„Es gibt Schulen, die stecken die Probleme einfach weg.“

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Halle/StäZ – Marco Tullner ist immer für einen markigen Spruch gut. Das hatte sich auch letzte Woche gezeigt, als der CDU-Bildungsminister die AfD wegen einer Schulhofaktion in Halle-Neustadt kritisierte, fast gleichzeitig aber das Anliegen einer Übersicht über Gewalt auf Schulhöfen für diskutabel erklärte. Ein anderer Spruch am Rande einer Podiumsdiskussion im Februar, in dem er kleine Schulfächer wie Altgriechisch und Italienisch für nicht mehr relevant erklärte, führte genau dort zum überraschten Aufschrei. Tullner hat als Bildungsminister der Kenia-Koalition Baustellen genug. Der Lehrermangel, das größte Problem der Landesregierung, soll von ihm gelöst werden. Nach zwei Jahren im Amt ist von Besserung bisher nur wenig zu sehen. In der Koalition gibt es außerdem gerade heftige Diskussionen um das neue Schulgesetz. Die freien Schulen im Land fordern höhere Zuschüsse. Damit nicht genug, muss Tullner als CDU-Vorsitzender von Halle auch noch die Rolle seiner Partei gegenüber dem Oberbürgermeister und der politischen Konkurrenz behaupten. Auch das tut er meist wortgewaltig – alles Anlass für StäZ-Redakteur Felix Knothe, sich einmal auf ein längeres Gespräch mit Tullner zu verabreden. [ds_preview]

Bildungsminister Marco Tullner (CDU) im StäZ-Gespräch (Foto: Jan Möbius)

Herr Tullner, welche Sprachen haben Sie in der Schule gelernt?
Russisch, natürlich Englisch und später an Uni und Volkshochschule noch Französisch, aber letzteres auf rudimentärem Niveau. Russisch habe ich danach erfolgreich verdrängt.

War es nicht relevant?
Für mich jedenfalls nicht.

Ich frage, weil Sie sich jüngst auch relativ abfällig über Altgriechisch und Italienisch geäußert haben. Sie haben in Frage gestellt, dass die Fächer noch relevant seien. Wie meinen Sie das?
Abfällig waren meine Äußerungen nicht. Wir stehen aber an unseren Schulen immer vor der Frage: Ist das, was wir dort lehren und vermitteln, auch das, was die Kinder im Leben brauchen? Zugespitzt: Die Kinder können Gedichte interpretieren, aber keinen Versicherungsvertrag verstehen.

Sie bleiben also dabei: Griechisch und Italienisch sind nicht mehr relevant?
Das hat eine Expertenkommission festgelegt, nicht ich. Und sie hat die Lehrerbildung im Blick gehabt und nicht den Kanon im Unterricht. Wir haben gerade eine Debatte über die Schule der Zukunft. Dabei geht es um die Frage, wie Digitalisierung das Lernen verändert. Die neue Bundesbildungsministerin hat ja nun gleich einen radikalen Fächerumbruch gefordert. Soweit würde ich zur Zeit nicht gehen, aber die Debatte über Relevanz ist völlig legitim, und sie ist auch wichtig. Und bei Altgriechisch ist aus meiner Sicht die Frage erlaubt, ob nicht eine Gegenwartssprache attraktiver ist im Kontext von internationaler Kompetenz und mehr Mehrsprachigkeit, die wir ja alle wollen. Das Wahlverhalten bei den Fremdsprachen zeigt uns auch, dass es so ist.

„Wir können nicht im Elfenbeinturm bleiben, wenn die Anforderungen gerade ganz andere sind.“

Gräzistikprofessor Michael Hillgruber hat jüngst gegenüber unserer Zeitung gesagt, die Axt an Griechisch zu legen, bedeute, die kulturellen Wurzeln Europas zu kappen. Ist es gerade für einen konservativen Bildungsminister nicht ein schwerer Vorwurf, die Traditionen außer Acht zu lassen, im Land des Humanismus und der Aufklärung?
Und ich dachte, Sie wollten jetzt mit dem christlichen Abendland kommen.

Auch das Neue Testament ist auf Altgriechisch geschrieben worden.
Geschenkt. Als Privatmensch, und als Historiker zumal, tut es mir natürlich weh, dass ich diese Debatte führen muss, weil ich schon von meinem Grundverständnis her die klassischen Fächer für Teil des Grundkanons von Bildung halte. Aber ich bin nicht als Privatperson unterwegs, sondern muss Schulpolitik für das 21. Jahrhundert machen. Wir haben zwei Schulen in diesem Lande, die Latina in Halle und die Landesschule Pforta, die Altgriechisch anbieten. Und das soll auch so bleiben. Daraus den bildungspolitischen Niedergang zu machen, den Vorwurf halte ich für zu groß. Aber als Antwort auf die Frage, was man im 21. Jahrhundert an Wissen und Kompetenzen braucht, auf Altgriechisch zu kommen, ist zumindest eine sehr originelle Choreographie. Die Lebenswirklichkeit ist dann doch eine andere. Wir können nicht im Elfenbeinturm bleiben, wenn die Anforderungen gerade ganz andere sind. Das heißt nicht, dass man für sein Fach nicht werben sollte, wie Herr Hillgruber es ja macht. Aber Fächer kommen und vergehen, und so muss sich auch dieses Fach der Debatte stellen. Das ist ganz normal.

Werden Sie sich also den Vorschlag der Expertenkommission zu eigen machen, Altgriechisch und Italienisch zu Drittfächern in der Lehramtsausbildung herabzustufen?
Ja, das werde ich tun. Der Vorschlag ist im Übrigen nicht nur an mich herangetragen worden, sondern auch an das federführende Wissenschaftsministerium und die Uni Halle. Wir werden das also so umsetzen. Nochmal: Es ist keine Abschaffung, sondern eine Herabstufung.

Wenn es Altgriechisch und Italienisch nicht sind, was ist denn relevant im 21. Jahrhundert? Wo muss Schule in Zukunft stärker den Schwerpunkt setzen?
Schule muss einerseits mehr lebensnahe Themen in den Blick nehmen. Das machen wir an vielen Stellen schon, ob das Hauswirtschaft an Sekundarschulen ist oder die Berufsorientierung. Andererseits müssen wir nicht auf jeder Modewelle segeln. Das ist die Kunst. Bei der Beschäftigung mit den digitalen Möglichkeiten müssen wir ständig reflektieren, denn die Digitalisierung ist kein Selbstzweck und kein Goldenes Kalb, das man umtanzt. Aber sie ruft große Veränderungen hervor, auch für die Schulen. Natürlich müssen Schüler auch in Zukunft wissen, wann der Erste Weltkrieg war, aber wir nehmen jetzt schon stärker in den Blick, dass in den Schulen das Lernen gelernt wird.

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