Es gibt nicht viele Menschen, mit denen Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) praktisch jede Woche zu tun hat und mit denen er trotzdem immer noch per Sie ist. Ausgerechnet Jens Rauschenbach ist, glaubt man dem E‑Mail-Verkehr zwischen den beiden, offenbar einer von ihnen. „Freundliche Grüße“, übermittelte Wiegand per E‑Mail im letzten Sommer, am 5. Juli früh halb sechs, an den Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Der hatte ihm am Vorabend, ebenfalls per E‑Mail, eine kleine Investitionsrechnung zum umfangreichem Schulbauprogramm der Stadt geschickt und wollte wissen, ob der OB sein Okay geben wolle zu dem Plan, erstmals seit Wiegands Amtsantritt im Haushalt 2018 neue Schulden aufzunehmen. „Der Kreditstand [der Stadt, Anm. d. Red.] zum Amtsantritt [wird] zu keinem Zeitpunkt erreicht!“, erklärt Rauschenbach in der E‑Mail dem OB. Und weiter: „In einzelnen Jahren würden wir dann zwar mehr Kredite aufnehmen als tilgen, dies aber für zwingende Investitionen und mit insgesamt positiver Bilanz seit Amtsantritt. Ich hoffe dies entspricht ihrer Festlegung, falls anderes Verständnis bitte ich um Info“, so Rauschenbach. Wiegand war zufrieden: „Dies entspricht unseren Absprachen. Ich bin einverstanden. Danke.“, schrieb er knapp.[ds_preview]

Jens Rauschenbach ist der wohl wichtigste Berater von Oberbürgermeister Bernd Wiegand (Fotos: xkn)

Ob Rauschenbach für diese Rechnung eine Rechnung an die Stadt geschrieben hat, ist nicht bekannt. Ebenso wenig, in welcher seiner vielen Funktionen er die Mail schrieb: als Finanzberater der Stadt, als Wirtschaftsberater oder als Projektsteuerer des Schulbauprogramms? Als politischer Spin-Doctor, der seinem Auftraggeber die politischen Argumente suggeriert, damit dieser als Mann der schwarzen Null vor der Öffentlichkeit bestehen kann? Oder als interner Organisator der Verwaltung? Der 48-Jährige, der schon unter OB Dagmar Szabados (SPD) gut im kommunalen halleschen Geschäft war, damals unter anderem für das HFC-Stadion und die Schulbauprojekte in öffentlich-privater Partnerschaft (PPP), bestimmt jedenfalls unter Bernd Wiegand die Geschicke der Saalestadt noch intensiver mit als jemals zuvor. Rauschenbach ist Wiegands engster Berater, ohne selbst bei der Stadt angestellt zu sein. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden erreicht längst Ausmaße, die es so wohl in kaum einer anderen deutschen Stadt gibt. Manche sagen, Rauschenbach sei der eigentliche Steuermann in der Stadtverwaltung.

Projektsteuerung oder Beratung: Stadtrat tappt im Dunkeln

Umsonst ist die Zusammenarbeit freilich nicht, und sie ist offenbar noch wesentlich intensiver – und für die Stadt auch kostenintensiver – als bislang bekannt. Rauschenbach war und ist dabei an vielen Baustellen beteiligt: zum Beispiel als Berater an den politischen, wie dem Haushalt oder den Bühnen Halle. Auch bei der langen Geschichte rund um die Eissporthalle und ihre Nachfolgebauten soll Rauschenbach immer wieder die Kuh vom Eis holen. Außerdem tritt er als Projektsteuerer bei zahlreichen tatsächlichen Bauprojekten in Erscheinung. Und es wird viel gebaut in Halle. Seit dem Hochwasser 2013 spült das Fluthilfeprogramm eine am Ende womöglich dreistellige Millionensumme in die Stadt. Ein Teil davon fließt auch in Hochbauprojekte, auf die Rauschenbach und seine Firmen spezialisiert sind. Gleichzeitig hat Wiegand 2016 das Programm „Bildung 2022“ gestartet, um zahlreiche Schulen und Kitas zu sanieren, zum Großteil mit EU-Mitteln aus dem Landesprogramm Stark III. Das Gesamtvolumen wird über die Jahre 2016 bis 2022 gerechnet zwischen 220 und 250 Millionen Euro veranschlagt. Auch hier spielt Rauschenbach maßgeblich mit.

Erstmals ist es dem Mitteldeutschen Rundfunk und der Städtischen Zeitung durch gemeinsame Recherchen gelungen, detaillierte Unterlagen auszuwerten und mit direkt Beteiligten zu sprechen. Die Recherchen zeigen anhand von Einzelfällen, wie die Zusammenarbeit zwischen Rauschenbach und der Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Bernd Wiegand in Halle funktioniert. Und sie zeigen ansatzweise, dass es dabei um Millionensummen geht, die zum Großteil scheibchenweise portioniert werden, um – so der Verdacht – die Beteiligung des Stadtrats auszuhebeln.

„Projektsteuerung“ oder „Beratung“ lauten meistens die Aufträge, die die verschiedenen Firmen Rauschenbachs bei der Stadt abrechnen. Seit langem tappt der Stadtrat im Dunkeln und hat keinen Überblick, welche Aufgaben genau diese Firmen für Wiegand und die Stadt übernehmen oder was sie in Wiegands Auftrag für die verschiedenen städtischen Gesellschaften tun – und um welche Summen es dabei geht. Im Wesentlichen treten dabei zwei Firmen in Erscheinung, die Rauschenbach kontrolliert: die „Rauschenbach & Kollegen GmbH“, bei der Rauschenbach 70-prozentiger Teilhaber und gleichzeitig Geschäftsführer ist, sowie die Firma „Projectum Steuerungsgesellschaft mbH“, an der Rauschenbach ebenfalls 70 Prozent der Anteile hält. Geschäftsführerin von Projectum ist Rauschenbachs Frau. Am Klingelschild in der Firmenzentrale im Signal-Iduna-Haus in der Rudolf-Breitscheid-Straße stehen noch zwei weitere Firmennamen. Welche personelle und organisatorische Abgrenzung es zwischen den Firmen gibt, ist unklar. Mitarbeiter beispielsweise treten zum Teil für mehrere Firmen auf. Im November hatten alle Stadtratsfraktionen gemeinsam eine Anfrage an die Verwaltung gestellt, um Licht ins Dunkel zu bringen und die Verwendung öffentlichen Geldes besser kontrollieren zu können. Die Frage war trennscharf auf das Firmengeflecht Rauschenbachs und die Amtszeit Wiegands zugeschnitten. Doch Wiegand verzögerte die Antwort. Sie soll nun im Februar fertig sein – ein außergewöhnlich langer Zeitraum für die Beantwortung einer Stadtratsanfrage. Gleichzeitig wandte er – auch das ist im Stadtrat bis heute hoch umstritten – die Fragestellung ab: Nun soll es um einen Zeitraum von zehn Jahren gehen, und alle Verträge der Stadt sollen darin auftauchen, nicht nur Rauschenbachs.

Der Städtischen Zeitung und dem MDR liegt eine Vorabversion der Liste vor, die im Februar an den Stadtrat gehen soll und die derzeit in der Stadtverwaltung kursiert, damit die verschiedenen Geschäftsbereiche letzte Änderungen einarbeiten können. Die Liste ist, das legen Berichte städtischer Mitarbeiter nahe, noch nicht vollständig. Doch zeichnet sie ein erstes vorläufiges Bild, ein Bild, das wesentlich größer ist, als bisher bekannt.

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G.S.
6 Jahre her

Die Unterschiede der Summen Auftrag / Liste ist offensichtlich der Faktor 1,19, d.h. die Mehrwertsteuer.

Knothe, Felix
6 Jahre her
Reply to  G.S.

Laut Liste sollen es aber Bruttopreise sein.

G.S.
6 Jahre her
Reply to  Knothe, Felix

So wird überall getrickst.