Interview zum Vergaberecht: „Projektanten dürfen keine Vorteile haben“

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Projektsteuerung und Beratung – in Halle tobt seit September eine Debatte um die Rolle Jens Rauschenbachs, des Hauptberaters von Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos). Seit letzte Woche MDR und Städtische Zeitung den Umfang und die Art der Praxis beleuchtet haben, hat sie neue Fahrt aufgenommen. Was können und was dürfen öffentliche Auftraggeber überhaupt, wenn es um die Vergabe solcher Aufträge geht? Matthias Knauff ist Professor für Öffentliches Wirtschaftsrecht an der Universität Jena, und Vergaberecht ist einer seiner Forschungsschwerpunkte. Felix Knothe sprach mit ihm über die rechtlichen Aspekte hinter der Affäre in Halle.[ds_preview]

Matthias Knauff, Professor für Öffentliches Wirtschaftsrecht an der Uni Jena. (Foto: privat)

Alle rätseln, wie weit eine Stadt gehen kann bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Was sind die Grundsätze dabei?
Das Vergaberecht ist eine komplexe Materie. Dabei muss man unterscheiden zwischen dem oberschwelligen und dem unterschwelligen Vergaberecht.

Was ist der Unterschied?
Oberhalb bestimmter Schwellenwerte, die je nach Art der Aufträge unterschiedlich sind, gibt es klare Vorgaben, die auf das Europarecht zurückgehen. Diese sind sehr detailliert und lassen sich auf drei Grundsätze zurückführen: Wettbewerb, Transparenz und Nichtdiskriminierung. Deshalb müssen Aufträge oberhalb der Schwelle europaweit ausgeschrieben werden, so dass sich Anbieter aus allen EU-Mitgliedsstaaten bewerben können.

Wie hoch ist der Schwellenwert bei der Projektsteuerung von Bauaufträgen, um die es in Halle gerade eine heftige Diskussion gibt?
Dabei handelt es sich um einen Dienstleistungsauftrag. Bei solchen Aufträgen lag diese Schwelle in den letzten Jahren bei 209.000 Euro netto; seit diesem Jahr beträgt sie 221.000 Euro.

„Auch unterhalb der Grenze sollten Wettbewerb, Transparenz und Nichtdiskriminierung gelten.“

In der Hauptsatzung der Stadt steht aber eine Beteiligungsschwelle für den Stadtrat von 100.000 Euro. Wo liegt da der Unterschied?
Beide Schwellen haben nicht viel miteinander zu tun. Die vergaberechtlichen Schwellenwerte sollen vor allem dem europaweiten Wettbewerb im Interesse des Binnenmarktes dienen; die Beteiligungsschwelle nach der Hauptsatzung hat dagegen den Zweck, die Entscheidungskompetenz des Stadtrates im Verhältnis zum Oberbürgermeister abzusichern, der nach dem Kommunalrecht nur für die „Geschäfte der laufenden Verwaltung“, also im Beschaffungsbereich für die Stadt wirtschaftlich eher unbedeutender Aufträge, allein zuständig ist.

Gelten die Grundsätze Wettbewerb, Transparenz und Nichtdiskriminierung auch unterhalb des Schwellenwerts von 209.000 Euro?
Unterhalb des Schwellenwerts gibt es ebenfalls vergaberechtliche Regelungen, die aber weniger konkret und dem nationalen Haushaltsrecht zuzurechnen sind. Der Europäische Gerichtshof hat aber auch für den unterschwelligen Bereich die Geltung der Vergabegrundsätze postuliert. Auch unterhalb der Grenze sollten also Wettbewerb, Transparenz und Nichtdiskriminierung als Prinzip gelten. Die Durchsetzung ist aber schwierig. Viele Unternehmen beklagen zu Recht, dass der Rechtsschutz für unterlegene Bieter im unterschwelligen Bereich nicht sehr effektiv ist. Oberhalb der Schwellenwerte gibt es gesetzlich vorgesehene und sehr wirksame Nachprüfverfahren, die unterlegene Bieter in Anspruch nehmen können. Unterhalb der Schwellenwerte ist die Ausgestaltung des Rechtsschutzes Ländersache.

Wie ist da die Rechtslage in Sachsen-Anhalt?
Das Landesvergabegesetz sieht vor, dass im Wettbewerb unterlegene Bieter bei Bauleistungen mit einem voraussichtlichen Gesamtauftragswert von mehr als 150 000 Euro, bei Dienstleistungen und Lieferungen von über 50 000 Euro (jeweils netto) spätestens sieben Kalendertage vor dem Vertragsschluss über den Namen des erfolgreichen Konkurrenten und die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres jeweiligen Angebotes zu informieren sind. Beanstandet daraufhin eines dieser Unternehmen beim öffentlichen Auftraggeber die Nichteinhaltung der Vergabevorschriften und hilft der öffentliche Auftraggeber der Beanstandung nicht ab, muss dieser die Vergabekammer, die in erster Instanz auch für den Rechtsschutz im Oberschwellenbereich zuständig ist, unterrichten. Stellt diese daraufhin innerhalb von vier Wochen einen Fehler im Vergabeverfahren fest, muss der öffentliche Auftraggeber diesen beseitigen. Das kann insbesondere bedeuten, dass der Vertrag nun doch mit einem anderen Bieter zu schließen ist. Werden die genannten Wertgrenzen allerdings nicht überschritten, gibt es de facto gar keinen Rechtsschutz.

„Bei Freihandvergabe handelt es sich um ein Ausnahmeverfahren.“

In Halle gibt es den Vorwurf, dass bei der Vergabe von Projektsteuerungsaufträgen nicht klar unterschieden worden ist zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Es gibt den Verdacht, dass ein Projektsteuerer dadurch, dass er beispielsweise auch Einblick in und Einfluss auf die Stadtfinanzen hatte, einen Vorteil beim Vergabeverfahren hatte.
So eine Konstellation lässt sich nicht immer ganz vermeiden. Gerade wenn es um schwierige und technisch anspruchsvolle Aufträge geht, ist ein öffentlicher Auftraggeber häufig auf Unterstützung von fachlich versierten Firmen angewiesen. Für den Oberschwellenbereich gibt es da eine ganz klare Regelung, dass nämlich sogenannte Projektanten in dem sich anschließenden Vergabewettbewerb um den eigentlichen Auftrag keine Wettbewerbsvorteile haben dürfen. Es müssen also alle Informationen offengelegt werden, so dass auch Unternehmen, die bis dahin nichts mit dem Projekt zu tun hatten, wettbewerblich in die gleiche Lage versetzt werden, wie derjenige, der das Projekt mit vorbereitet und unterstützt hat. Wenn das nicht passiert, liegt auf jeden Fall ein Verstoß gegen die Grundsätze des Wettbewerbs und der Gleichbehandlung vor. Für den Unterschwellenbereich ist dasselbe explizit in der neuen Unterschwellenvergabeordnung vorgesehen, die allerdings in Sachsen-Anhalt noch nicht anwendbar ist. Unabhängig davon ist der Rechtsgedanke der Projektantenregelung aber auch jetzt schon auf den Unterschwellenbereich übertragbar.

Ob es tatsächlich Wettbewerbsgleichheit gab, soll in Halle im Stadtrat jetzt untersucht werden. Deshalb lassen Sie uns das erst einmal nicht bewerten, sondern über die freihändige Vergabe sprechen, die in vielen Fällen in Halle ebenfalls angewandt worden ist. Wann darf man als öffentlicher Auftraggeber freihändig Aufträge vergeben?
Bei der Freihandvergabe handelt es sich um ein Ausnahmeverfahren. Dabei wendet sich der öffentliche Auftraggeber mit oder ohne Teilnahmewettbewerb grundsätzlich an mehrere ausgewählte Unternehmen, um über den zu vergebenden Auftrag zu verhandeln. Regelmäßig sollen mindestens drei Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. In dem Fall, dass kein Teilnahmewettbewerb stattfindet, spricht der öffentliche Auftraggeber bestimmte Unternehmen direkt an und vergibt dann an sie den Auftrag ohne eine „echte Ausschreibung“.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang „echte Ausschreibung“?
Das bedeutet, dass die Auftragsvergabe transparent gemacht wird und dass alle Unternehmen, die sich angesprochen fühlen, sich auch bewerben können.

Welche Ausnahmefälle wären das zum Beispiel, bei denen auf jede Ausschreibung verzichtet und freihändig vergeben kann?
Das gilt etwa bei ganz besonderer Dringlichkeit oder wenn beispielsweise nur ein Anbieter die benötigte Leistung erbringen kann. Der öffentliche Auftraggeber muss dann aber in jedem Einzelfall dokumentieren, warum er freihändig vergeben hat.

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siggivonderheide@me.com
6 Jahre her

Ein Beitrag der die Sachlichkeit aufrecht erhält. so soll es sein. Als Reaktion auf die Angriffe aus dem Rathaus ebenfalls sehr angemessen. Journalismus kann erfreuen wenn er sich frei entfalten kann.