Katharina Brederlow über Pflegeeltern: „Ich wünsche mir mehr Bewerber“

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Überall gibt es Kinder, deren Start ins Leben nicht wirklich unter guten Umständen erfolgt. Sie werden hineingeboren in Familien, in denen es knirscht und wackelt, in denen Gewalt ausgeübt wird, oder in Familien, die nur noch am Rande Grundstrukturen aufweisen. Es schwelen Themen wie Drogenmissbrauch oder fast nicht mehr zu erkennende Elternkompetenzen. Auch in Halle. Die Stadt selber versucht da zu helfen und gegenzusteuern, wo es möglich ist. Volly Tanner sprach dazu mit der Beigeordneten für Bildung und Soziales, Frau Katharina Bredelow. Über Pflegeeltern, Pflegekinder, Kosten, Voraussetzungen, die Verantwortung Einzelner und der Gesellschaft und über Kontrollinstanzen:[ds_preview]

Katharina Brederlow ist Beigeordnete für Bildung und Soziales. (Foto: Thomas Ziegler/Stadt Halle)

Frau Brederlow, die Stadt Halle sucht Pflegeeltern. Wer kann sich bewerben?
Es können sich verheiratete und unverheiratete Paare mit oder ohne eigene Kinder, Alleinstehende mit und ohne Kind sowie gleichgeschlechtliche Paare bewerben. Grundsätzlich sind Erfahrung und Umgang mit Kindern von Vorteil.

Welche Anforderungen werden an Pflegeeltern gestellt?
Pflegeeltern müssen bestimmte Voraussetzungen mitbringen. Dazu gehören, neben einem warmen und aufgeschlossenen Familienklima, Eigenschaften wie Offenheit, Toleranz, Durchsetzungsvermögen, Handlungsfähigkeit in Krisensituationen, Kooperationsbereitschaft mit Behörden und Herkunftsfamilien sowie zeitliche Flexibilität.

Stellen wir uns vor, ich würde mich bewerben wollen. Was muss ich mitbringen und wie gestaltet sich das weitere Vorgehen. Ich komme ja nicht einfach vorbei und nehme mir dann ein Kind mit, und gut ist. Und gibt es nachfolgende Kontrollen der Befähigung in der Praxis?
Pflegeeltern werden in Gesprächen von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jugendamtes hinsichtlich ihrer Eignung geprüft, beraten und in Seminaren auf ihre verantwortungsvolle Aufgabe vorbereitet. Dazu gehört aber auch das persönliche Kennenlernen aller Mitglieder des Haushaltes der Pflegefamilie. Die Bewerbungsunterlagen werden in der Regel gemeinsam ausgefüllt. Die Pflegeeltern reichen zudem ein erweitertes Führungszeugnis ein und legen ein Gesundheitsattest vor. Ebenso werden die Einkommensverhältnisse geprüft. Und schließlich finden Hausbesuche statt. Nach der Vermittlung eines Kindes in eine Pflegefamilie bleibt die Verbindung zwischen Stadt und Pflegefamilie eng. Die Pflegefamilien werden in regelmäßigen Gesprächen, Kursen und Hausbesuchen beraten. Dabei werden unter anderem Hilfepläne zur Perspektive des Kindes gemeinsam und unter Einbeziehung der Herkunftseltern der Kinder entwickelt.

Wo kommen die zu betreuenden Kinder her – nur aus Halle?
Die Stadt Halle ist für Kinder von Herkunftsfamilien mit Wohnsitz in der Stadt Halle zuständig.

Aus anderen Städten liest man von Crystal-Babies, also Kindern, die drogenabhängigen Müttern sofort nach Geburt weggenommen werden, weil das Kindeswohl durch die Drogenabhängigkeit und die daraus resultierenden Persönlichkeitsveränderungen der Mütter gefährdet ist. Ist das ein Thema in Halle – so genannte Drogen-Muttis?
Ist das Kindeswohl, egal aus welchen Gründen, gefährdet, prüft der Allgemeine Soziale Dienst der Stadt, inwieweit die Eltern in der Lage sind, ihre Kinder im Haushalt zu versorgen und zu betreuen. Am Ende der Prüfung kann es sein, dass das Kind in Pflegeobhut genommen werden muss.

Pflegeeltern bekommen auch eine finanzielle staatliche Unterstützung. Wie hoch ist diese?
Entsprechend der gesetzlichen Regelungen wird von der Stadt das Pflegegeld an die Pflegeeltern gezahlt. Das Pflegegeld setzt sich zusammen aus dem pauschalen Grundbetrag für Ernährung, Bekleidung, Unterkunft, Reinigung, Körper- und Gesundheitspflege, Haushalt, Bildung/Unterhalt und dem pauschalen Erziehungsbeitrag für die Erbringung der erzieherischen Leistung.

Altersgruppen Grundbetrag Erziehungsbetrag Pflegegeld insgesamt
Kinder bis zum 7. Lebensjahr 515 € 237 € 752 € + anteilig Kindergeld
Kinder vom 7. bis zum 14. Lebensjahr 589 € 237 € 826 € + anteilig Kindergeld
Jugendliche ab dem 14. bis zum 18. Lebensjahr und für junge Volljährige im Einzelfall 676 € 237 € 919 € + anteilig Kindergeld

Von wie vielen Kindern reden wir denn eigentlich in Halle? Und von welchen Altersstrukturen?
In Halle lebten 2017 141 Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien, im Alter von 0 bis 18 Jahren.

Ein befreundetes homosexuelles Paar aus Leipzig kümmert sich liebend um ein Pflegekind. Wie ist das in Halle? Früher war Homosexualität ein Ausschlussgrund für Pflege – obwohl doch gleiche Rechte gesetzlich festgeschrieben sind. Oder ist das überhaupt kein Thema?
Selbstverständlich können sich gleichgeschlechtliche Paare bewerben.

Wie lange dauert solch eine Pflege?
Der Verbleib eines Kindes in einer Pflegefamilie wird immer im Einzelfall geprüft. In der Regel verbleiben die Kinder auf Dauer, das heißt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Familie. Bei Bedarf auch darüber hinaus.

Es gibt auch Kurse, Weiterbildungen für Pflegeeltern. Das wäre doch auch ein Ansatz für andere Eltern, die Fragen haben. Könnte so etwas organisiert werden von der Stadt oder sind da die Mittel ausgereizt?
Wie gesagt, die Stadt bietet für Pflegeeltern Kurse und Beratungsgespräche zur Thematik Erziehung der Pflegekinder an. Kurse für junge Eltern zur Stärkung der Elternkompetenz werden ebenso von der Stadt angeboten.

Und Sie selber? Inwiefern arbeiten Sie als Beigeordnete ganz konkret am Thema Pflegekinder mit?
Als Beigeordnete für Bildung und Soziales bin ich auch die Vorgesetzte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fachbereiches Bildung, zu dem das Team Pflegekinderdienst/Adoptionsvermittlung mit sieben MitarbeiterInnen zählt. Die fachliche Expertise wird durch das Team erstellt. Meine Aufgabe ist es, die Gesamtzusammenhänge zu reflektieren und zu steuern und dafür die Rahmenbedingungen abzusichern sowie auf die Ressourcen innerhalb der Stadtverwaltung Einfluss zu nehmen.

Wie viel Geld wendet die Stadt jährlich für Pflegekinder auf?
Im Jahr 2017 betrugen die Ausgaben für die 141 in halleschen Pflegefamilien lebenden Kinder und Jugendlichen rund 1,15 Millionen Euro.

Was kann jeder einzelne Mensch, tun, um die Lebensumstände von Pflegekindern zu verbessern?
Die Kinder, die die Stadt in Pflegefamilien vermittelt, wachsen in gesicherten und stabilen Familienverhältnissen auf, die entsprechend von der Stadt geprüft und begleitet werden. Die Kinder werden auf ihrem Lebensweg von den Pflegeeltern unterstützt. Sie leisten eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, die hoch anzuerkennen ist. Es gibt immer wieder Kinder, die in Pflegefamilien vermittelt werden müssen, weil sie in ihren Herkunftsfamilien nicht verbleiben können. Hier wünsche ich mir, dass es mehr Bewerberinnen und Bewerber für diese anspruchsvolle Aufgabe gibt. Deshalb wirbt die Stadt unter anderem regelmäßig in ihrem Amtsblatt, bei Veranstaltungen und auf ihrer Internetseite www.halle.de um Pflegeeltern. Im Jahr 2017 konnte die Stadt neun neue Pflegefamilien verzeichnen.

Danke, Frau Brederlow, für ihre Antworten.

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Dirk Dirot
6 Jahre her

schön, das es Menschen gibt, die sich praktisch engagieren und sich nicht in Grundsatzdiskussionen verheddern und nicht zum „Machen“ immer noch die schönste Rubrik in der Stätz