Tom Wolter: „Da lernt man intellektuelle Demut!“

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Theater ist nicht nur reine Unterhaltung. Theater ist auch Lackmuspapier gesellschaftlicher Verhältnisse. Im  WUK Theater Quartier am Holzplatz lebt sich Tom Wolter aus, daneben auch auf politischem Parkett als Fraktionsvorsitzender der Mitbürger im Stadtrat. Hier in der StäZ soll es aber diesmal ums Theatermachen gehen: um Selbstermächtigung, Unvernunft und Spontaneität. Was bei Wolter dann im Satz kulminiert: „Man ist meist blöder als man denkt.“ Volly Tanner hat nachgehakt:[ds_preview]

Tom Wolter, Foto: Anja Beutler

Seit 2017 bist Du der künstlerische Leiter des frischen Sterns am Theaterhimmel – vom WUK Theater Quartier (Werkstätten und Kultur am Holzplatz). Wie war die Resonanz der ersten Monate so?
Resonanz ist ja wohl von außen und von innen gemeint!? Von außen haben wir neben den Glückwünschen von Kollegen aus der Republik und aus Sachsen-Anhalt, vor allen Resonanz aus Halle und Leipzig erhalten. Und unser Start mit dem vorläufigen Spielbetrieb mit dem 1. Kapitel HYSTERIE und dem Auftakt mit der Ausstellung der Entwürfe zur Zukunft des WUK Theater Quartier von Studierenden der HTWK Leipzig ist uns sehr gelungen. Neben unseren beiden Eigenproduktionen FINISTÈRE und PAARE IN ZEITEN DER HYSTERIE konnten wir auch Jonas Schütte mit WEGE INS GLÜCK und egdar&allen aus Hildesheim mit HERZSCHRITTMACHER*INNEN begrüßen. Wir sind nicht überrannt worden, das haben wir in der Weihnachtszeit mit einem eher alternativen Programm auch nicht erwartet. Doch sind wir sehr glücklich mit den Reaktionen auf unsere Vorstellungen. Intern ist die Resonanz natürlich sehr groß, da wir endlich nach den vielen Monaten der Vorbereitung und der Nutzung als Probenort und Spielort für Sommerkino, Sommertheater und Arbeitsort für Werkstätten die neue Etappe beginnen konnten.

War das vorauszusehen?
Umarmungen wünscht man sich ja im gewissen Sinne als Künstler immer. Glückwünsche fetzen, darauf arbeiten wir ja alle hin. Und ja, dass wir wahrgenommen werden, haben wir alle im Team erhofft!

Das ehemalige Kulturhaus „Kurt Wabbel“ am Holzplatz, direkt an der Genzmer Brücke, ist das neue Quartier der freien Theaterszene in Halle. Foto: StäZ.

Das WUK Theater Quartier ist sozusagen die Heimstätte von Wolter & Kollegen. Wer sind denn diese Kollegen – es gibt ja Menschen, die erst hier in der StäZ auf Dich als Kultuschaffenden treffen.
Das WUK Theater Quartier wird vom Verein Werkstätten und Kultur e.V. betrieben und ist nicht der Spielort von Wolter & Kollegen. In den letzten fünf oder sechs Jahren habe ich unter dem Label Wolter & Kollegen alle meine Theateraktivitäten zusammengefasst und mich, die Kollegen und auch unsere Zuschauer damit überfordert. Unter anderem waren Wolter & Kollegen immer multilokal, und wir hatten viele verschiedene Genres und Themenfelder. Nicht nur daher haben wir uns neu geordnet in diesem Jahr und sowohl konzeptionell als auch personell einige Veränderungen getroffen. Die Gründung des WUK Theater Quartiers steht da im Mittelpunkt. Eigentlich hatten wir vor, Wolter & Kollegen parallel weiter zu halten, als Team und mit unseren Projekten an unterschiedlichen Orten der Stadt, Eroberungen im Stadtraum, Kooperationen mit unterschiedlichen Partnern etc; das wird so nicht geschehen. Ich konzentriere meine Energie, meine Kreativität bis auf weiteres auf die Projekte, den Spielplan, die Produktionen des WUK Theater Quartiers. Und wir sind im Verein Werkstätten und Kultur breiter aufgestellt: Mit Nicole Tröger haben wir eine Vorsitzende, die selbst spielt, aber vor allem auch für die Gesamtorganisation die Verantwortung trägt, dazu kommen neben Elsa Weise, Christoph Minkenberg und Juliane Blech auch Martin Kreusch, der nächstes Jahr hoffentlich auch eine Produktion zum Spielplan beitragen wird und auch Silke Neumann, die im WUK Theater Quartier mit einigen ihrer Tanz-Projekte probt und als Gründungsmitglied sich bei uns engagiert. Wichtige Partner im künstlerischen Bereich sind natürlich viel mehr Personen, die ich nicht alle aufzählen kann, vielleicht sind drei zu nennen, Lena Mühl, die im Augenblick unsere Grafik verantwortet, Katharina Kraft, die für Ausstattung und Kostüme im Moment unsere wichtigste Partnerin ist und Marc-Antoine Petit, der als bildender Künstler seit November unser Partner im Bereich der Gestaltung der Kapitel im Innenbereich ist.

Vereinfachte politische Statements wird es im WUK Theater Quartier für das Beruhigen des politischen Gewissens nicht geben.

Du bist aber auch noch Leiter des Studierendentheaters der UNI Halle. Studierendentheater? Als ich Student war, gings um den Pegel. Wie ist denn die schauspielerische Qualität Deiner Studierenden? Und was hat es mit Sojas Wohnung auf sich?
Seit 2013 leite ich das Studierendentheater der Uni Halle, und wir haben seitdem schon einige Produktionen zur Welt getrieben. Vom Hörensagen weiß ich, dass über die Qualität der Produktionen, über die spielerische Kraft und die Präsenz des gesamten Ensembles immer wieder gestaunt worden ist. Daher kann ich nur sagen, dass das Ensemble sich gegenseitig herausfordert, sehr wohl aber auch an Grenzen kommt, die aber eben versucht zu erreichen, oder hinter sich zu lassen. Das macht ja Theaterarbeit mit Studierenden aus, obwohl wir als Studierendentheater nur ein Freizeitangebot sind. SOJAS WOHNUNG ist unsere Produktion mit der wir im Januar das nächste Kapitel im WUK, MOSKAU MOSKAU, eröffnen. Wir arbeiten immer sehr intensiv an der Möglichkeit, die Körperlichkeit, die Impulse, die Ideen des gesamten Ensembles in eine Produktion einzubringen. Bei 27 Studierenden keine einfache Aufgabe. Aber angefangen von gemeinsamer Arbeit am Text, an der Musik, am Tanz und an den Szenen gelingt es, meiner Meinung nach, bisher herausragend. Dafür sind wir ja auch schon ausgezeichnet worden. Es ist ein anstrengendes Vergnügen, und im Januar machen wir aus dem WUK Theater Quartier einen Sehnsuchtsort. Nach Moskau. Mitten in Deutschland!

Kulturmachen ist ja nicht unbedingt der Kühlschrankvollmacher. Manchmal ist sogar ein sogenannter Schmalhans Küchenmeister. Wie stehts um die Gagen Deiner Leute?
Unser professioneller Anspruch ergibt sich aus dem konzeptionellen Ansatz nach hervorragender Qualität und ist gleichzeitig unser Selbstverständnis, Theater nicht nur als Berufung und Lust, sondern auch als Beruf zu begreifen. Wir sehen uns gemeinsam, und ich natürlich auch persönlich als geschäftsführender Vorstand des Bundesverbandes für Freie Darstellende Künste (BFDK), der Forderung nach der HUG (Honoraruntergrenze) im freien darstellenden Bereich verpflichtet. Dies gelingt nur, wenn die Förderer dies auch als Grundlage ihrer Unterstützung sehen. Im Jahr 2017 ist dies weitestgehend erfolgreich bei unseren Projekten erfolgt. Und grundsätzlich gilt: Wir wollen von unserem Tun leben und unsere Familien ernähren.

Es gibt – das können wir nicht wegleugnen – derzeit eine Verfestigung und Steigerung völkischer Prämissen. Was bedeutet das fürs Theater? Probt Ihr schon die Texte von Dietrich Eckart?
Nein. Dennoch: Als Theater sind wir ja immer auch Patrioten. Wir sind vor Ort. Hier lebend und atmend und gestaltend! Da wir uns selbst hinterfragen, mit jeder Produktion. Mit einigem Augenzwinkern spinnen wir manches Mal über dieses begrenzte Thema, und es schwingen mit diese Fragen nach Heimat, Identität; doch bisher hat sich daraus kein Bedürfnis einer Produktion entwickelt. Obwohl: Einige von uns würden sich schon gern – einem auf die Spitze getriebenen – DEUTSCHEN ABEND widmen. Wir beschäftigen uns dann bisher lieber z.B. eher ernsthaft und ohne grobe Verallgemeinerung mit den Lebenswirklichkeiten der Kinder in Werkstätten und gemeinsamen Projekten mit verschiedenen Partnern. Hier haben wir eine Menge an Basisarbeit zur Toleranz, zu Respekt und gegenseitiger Wertschätzung und Neugier geleistet. In vielen Sozialräumen der Stadt und ohne besserwisserischen Zeigefinger! Wir sind also eher Arbeiter*innen an der frühkindlichen Basis, und vereinfachte politische Statements wird es im WUK Theater Quartier für das Beruhigen des politischen Gewissens nicht geben.

Ich bin Hallunke und empfinde Halle als eine Stadt mit einer unverwechselbaren wunderbaren Identität!

Kultur – auch Theater – hat ja eine Aufgabe in der pluralistischen Gesellschaft (eine völlig andere, als in der geschlossenen, abwehrenden Gesellschaft). Siehst Du das auch so? Könntest Du Deine Gedanken dazu bitte etwas ausformulieren?
Kunst hat keine Aufgabe. Keinen Auftrag. Vielleicht sind sie im Moment etwas zu sehr in Mode, aber mir gefallen die Worte: selbstbestimmt, Selbstbeauftragung. Dazu müssen Kompetenzen und Selbstermächtigungen stattfinden oder erworben werden, und dafür braucht es die notwendigen Freiräume, Kapazitäten. Natürlich stehen wir mit anderen Kulturschaffenden im Wettbewerb – um Öffentlichkeit, um Fördermittel, um Räume, und der Wettbewerb ist in der Kunst meist persönlicher als eventuell in der Automobilindustrie. Denn im Grunde stecken ja immer sehr persönliche Ideen und Strategien hinter einem Projekt, einer Produktion. Die Motivation über die ganzen Jahre hat ungeordnet begonnen und ist für mich heute immer noch sehr geprägt von Unvernunft und Spontaneität. Dem eigenen Impuls zu folgen, heißt heute für mich noch mehr, eine Wachheit hin zu vielen Menschen zu haben, zum Team, zu meiner Stadt, etwas auch in die ganze Welt. Und da nehme ich eine Selbstbeauftragung wahr, der ich mich nicht entziehen kann. Ich erhebe meine Stimme, bin Teil einer Stimme und bin damit natürlich auch ein Teil der aktuellen Pluralität. Als eines von Vielen. Mehr nicht. Und Kultur ist in gewisser Weise gleichzeitig auch zu entdecken. Und so schätze ich den überforderten Menschen, der sich der Kunst widmet, der neugierig bleibt, der sich erzählend mitteilt; den Menschen, der sich nur der Industrie widmet, den schätze ich nicht minder, auch wenn ich diesen als Konsument sehe, bedaure. Der Zugang zur Kunst, national wie international, war noch nie so einfach wie heute, und dennoch ist Kunst immer nur für sich selbst zu entdecken, innerhalb des Populären und meist außerhalb auf den nicht ausgetretenen Pfaden. Das bleibt, glaube ich, und wenn etwas auf die Bühne will, im Kleinen oder im Großen, entzückt es mich, wenn dies dann – aus der kleinen Idee im Kopf eines Menschen – heraustritt und wirklich wird.

Du bist ein Jahr vor mir – und in Leipzig geboren. Lebst nun in Halle und agierst hier auf verschiedensten Brettern. Gibt es Verbindungen zwischen Halle und Leipzig im Theatergeschehen? Hat Ausbau da überhaupt Sinn? Betrifft Halle der Leipziger Diskussionsstoff – oder andersherum?
Die Grenzen zwischen Preußen und Sachsen waren hochgezogen. In der Abgrenzung haben beide Entwürfe sich gegenseitig groß gemacht. Das sage ich als geschichtlicher Laie. Als Leipziger nach Halle zu gehen, war 1992 erklärungsbedürftig, und ist es teilweise noch heute. Es gibt einen intensiven Austausch auf allen Ebenen. Die tatsächliche Nähe wurde durch die Gründung von Sachsen und Sachsen-Anhalt wieder verschoben, obwohl es natürlich sehr lustige historische Fakten gibt. So wurde der Flughafen von Halle gegründet, und die Messe kam von Halle über Merseburg nach Leipzig. Doch es scheint so, dass die Städte an sich autark und stark sind. Auch heute von ihrer Abgrenzung leben. Und dennoch wirtschaftlich, künstlerisch und persönlich und auch politisch sehr wohl auf eine intensive Art miteinander kooperieren und sich gegenseitig stärken. Und natürlich immer noch nicht genug. Das wird von handelnden Personen abhängen, und mir gefällt es so wie es ist. Politisch, künstlerisch und auch persönlich! Ich bin Hallunke und empfinde Halle als eine Stadt mit einer unverwechselbaren wunderbaren Identität! Und unverwechselbar meint Schönheit und gleichzeitig Besonderheit in dieser flüchtigen Zeit!

Es wird im Moment – sogar zu Recht – eine gewissen Blasenbildung diskutiert, heißt: Menschen, denen ihre eigene Meinung als allumfassend gilt & die sich auch nur noch bestätigen lassen wollen. Ein tödlicher Aspekt für Kulturmacher, denke ich. Wie versuchst Du aus der Blase herauszukommen?
Beobachtung als Handwerk ist die Grundtechnik als Schauspieler. Was ich sehe, erzählt mir Tatsächlichkeiten. Der Körper ist nicht zu täuschen! Und das Kollektiv habe ich wieder neu entdeckt, dank einiger Freunde! Da lernt man Demut, intellektuelle Demut!

Kultur ist alles! Selbst die Bockwurst auf dem Markt. Und ohne Kultur ist alles nichts, nur Leere. Aber wie wirksam ist Kultur? Insbesondere die Kultur, die Du machst?
Man ist meist blöder als man denkt. Man kann sich auch blöder stellen. Manche schaffen das auch und andere bemerken es nicht einmal, da sie denken, der ist „nur“ blöd. Damit meine ich, dass Wirksamkeit ein zu schmales Brett ist, für Kleingeister auch schon mal eine Bohle. Denn Wirksamkeit bezieht sich auf eine Absicht, und da müsste ich eine Absicht haben. Ich weiß aber nicht mehr, Erkenntnisgewinn als Wirkung ist mir suspekt. Frei nach Schiller: Man spürt die Absicht und ist verstimmt…. Und wenn ich meine eigene Absicht nennen sollte: da bin ich ganz schamlos, ich verändere die Welt! Das kann mir niemand absprechen. Mit meinem Tun. Mit meinen Gedanken und Ideen. Sie wäre nicht so, wie sie ist, wenn ich es nicht machen würde. Es ist nichts weiter als ein Angebot, ein ernstes Angebot. Ein Dialog, der nicht begrenzt ist auf ein sogenanntes „Zielpublikum“ oder eine Verkaufszahl. Zumindest im Moment der Produktion, der Probe, der Entwicklung. Aber den Künstler sollte man nicht nach der Wirksamkeit fragen, eher den Historiker, oder den Zuschauenden.

Danke, lieber Tom, für Deine differenzierten und nachdenklich machenden Antworten.

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