Letzter Tag als Chef für Bäcker Neubauer

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Bäckerdynastie: Tobias, Karola und Bernd Neubauer, Foto: StäZ

Ein bisschen wehmütig ist Bäckermeister Bernd Neubauer schon zumute an seinem letzten Arbeitstag als Chef seines eigenen Betriebs. Die sonnabendmorgendliche Schlange vor dem Laden in der Adam-Kuckhoff-Straße ist durch, der Laden ist fast leergekauft, wie fast jeden Tag. Nun steht er mit seinem Sohn Tobias hinterm Tresen und soll sagen, wie sich das anfühlt, die Regie über die Backstube abzugeben, kurz vor Weihnachten, am letzten Arbeitstag des Jahres 2017, am letzten Tag nach 40 Jahren als selbständiger Bäckermeister. „Ein großes Glück“ sei das, eben weil er einen Nachfolger habe, sagt Neubauer. Er hört gerne auf, der Chef zu sein, auch wenn die Augen etwas feucht werden, sobald er den Gedanken an sich heran lässt. Backen will er dennoch weiter, wenn sein neuer Chef, der Junior, ihn braucht. [ds_preview]

Den Betrieb in die Hände des Sohnes zu legen, ist heutzutage nicht mehr vielen Handwerksmeistern vergönnt. Viele finden überhaupt keine Nachfolger. Erst recht das Bäckerhandwerk hat Nachwuchssorgen: die Arbeitsbedingungen, der vergleichsweise limitierte Verdienst, die industrielle Konkurrenz. Tobias Neubauer, den Junior, schreckt das mit 41 Jahren nicht. „Uns geht es gut, wir sind zufrieden“, sagt er. Die Neubauers sind seit 96 Jahren eine Bäckerdynastie, und Tobias Neubauer ist das nächste Glied in der Kette. Sie sind eine Dynastie, die auf dem Boden ihrer Arbeit bleibt, einfach in ihrem Viertel, tagein, tagaus, bäckt und ihre Ware verkauft. Nicht mehr und auch nicht weniger. Im Bebelviertel liegt für das Handwerk der Neubauers goldener Boden, so lange die Kunden ihnen die Treue halten. Das mag heutzutage aus der Zeit gefallen erscheinen, aber Neubauer ist, wie Bäcker Kolb im Paulusviertel und nur noch eine Handvoll andere, eine Konstante, die auch in Zeiten von Einkaufsmalls und Fertigbackriesen Zuspruch findet. Man kann sagen, Neubauer ist wie viele andere Handwerker ein Stück hallesche Heimat. Und die Geschichte von Bäcker Neubauer ist damit auch eine Heimatgeschichte.

„Im Prinzip hat Honni meinen Betrieb gerettet.“ Bäcker Bernd Neubauer schmunzelt über diese Geschichte. Wäre Honecker nicht gewesen, dann wäre Bernd Neubauer, 65, wahrscheinlich schon lange kein Bäcker mehr. „Ostbrötchenbäcker“ klebte lange als Aufkleber im Schaufenster. Es war die Aktion eines Radiosenders, der ihm den Titel einbrachte. Trotzdem trauert Bäcker Neubauer der DDR keine Träne nach. Es war so, wie es war, doch die Brötchen waren klasse.

Sie sind es heute noch. Auch deswegen, geht es Bäcker Neubauer gut, obwohl es in Halle und Umgebung inzwischen nur noch rund ein Dutzend Bäckerinnungsbetriebe gibt. In den 1970ern waren es noch 60 bis 70, 1952 – Bernd Neubauer hat das letzte Adressbuch von Halle aufgehoben – 185. Doch die Steineckes, Schäfers oder welche Kette auch immer sind für die Neubauers keine Konkurrenz. Sie haben ihre Stammkundschaft im Viertel, sie haben ihr Auskommen, und ans Expandieren denken sie nicht. „Es ist gut so, wie es ist“, sagt Tobias Neubauer. Wenn der Laden leergekauft ist, dann ist er eben leer. Oft ist das schon nachmittags so. Aber 50 Brote mehr backen, nur damit das Regal immer voll ist, dafür dann aber 30 am Ende liegen bleiben, kommt nicht in Frage. Bei Neubauer akzeptieren die Kunden das. Eine Kette würde so eine Filiale wohl bald schließen.

Nach der Wende war es knapp. Das Viertel war heruntergekommen, die Altbauten wurden leergewohnt, bevor Neu- oder Alteigentümer sie sanierten. Zwei harte Jahre waren das, in denen Bernd und Karola Neubauer auf vieles verzichtet haben. Viel blieb damals nicht übrig. „Aber man hat das durchgestanden. Das hat mein Großvater erlebt und mein Vater auch in den Fünfzigern. Man hängt auch irgendwo an dem Betrieb.“

Angefangen hat der Großvater, Emil Neubauer, 1921 mitten in der Inflation mit einer Konditorei in der Großen Märkerstraße, mittelalterliches Haus, enge Backstube, rationierte Zuckermarken. Auch die hat Bernd Neubauer aufgehoben. Sein Vater Arno Neubauer übernahm den Betrieb 1954, nach langer Kriegsgefangenschaft war auch das nicht leicht damals, und Vater und Sohn in einer Backstube, da gab es schon mal Reibereien. Der Umzug ins jetzige Haus kam 1966.

Seit 1966 ist Bäcker Neubauer in der Adam-Kuckhoff-Straße. Foto: StäZ

Da ist Bernd schon als Schüler dabei, muss mit anpacken. Die Männer backen, die Frauen verkaufen. Die Söhne gehen bei den Vätern in die Lehre, Bernd Neubauers Sohn Tobias auch. Bäcker sein bedeutet, morgens halb drei aufstehen, von um drei bis um elf backen und abends nochmal in die Backstube zum Teigansetzen. Jeden Tag, fünf Tage die Woche – ein Leben lang Nachtschicht. Es gehört eben viel Leidenschaft zu diesem Beruf, das macht nicht jeder.

Bernd Neubauer wollte nie etwas anderes machen. Seine Kinder mussten aber, darauf legt er wert, nicht so hart ran, wie er in den Sechzigern. Und wenn Ende der Siebziger der Großvater noch im hohen Alter in der Weihnachtszeit dem Enkel beim Glasieren der Honigkuchen half, standen alle stramm. „Wenn es hieß, heute kommt der Alte, dann musste der Tisch frei sein, dann wurde alles sofort beiseite geräumt.“

Bernd Neubauer will seinem Sohn nicht mehr hineinreden ins Backwerk. Mit Rat ist er zur Stelle, und aushelfen ist auch kein Problem, aber mehr nicht. „Ich erinnere Dich nochmal dran“, scherzt Tobias, fügt aber gleich hinzu: „Keine Frage, mein Vater wird noch gebraucht. Er hat einfach die Erfahrung.“ Auch Tradition kann sich anpassen, und für gutes Brot und gute Brötchen sind die Zeiten nie zu modern. „Wenn die Kunden kamen und vom Brot und den Brötchen geschwärmt haben, dann habe ich mich gefreut, und meine Frau war dann auch stolz“, sagt Neubauer.

Überhaupt Karola Neubauer, die fast jeden Tag im Laden die Ware verkauft hat, die ihr Mann gebacken hatte. „Ohne meine Frau hätte ich das nicht 40 Jahre lang geschafft, sagt Bernd Neubauer. Die Neubauers geben zusammen die Hoheit über den Laden ab an ihren Sohn.

Und die Geschichte mit Honecker? Beinahe wäre bei Neubauers 1975 Schluss gewesen. Arno Neubauer hatte einen Herzinfarkt gehabt, und die Stadtverwaltung verlangte von Bernd Neubauer, eine PGH aufzumachen, eine Produktionsgenossenschaft des Handwerks. „Die wollten sie der DDR zum Geburtstag schenken, denn eine Bäcker-PGH gab’s bis dahin in Halle nicht. Mein Vater hat aber gesagt: Das machen wir nicht, dann machen wir zu.“ Ein Jahr ging das hin und her. Und plötzlich hielt Honecker eine Rede und sagte – Bernd Neubauer imitiert ihn gut: „… dass das Handwerk wieder mehr einbezogen wird, in die Produktion zur Versorgung der Bevölkerung.“ „Und mit einem Mal kamen sie in die Backstube und haben mir die Genehmigung hinterher gebracht, da wollte ich es schon gar nicht mehr machen, da hatte ich geplant, eine Eisdiele aufzumachen.“ Es ging also weiter, Honni sei dank, und im Nachhinein kann der „Ostbrötchenbäcker“ Bernd Neubauer auch darüber lachen. Das Ostbrötchen-Schild ist übrigens schon lange verschwunden. Jetzt steht an der Eingangstür ein Hinweis auf einen offenen WLAN-Hotspot. So ist das.

Das hundertjährige Jubiläum 2021 werden sie zusammen feiern. Dass Sohn Tobias dann immer noch der Chef im eigenen Laden ist und dass die Kunden im Bebelviertel ihrem Bäcker Neubauer die Treue halten, das ist, Stand jetzt, keine Frage.

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Karoline Makosch
6 Jahre her

Eine Ära geht zu Ende. Und weiter. Toller Bäcker!

Hendriksebastian@t-online.de
6 Jahre her

Freue mich , dass es weitergeht-Hendrik Sebastian