Reform der Organspende: Selbstbestimmung versus Leben

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Halle/StäZ – Fachkreise sind sich einig, dass Deutschland über Reformen für mehr Organspenden sprechen muss. Denn in Deutschland warten mehr als 10.000 Menschen auf ein Spenderorgan, aber jährlich stehen nur rund 3.000 Organe von Verstorbenen zur Transplantation zu Verfügung. Hinzu kommt, dass die Zahl der Organspender in Deutschland stetig abnimmt. 2017 erreichte sie mit 797 einen neuen Tiefpunkt. Am Dienstagabend haben fünf Experten aus den Bereichen Medizin, Jura, Politik und Theologie im Audimax der Uni Halle diskutiert, ob die sogenannte Widerspruchslösung die Situation verbessern könnte. Sie wird seit langem diskutiert. Nach ihr würde jeder Verstorbene zum potentiellen Organspender werden, wenn er zu Lebzeiten nicht widersprochen hat. Die Diskussion fand im Rahmen der Ringvorlesung „Bioethik“ statt. [ds_preview]

Podiumsdiskussion zur Organspende (v.l.): Henning Rosenau, Medizinrechtler an der Uni Halle, Christa Wachsmuth, Geschäftsführerin Region Ost der Deutsche Stiftung Organspende, Karl Weigand, Transplantationsmediziner am Uniklinikum Halle, Heidemarie Willer, Sozialministerium Sachsen-Anhalt, Hans-Peter Großhans, Theologe aus Münster.

Medizinrechtler Henning Rosenau ist entschieden für die Widerspruchslösung: „Sobald man die Widerspruchslösung einführt, steigt das Organaufkommen um 25 bis 30 Prozent. Das weiß man seit langem“, sagt der Experte aus Halle. Weiter kritisiert er: „Der Gesetzgeber hat einfach nicht den Mumm, die Widerspruchslösung zu beschließen, obwohl er es könnte und dürfte.“ Auch Karl Weigand, Oberarzt im Transplantationszentrum des Uniklinikums Halle, ist für eine Gesetzesänderung. Das Christentum und der Islam sähen die Organspende als Zeichen der Nächstenliebe und befürworteten sie, sagt er mit Blick auf Kritiker vor allem in religiös-konservativen Kreisen.

Darf man Organe entnehmen, ohne dass Patient ausdrücklich zugestimmt hat?

Aktueller Organspendeausweis (Symbolbild: Carla Moritz)

Bisher gilt in Deutschland die sogenannte Entscheidungslösung. Sie verbietet die Entnahme von Organen ohne ausdrückliche Zustimmung des Verstorbenen. Alle Bürger und Bürgerinnen sollen daher ab dem 16. Lebensjahr durch ihre Krankenkasse über die Organspende informiert werden, um dann selbst eine bewusste Entscheidung zu treffen. Bürgerinnen und Bürger sollen also freiwillig in einem Organspendeausweis festhalten, ob sie nach dem eigenen Tod zum Beispiel Herz, Lunge, Niere oder die Hornhaut der Augen spenden möchten. Hat ein Verstorbener keinen Organspendeausweis, müssen seine Angehörigen für ihn entscheiden.

Angesichts der sinkenden Transplantationszahlen, steht die alte „Entscheidungslösung“ aber seit längerem zur Debatte. Der Theologe Hans-Peter Großhans findet jedoch, sie solle so bleiben, wie sie ist. Er tritt am Dienstagabend als einziger Gegner der Widerspruchslösung auf. Trotzdem sind seine Argumente gewichtig: „Den Gedanken, dass ich meinen eigenen Leib zurückbehaupten müsste, halte ich politisch für hochproblematisch.“ Er bezeichnet es außerdem als „Grundrechtseinschränkung“, wenn die Allgemeinheit über den Körper eines Verstorbenen verfügen würde.

Für Medizinrechtler Rosenau ist das kein überzeugendes Argument: „Dann müsste man die jetzige Lösung auch verwerfen“. Denn zur Zeit verfügten ja die Angehörigen über den Verstorbenen. Für ihn mache es jedoch keinen Unterschied, ob die Allgemeinheit oder die Angehörigen entscheiden. Infolgedessen sei die Widerspruchslösung durch ihren Zweck legitimiert: „Was ist das für ein kleiner Eingriff in die Selbstbestimmung, wenn man ihn ins Verhältnis setzt zu der Tatsache, dass das Leben anderer Menschen auf dem Spiel steht.“ Doch Theologe Großhans widerspricht und betont, es mache für ihn sehr wohl einen Unterschied, ob das Gesetz oder das nahe Umfeld über jemanden entscheiden würde. An dieser Stelle bahnt sich endlich eine Diskussion statt eines Aufsagens von Fakten an, die aber schnell durch Fragen aus dem Publikum wieder beendet wird.

Christa Wachsmuth, geschäftsführende Ärztin der Region Ost der Deutschen Stiftung Organtransplantation, schließt sich Rosenau an. Andere Länder in Europa hätten gezeigt, dass die Regulierung legitim sei. Frankreich, Irland, Spanien, Österreich, Polen und Portugal sind nur einige Beispielländer, die die Widerspruchslösung in den letzten Jahren eingeführt haben. Die gilt im übrigen auch für deutsche Touristen.

Die Diskussion zur Organspende fand im Rahmen der Vorlesungsreihe „Bioethik“ statt (Foto: Carla Moritz)

Auch Sachsen-Anhalt fordere schon lange die Widerspruchslösung, so Ärztin und Ministerialbeamtin im Landessozialministerium Heidemarie Willer. Sie betont vor allem die Schritte, die Sachsen-Anhalt bis jetzt für mehr Organspenden vorausgegangen sei: So habe das Land unter anderem das Programm „Transplantcheck„eingerichtet, um die Frage zu klären, warum potentielle Spender nicht gespendet haben. Dabei sei aufgefallen, dass in Krankenhäusern viele Fälle des Hirntods übersehen werden. Außerdem fehle in vielen Patientenverfügungen ein Abschnitt zu Organspende. Um diese Probleme zu lösen, habe man Ärzte und Notare geschult und die Vorlagen für Patientenverfügungen geändert. Ein Problem auf dem Weg zu einer Gesetzesänderung sei jedoch, so Willer, dass es aktuell noch keine Studien darüber gebe, wie die deutschen Bevölkerung  zur Widerspruchslösung steht. Willer und Wachsmuth sind in der DDR mit der Widerspruchslösung groß geworden: „Wir haben es nie als falsch empfunden“, so Willer.

Gibt es eine dritte Option? Nicht wirklich. Die Experten diskutierten am Dienstag auch über die sogenannte verpflichtende Entscheidungslösung, also dass jeder Mensch eine Erklärung über seine Entscheidung zur Organspende abgeben muss und diese dann dauerhaft vermerkt wird, ob auf einem Ausweis oder der Krankenversicherungskarte. Die Runde war sich aber einig, dass dies die Freiheit der Menschen zu stark einschränke. Bei der Widerspruchslösung trete dieses Problem aber nicht auf.

Teilweise negatives Arztbild schreckt ab

Wachsmuth weist aber auch darauf hin, dass die Widerspruchslösung alleine nicht ausreichen würde, um Organspenden fördern. Man müsse auch über die Kosten für die Organspende sprechen. Aktuell bekomme ein Krankenhaus pro Spender 5.000 Euro, wodurch nicht einmal die Arbeitskosten gedeckt würden. Außerdem brauche man mehr Personal, insbesondere Transplantationsbeauftragte.

Auch Theologe Großhans äußert Verbesserungsvorschläge: Er plädiere dafür, dass die Gespräche mit Angehörigen über die Entscheidung zur Organspende nicht von Ärztinnen und Ärzten, sondern von Psychologinnen und Psychologen oder Seelsorgerinnen und Seelsorgern geführt werden sollten. Das würde zu einer Entlastung der Ärzte und einer besseren Kommunikationssituation führen: „Manche Leute haben ein teils negatives Bild von den Ärzten, weil deren Perspektive ‚Wir brauchen jetzt das Organ‘ ihrem Selbstbild als autonome Person widerspricht“, so Großhans.

Ebenso kritisiert Heidemarie Willer den jetzigen Umgang mit Angehörigen nachdrücklich: „Die Belastung, die Angehörige tragen müssen, ist fast unzumutbar: Sie müssen der Organspende zustimmen oder widersprechen, ohne sich sicher zu sein, was der Wille des Verstorbenen war, und das in einer Situation, in der man sich von einem Menschen verabschiedet.“ Sie räumt zwar ein, man gebe den Angehörigen genug Zeit zum Nachdenken, aber dadurch werde das gesamte Organspende-System zusätzlich verkompliziert.

Der „Park des Dankens, des Erinnerns und des Hoffens“ ist eine in Deutschland einmalige Initiative für das Gedenken an Organspender. Er wurde 2008 mit den ersten Baumpflanzungen angelegt und ist rund 30.000 Quadratmeter groß. Er soll vor allem Betroffenen, aber auch Passanten einen Ort zum Innehalten und Nachdenken geben.

Der Park des Dankens, Erinnerns und Hoffens am Holzplatz in Halle. (Foto: Carla Moritz)

Insgesamt wurde am Dienstagabend viel über die jetzige Situation und ihre Probleme gesprochen. Obwohl laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 85 Prozent der Deutschen einer Organspende positiv gegenüberstehen, haben nur rund 36 Prozent einen ausgefüllten Organspendeausweis. Stiftungsvertreterin Wachsmuth ärgert, dass sie in den Krankenhäusern den Eindruck habe, dass selbst diese Zahl in der Realität niedriger sei: „Ich bin enttäuscht, wie wenig Menschen einen Organspendeausweis haben.“ Sie kritisiert scharf, dass die Aufklärung der Krankenkassen von den Bürgern und Bürgerinnen nicht gelesen wird. Deutschland sei zu träge, und man wolle sich nicht mit dem Tod auseinandersetzten. Willer stellt außerdem fest, man müsse für eine stärkere Würdigung von Organspendern sorgen. Ob ausgerechnet die Widerspruchslösung dazu beitragen könnte, ist nach dem Abend jedoch fragwürdig.

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