Nachruf: Günther Schilling, „Mann der ersten Stunde“

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Halle/StäZ – Die Martin-Luther-Universität trauert um ihren ehemaligen Rektor Günther Schilling. Er war der erste demokratisch gewählte Rektor der Uni Halle nach der Wende. Unirektor zu sein ist auch in ruhigen Zeiten nicht leicht. Der Agrarwissenschaftler Günther Schilling musste sich jedoch noch zusätzlich beweisen. Denn im Frühjahr 1990, als er gewählt wurde, stand die Uni Halle an der Schwelle eines riesigen Umbruchs: massenweise Überprüfungen und Entlassungen in der Professoren- und Mitarbeiterschaft, drohende Kürzungen und Zusammenlegungen mit anderen Hochschulen, Studienreform und Studentenproteste prägten die Zeit nach der Wende. Ein Erneuerungsprozess – viele Betroffene sagen noch heute Säuberungsprozess – ungeheuren Ausmaßes, den Schilling moderieren und schnell über die Bühne bringen musste (wobei er sich auch selbst der Überprüfungsprozedur stellte). Er führte die Uni bis 1993 und wurde 1995 emeritiert.

Der frühere Rektor der Uni Halle Günther Schilling ist im Alter von 87 Jahren gestorben (Foto: Markus Scholz/Uni Halle)
[ds_preview]Vor Schillings Amtsantritt war die MLU eine der Keimzellen der friedlichen Revolution in Halle gewesen. In unzähligen Versammlungen in den Instituten und an der Uni begehrten Mitarbeiter und Studierende ab Sommer 1989 auf gegen die zentralistische und SED-geführte Steuerung des Wissenschaftsbetriebes, auch gegen den Marxismus-Leninismus als Pflichtfach. Die freie Wahl eines Rektors 1990 war dann nach dem Fall der Mauer ein Akt des universitären Selbstbewusstseins und der akademischen Selbstverwaltung. Die Freiheit der Wissenschaft brach sich in Halle Bahn. Schilling kam in Frage, weil er gleichzeitig wissenschaftlich hoch profiliert war, aber auch Abstand zur Partei gewahrt hatte. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Abwicklung der Marxismus-Leninismus-Sektion.

Zugute kam ihm in seiner Amtszeit, dass die sachsen-anhaltische Hochschulpolitik noch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt war. Das Land gab es noch gar nicht, als er Rektor wurde. Als „Mann der ersten Stunde“ habe man es Schilling zu verdanken, „dass die Universität wieder ein Ort wissenschaftlicher Freiheit und demokratischer Mitwirkung ist“, hatte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) noch im Juni 2018 gesagt. Da bekam Günther Schilling den Landesverdienstorden für sein Wirken um die Uni Halle. Dass ein wesentlicher Teil seiner Amtszeit auch in der Abwehr zu drastischer Einsparforderungen aus Magdeburg bestand – eine Gemeinsamkeit, die er mit fast jedem seiner Nachfolger hatte – hat Schilling später immer wieder einmal fallen gelassen. Nicht zuletzt Hans-Dietrich Genscher, der ebenfalls in Schillings Amtszeit Ehrensenator der MLU geworden war, habe manches Mal Schlimmeres verhindert. So erzählte es der Altrektor dem Onlinemagazin der Uni noch anlässlich des Todes des Ex-Außenministers vor zwei Jahren. Zu Genscher hatte er bis zuletzt ein herzliches Verhältnis.

Und noch eine Anekdote hatte Schilling immer wieder parat: Wie er Genscher als Unirektor zu dessen Ehrendoktorverleihung nach South Carolina begleitet und dem Staatsmann fast die Schau gestohlen habe. Er sei nämlich der einzige Gast gewesen, der in einem historischen Talar gekommen war. Für Amerikaner ein Kuriosum, für den MLU-Rektor, der die Talare für Uniwürdenträger nach der Wende wieder aus der Mottenkiste geholt hatte, Teil der aus seiner Sicht notwendigen Restauration.

Mit seinem unermüdlichen Engagement habe er den Grundstein für die bis heute sehr positive Entwicklung der Universität gelegt, würdigte Rektor Udo Sträter am Montag seinen Vorgänger. „Sein Bestreben war es von Anfang an, die Universität Halle möglichst schnell in den Kreis der deutschen Universitäten zurückzuführen. So ist es im Wesentlichen sein Verdienst, dass die Martin-Luther-Universität als eine der ersten ostdeutschen Universitäten Mitglied in der Hochschulrektorenkonferenz, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst sowie in der Deutschen Forschungsgemeinschaft geworden ist“, so Sträter.

Schilling, der 1930 in Leipzig geboren worden war, war 1970 nach Halle berufen worden, nachdem er zuvor bereits 1961 mit 31 Jahren in Jena der jüngste Professor der DDR geworden war. Auf seinem Fachgebiet, der Pflanzenernährung und Bodenkunde, leistete er wichtige Forschungsarbeit, die ihn bereits mit 39 Jahren zum Mitglied der Leopoldina machte. Ein erlesener Kreis von Naturforschern, der als eine der wenigen Wissenschaftseinrichtungen auch über Systemgrenzen hinweg wirkte. Später erhielt er weitere Auszeichnungen für sein wissenschaftliches Lebenswerk.

Nach Angaben der Universität, die er drei Jahre lang geführt hatte, ist Günther Schilling am 8. August im Alter von 87 Jahren gestorben.

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