Der Neandertaler in mir

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Schlecht gelaunt sitze ich spätnachts und rauchend vor meinem Laptop. Wenigstens hat heute niemand meine Mittagsruhe gestört…….

StäZ-Kolumnist Thomas Schied, Foto: Hannah Schied

Spiegelleser kaufen sich die MZ normalerweise nur, weil sie den Lokalteil lesen wollen oder müssen. Ich hoffe auch deshalb, dass die „Städtische Zeitung“ keine Eintagsfliege bleibt. Dann kann ich endlich die „Blaue Bild“ abbestellen und vom gesparten Geld Abos der hoffentlich informativen und lesenswerten Alternative an liebe Menschen und an meine Schwiegermutter verschenken. Zum Beispiel zu Weihnachten. „Zu Weihnachten“ und nicht etwa „an Weihnachten“. „An Weihnachten“ gibt es hier nicht. Es gibt hier übrigens auch keine Tram. Das sollte man einigen Regionalschreibkräften endlich auch mal erklären. Hier fährt immer noch die Straßenbahn oder Straba. So, wie in Leipzig die Bimmel fährt und in Wuppertal die Schwebebahn.[ds_preview]

Aus der ist vor mehr als einem halben Jahrhundert mal ein Elefant gefallen, und davon zehrt die Stadt noch heute. Ansonsten kennt man Wuppertal höchstens, weil dort irgendwann mal irgendjemand über die Wupper gegangen sein soll. Wer das war und warum er das tat, konnte mir bisher aber noch niemand erklären. In Halle aber ist vor mehr als 900 Jahren ein Mann in die Saale gesprungen, dessen Namen wir alle immer noch kennen: Ludwig. Ludwig hat sich mit seinem Sprung unsterblich gemacht, und deshalb wurde auch eine Straße in Halle nach ihm benannt. Eine gute Wahl, wie ich finde.

Mit der Benennung von Straßen tun wir uns in unserer Stadt ansonsten ja manchmal etwas schwer. Ich erinnere da nur mal an den Bahnhofsvorplatz. Den wollte die MZ unbedingt und so schnell als möglich nach dem Mann benennen lassen, der vor einem Vierteljahrhundert dafür gesorgt hatte, dass die Zeitung, die damals noch Freiheit hieß, in die Hände des Verlegers seines Vertrauens gelegt wurde. Dafür musste man sich ja irgendwann mal revanchieren. Wochenlang gab es fast täglich einen Artikel zum Thema. Jeden Morgen zog sich Herr F. seinen gelben Pullunder über, setzte sich an die Schreibmaschine und hackte Schmähschriften wider die vermeintlichen Gegner der Huldigung des großen Einheitspolitikers aus Halle in die Tastatur. Damit hier jetzt niemand ins Grübeln kommt: Der Bahnhofsvorplatz heißt heute nicht etwa „Günther-Krause-Platz“. Der Hallenser, der den Einheitsvertrag unterzeichnet hat, lebt noch und Straßen werden nur nach Persönlichkeiten benannt, die nicht mehr unter uns weilen.

Deshalb ist es wohl auch nicht verkehrt, wenn man sich schon zu Lebzeiten um einen potentiellen Ort der Erinnerung kümmert. Das Riveufer hat der – auch vom jetzigen Hauptverwaltungsbeamten wahnsinnig verehrte – ehemalige Oberbürgermeister noch höchstselbst anlegen lassen, so dass man nach seinem Ableben einen Ort hatte, den man nach ihm benennen konnte. Besser geht’s nicht.

Ich könnte es gut verstehen, wenn sich unser jetziger Verwaltungsvorsteher auch um seinen Nachruhm sorgen würde. Mit dem „Wiegand-Damm“ wird es nun ja wohl eher nichts mehr werden. Zur Not macht’s aber auch ein größeres Gebäude. Ein imposantes Kongresszentrum oder ein „Wiegand-Tower“ wären vielleicht noch zu haben, wenn das Stadtoberhaupt sich nur noch lange genug auf seinem Thron halten kann. Als Alleinherrscher auf Lebenszeit hätte man es da leichter. Die Zumutungen der Demokratie machen das Regieren nicht gerade einfacher.

Das wissen wir spätestens seit Richard Robert Rive: „Die Gegner (im Stadtrat – Anm. d. Verf.) gedachten, ihn (den OB) durch unaufhörliche Opposition mattzusetzen, so dass er wie sein Amtsvorgänger die Nerven verlieren würde. Der OB hingegen versprach ihnen, dass sie alle den Kampf verlieren würden…..“ (Richard Robert Rive „Lebenserinnerungen….“, Zitat vorgetragen vom aktuellen OB in der Stadtratssitzung am 24.02.2016.)

And now for something completely different: Ein befreundeter Küchenpsychologe hat mir letztens von Menschen berichtet, bei denen es zu einer Überidentifikation mit dem Helden aus ihrem Lieblingsbuch und in der Folge zu Anzeichen von Realitätsverlust gekommen sein soll. Das könnte imho so manches merkwürdige Verhalten des einen oder anderen Zeitgenossen erklären…..

Merkwürdiges Verhalten kann aber auch noch gänzlich andere Ursachen haben: Im Spiegel wurde letztens berichtet, dass nicht wenige Menschen auch heute noch Gene des Neandertalers in sich tragen. Die Betroffenen neigen häufiger zum Rauchen, zum Mittagsschlaf, zu nächtlicher Aktivität und zu schlechter Laune – gute Voraussetzungen für die Entstehung einer Kolumne. Und sollte sich hier in Zukunft trotz aller guter Vorsätze meine schlechte Laune immer mal wieder Bahn brechen: Ich kann nichts dafür. Schuld ist der Neandertaler in mir.

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Karoline Makosch
6 Jahre her

Auf diese Kolumne freue ich mich (auch)!