrecht Jagd auf Gegendemonstranten gemacht haben. Sie sollen mit dem Auto „Zecken“ oder Menschen, die sie für Linke hielten, durch den Stadtteil Freiimfelde gehetzt und später eine Gruppe junger Wanderer Kilometer entfernt am Holzplatz überfallen und bei einer kurzen Schlägerei mit einem abgesägten Starkstromkabel verprügelt haben. Und das alles nicht zufällig, sondern als Teil einer größeren offenbar gewaltbereiten damals neuen rechtsextremen Kameradschaft. Ein Mann und eine Frau der selbsternannten „Aryans“ (Arier) sind seit Donnerstag vor dem Landgericht Halle wegen Körperverletzung beziehungsweise schwerer Körperverletzung angeklagt. Zwei Personen von mutmaßlich einem knappen Dutzend. Aber nur den beiden konnte die Staatsanwaltschaft Halle nach mehrmonatigen Ermittlungen bisher zwei konkrete Taten zuordnen. Doch was am ersten Tag in ersten Zeugenaussagen im Prozess zur Sprache kommt, zeichnet schon jetzt ein mutmaßlich größeres Bild als nur das zweier versprengter Rechtsextremer: Es geht um eine mutmaßliche rechtsextreme Kameradschaft aus Bayern und Hessen, die, wenn sich die Vorwürfe erhärten, 2017 zum ersten Mal in Halle richtig losschlug. Es geht aber möglicherweise auch um neue Verstrickungen zwischen hessischer Polizei und der rechtsextremen Szene.[ds_preview]

Von der Attacke am Holzplatz gibt es Fotos. Zu sehen ist der Angeklagte, wie er am 1. Mai 2017 am Holzplatz in Halle sein Auto verlässt, kurz bevor er auf eine Gruppe junger Leute zuläuft und auf sie einprügelt. (Foto: Thomas Schade/Archiv)

Nach Verlesung der Anklage geht es gleich in medias res. Das Gericht unter Vorsitz der Richterin Sabine Staron will herausfinden, was sich genau am 1. Mai vor knapp zwei Jahren in Halle abgespielt hat. Sechs Zeugen werden vernommen: drei Teilnehmer der damaligen rechtsextremen Fahrgemeinschaft, ein mutmaßliches Opfer und zwei andere Zeugen der Hetzfahrt durch Freiimfelde. Doch es sind am Donnerstag nicht nur die eigentlichen Tatumstände, die aufmerken lassen. Es sind vor allem einige nur kurze Andeutungen, die die Dimensionen des Falles erheblich erweitern könnten.

Verfassungsschutz: „Aryans“ ist rechtsextreme Kameradschaft

So sollen die Angeklagten Carsten M. und Martina H. in Halle T‑Shirts mit der Aufschrift „Aryans“ getragen haben, so wie alle Teilnehmer der Gruppe, die am 1. Mai 2017 auf unterschiedlichen Wegen nach Halle gekommen war und dann vom Stadtteil Freiimfelde aus, wo sie ihre Autos geparkt hatten, in geschlossener Gruppe zum Hauptbahnhof zogen. Dort sollte eine Demo der Partei Die Rechte stattfinden. Tausende Gegendemonstranten verhinderten damals, dass der Zug durch Halle laufen konnte.

T‑Shirts allein sind meist nicht strafbar. Es kommt drauf an, was drauf steht – und was die tun, die drin stecken. Bei den Aussagen der Zeugen am Donnerstag wird deutlich: „Aryans“ war wohl mehr als eine bloße, zufällig gleich gekleidete Fahrgemeinschaft zur Demo. „Support your race“ lautete die Aufschrift auf der Rückseite der T‑Shirts – deutlicher Hinweis auf die rechtsextreme Gesinnung der Träger.

Der bayerische Verfassungsschutz hält „Aryans“ schon kurz nach der Maidemo in Halle für eine nur wenige Monate  zuvor neu gebildete rechtsextreme Kameradschaft. Möglicherweise steht sie in teilweiser personeller Kontinuität zu zuvor verbotenen Kameradschaften. Zwar kommen Carsten M. und Martina H. aus Hessen, mindestens einer ihrer Mitfahrer am 1. Mai 2017 aber aus der angrenzenden Region Aschaffenburg in Bayern. Auch er wird am Donnerstag als Zeuge verhört. Name: Thomas S.. Der bayerische Verfassungsschutz berichtete 2017 auch über ein „Aryans“-Treffen bei Thomas S. im Februar desselben Jahres im bayerischen Bessenbach bei Aschaffenburg. 30 bis 40 Personen hätten dort gefeiert. Als die Polizei die Versammlung auflöste, fand sie ein großes Hakenkreuz aus Holz, das augenscheinlich verbrannt werden sollte. Thomas S. will davon nichts gewusst haben. Er sei Bierbänke holen gewesen, sagte er am Donnerstag im halleschen Gerichtssaal. Carsten M. und Martina H. seien „auch kurz da“ gewesen.

Bekam Angeklagte Hinweise von Polizisten?

Überhaupt der Zeuge Thomas S.: Ob er derzeit ein Handy habe, fragt der forsch auftretende Anwalt eines der Nebenkläger, der Berliner Anwalt Sebastian Scharmer. Er war auch Anwalt einer Nebenklägerin im Münchener NSU-Prozess. Nein, er habe gerade kein Handy, das habe die Polizei, antwortet Thomas S.. „Welche Polizei?“, hakt Scharmer nach. „Der Staatsschutz von Wiesbaden“ sei bei ihm gewesen und habe es beschlagnahmt, so Thomas S.; was Scharmer stutzig macht. Der Staatsschutz des Nachbarlandes Hessen komme ja wohl nicht in Frage, also könne ja wohl nur das Bundeskriminalamt gemeint sein, mutmaßt Scharmer. Das sitzt auch in Wiesbaden. Ob es sich um Ermittlungen gegen die „Aryans“ handele? Ja, kommt von Thomas S. zur Antwort. Ob das also eine Ermittlung wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung sei, will Scharmer weiter wissen, denn das sei bei BKA-Beteiligung wahrscheinlich? Die Frage bleibt unbeantwortet. „Aryans“, das sei lediglich der Name einer Gruppe, die sich locker zusammengeschlossen habe, „um zu Demos zu fahren, was zu trinken und für Grillpartys“, sagt Thomas H. noch. Und er fahre nicht mehr zu Demos, weil er sein Leben in den Griff bekommen und Schulden abbezahlen wolle.

Möglicherweise brisant auch eine andere Andeutung bei der Vernehmung eines anderen der rechtsextremen Zeugen: Nebenklage-Anwalt Scharmer zitiert aus den Akten, wonach die Auswertung des Handys der Angeklagten ergeben habe, dass ihr von einem hessischen Polizisten interne Informationen zugespielt worden seien. Ein Hinweis auf ein weiter als bisher bekannt verzweigtes Netzwerk zwischen hessischer Polizei und Rechtsextremen? Erst im Dezember hatten Enthüllungen über rechtsextremistisches Fehlverhalten von Beamten einer Frankfurter Polizeiwache für Aufsehen gesorgt.

Unterschiedliche Versionen vom Tathergang

Es bleibt am ersten Prozesstag jedoch bei Andeutungen. Zum angeklagten Tathergang selbst – ein Steinwurf in Freiimfelde und die Prügelattacke vom Holzplatz – kommen zwei völlig unterschiedliche Versionen auf den Tisch. Die Zeugen der Verteidigung behaupten, nicht sie seien Verfolger, sondern vielmehr Verfolgte gewesen. Die Gegendemonstranten seien zu hunderten immer wieder auf ihre Autos zu gelaufen und hätten massenhaft Steine auf sie geworfen. Carsten M., der einen der Wagen gefahren und am Holzplatz dann abrupt vor einer eigentlich unbeteiligten Wanderergruppe gehalten hatte, ausgestiegen war und mit besagtem Starkstromkabel auf ein Opfer eingedroschen haben soll, soll zuvor am Bahnhof eine geworfene Flasche an den Kopf bekommen haben. Danach sei er nicht mehr er selbst gewesen, so die Version der Zeugen der Verteidigung. Die Gegenversion, auf die sich die Anklage stützt, ist deutlicher und wird am Freitag mit weiteren Zeugen untermauert werden. Es ist die Version von völlig wahllos in Halle herumfahrenden Rechtsextremen, die auf der Suche nach „Zecken“ waren.

Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt. Verteidiger Benjamin Düring, dessen Mandant Carsten M. genau wie Martina H. noch keine Stellungnahme abgegeben hat, sagte gegenüber der Städtischen Zeitung, dass beide die Taten bestreiten. Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer sagte, die Porzessbeteiligten hätten am ersten Tag „dreist lügende Zeugen aus der Naziszene“ gesehen. „Offensichtlich gibt es eine Gruppe namens ‚Aryans‘, die sich verkleidet und organisiert, um auf Demonstrationen zu gehen und dabei Sprengkörper, Steine, Pfefferspray und Starkstromkabel mitführt.“ Ob es bei den Ermittlungen gegen die „Aryans“ tatsächlich um die Bildung einer terroristischen Verinigung gehe und was die Verstrickungen zur Polizei in Hessen angehe: „Das werden wir versuchen, im Laufe des Prozesses herauszubekommen“, so Scharmer. Ein Urteil wird im Februar erwartet.

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